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Aktuell INTERVIEW

Verbandschef der Sparkassen: »Die Stimmung gleitet in Ängste ab«

Verbandspräsident Peter Schneider beklagt, dass immer mehr Sparkassen-Kunden nicht mehr sparen können.

Peter Schneider, Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg, zu Besuch beim Reutlinger General-Anzeiger.  FOTO: PIETH
Peter Schneider, Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg, zu Besuch beim Reutlinger General-Anzeiger. FOTO: PIETH
Peter Schneider, Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg, zu Besuch beim Reutlinger General-Anzeiger. FOTO: PIETH

REUTLINGEN. Peter Schneider, Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg, stellt fest, dass die Sparfähigkeit der Menschen abnimmt und sagt: »Viele Menschen fragen sich, wie komme ich zurecht mit diesen hohen Energiepreisen, mit dieser hohen Inflation.«GEA: Wie nehmen Sie die aktuelle Lage der Sparkassen-Kunden wahr?

Peter Schneider: Wir sind Marktführer im Privatkundengeschäft. Der Marktanteil der Sparkassen im Land liegt zwischen 45 und 50 Prozent, je nach Raumschaft. Historisch bedingt gehören unsere Kunden überproportional eher zu den einkommensschwächeren Schichten. Wir haben wirklich diejenigen, die jetzt als Allererste in finanzielle Bedrängnis kommen. Wir sehen, wie die Sparfähigkeit der Menschen abnimmt. Der Anteil derjenigen, die nichts mehr sparen können, liegt aktuell bei rund 40 Prozent – mit schnell steigender Tendenz. Immer mehr Menschen brauchen ihr gesamtes Einkommen, um den täglichen Lebensbedarf zu bestreiten. Die Stimmungslage, die wir wahrnehmen, ist nicht nur Unruhe, sondern gleitet in Teilen in Sorgen und Ängste ab. Viele Menschen fragen sich, wie komme ich zurecht mit diesen hohen Energiepreisen, mit dieser hohen Inflation. Dabei sind einige Belastungen noch gar nicht da: Die Nebenkostenabrechnungen für 2022 mit den hohen Preisen kommen ja erst 2023.

Müssen wir uns vom Wohlstand verabschieden?

Schneider: Wohlstand muss täglich erarbeitet werden. Das haben wir ein bisschen vergessen. Ich glaube schon, dass wir unter Druck kommen, je nachdem, was mit dem Gas passiert. Das ist ja der Auslöser. Der Putin führt uns am Nasenring durch die Manege. An den Energiepreisen hängt die volkswirtschaftliche Belastung. Die Hoffnung, dass da vielleicht noch eine Lösung auftaucht, wird geringer. Bei einem kompletten Gaslieferstopp, wie er sich gerade abzeichnet, werden wir an einer Rezession wohl nicht vorbeikommen. Eine Rezession bringt naturgemäß Wohlstandseinbußen mit sich. Es ist aber nicht nur das Gas. Lieferketten kommen nicht mehr richtig in Gang. China kommt mit Lockdowns. Man weiß nicht, wie die Wirtschaft der USA sich weiterentwickelt. Und auch die Pandemie haben wir noch nicht überwunden.

»Die EZB hat eindeutig zu langsam reagiert«

 

Der Realzins ist so stark im Minus wie noch nie.

Schneider: Der Realzins beeinflusst die Menschen in ihrer Wohlstandsentwicklung. Er ist die Differenz zwischen sicherer Anlagemöglichkeit, die wir etwa bei zehnjährigen Bundesanleihen festmachen, und der Inflation: Da sind wir bei minus sieben Prozent; das heißt, die Vermögen der Menschen werden aktuell um sieben Prozent im Jahr entwertet. In drei Jahren würden sie so ein Fünftel ihres Geldvermögens verlieren. Jeder hat Geldansprüche in seiner Altersvorsorge, auch in der Sozialversicherung, hinterlegt; das heißt, es trifft jeden. Insoweit ist es schwierig, den heutigen Wohlstand für jeden zu halten.

Was empfehlen Sie dem Privatkunden, der sich unter Druck fühlt?

Schneider: Vor allem die unteren Einkommensgruppen müssen schlichtweg gucken, wie sie mit ihrem Einkommen über die Runden kommen. Sie werden ihren Konsum einschränken müssen – was sollen sie sonst machen? Der Normalverbraucher ist der hohen Inflation leider relativ schutzlos ausgeliefert. Er kann seine Heizung runterfahren und über die Duschdauer und die Nutzung von Waschlappen nachdenken. Und er kann an den Allmachtsstaat glauben und das dritte Riesenpaket der Bundesregierung durchforsten, was es ihm bringt.

Wie schätzen Sie dieses Paket ein?

Schneider: 65 Milliarden Euro: Das ist natürlich zunächst mal eine Riesensumme. Dass man in der Lage ist, in solchen Dimensionen staatlich zu entscheiden, beweist Handlungsfähigkeit der Ampel-Koalition. Es sind sicherlich richtige Ansätze dabei, die bei den Menschen unterschiedlich ankommen. Man hat Lücken geschlossen, etwa für Rentner und Studenten. Ich bin aber halt ein Zahlenmensch und frage, wie man so etwas finanzieren will. Dann steht da zur Finanzierung beispielsweise der Begriff »Zufallsgewinne abschöpfen«. Was ist denn das? Das habe ich noch gar nie gehört. Auf der einen Seite sage ich, man muss staatlich handeln. Auf der anderen Seite sind Eingriffe in Wirtschaftsabläufe, die wir noch nie gesehen haben.

Wie ist derzeit die Nachfrage nach Firmenkrediten? Stecken Unternehmen in Schwierigkeiten?

Schneider: Wir sehen im Moment eine starke Dynamik in der Kreditnachfrage der Unternehmen. Aber sie hat sich in der Zielrichtung verändert. Firmen sichern sich erstens Liquidität und Zinsen. Zweitens bauen sie ihre Lagerhaltung aus, weil die Lieferketten nicht funktionieren. Bonitätsmäßig sehen wir insgesamt noch kein Problem. Die Firmen sind im Durchschnitt in einer guten Eigenkapitalsituation und damit krisenfest. Aber wie lange das geht, weiß ich nicht. Wenn die Krise anhält, wird es für die Banken auch mal schwierig. Aktuell ist unsere Kreditvorsorge aber völlig unauffällig. Ich mache mir auch keine großen Sorgen um unsere Sparkassen, weil wir solide finanziert und die Menschen nicht in schwierige Finanzierungen hineinberaten haben.

Was sagen Sie zur Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB)?

Schneider: Die EZB verfügt über Fachkompetenz wie sonst keiner. Von daher wundere ich mich über ihre Fehlprognosen. Wenn wir uns solche Fehlprognosen leisten würden, müssten wir einen Vorstand nach dem anderen rausschmeißen. Bis vor Kurzem hat die EZB noch erzählt, dass Inflation kein Thema sei. Jetzt kommt die Mär auf, Inflation sei die Folge des Ukraine-Kriegs und der Energiepreissteigerungen. Da muss ich sagen, Moment, wenn man sich die Mühe macht und die Inflationsraten schon davor anschaut, da waren sie schon vor Kriegsbeginn auf fünf Prozent hochgelaufen. Es war klar, dass diese expansive Geldpolitik zu einem Inflationsschub führt. Jetzt kommt dieser Schub mit voller Wucht und wird durch den Ukraine-Krieg verstärkt. Jetzt haben wir einen so hohen negativen Realzins wie noch nie. Die EZB hat eindeutig zu langsam reagiert.

An was lag das?

Schneider: Das oberste Ziel der Geldwertstabilität wird halt überlagert vom Ziel der Ermöglichung der Staatsfinanzierung. Da treffen zwei konträre Auffassungen über Geldpolitik aufeinander. Und leider hatte die letztere, die zum Tragen kam, die Mehrheit, nämlich immer der erste Blick auf Finanzierungsmöglichkeiten der Verschuldung. Heute spielt die Nachhaltigkeitsbetrachtung in Deutschland und Europa eine überragende Rolle. Aber komischerweise bleibt dabei die Verschuldung komplett außen vor.

»Schulden zu haben, kommt vom Schulden machen«

 

Was halten Sie vom neuen Kriseninstrument der EZB namens TPI (Transmission Protection Instrument)?

Schneider: Vertrags- und verfassungswidrig. Punkt. Wenn Sie das angucken, ist das bedingungslose Geldhingabe an einzelne Staaten zur Staatsfinanzierung. Da muss man nicht viel davon verstehen, sondern nur in die vertragliche Grundlagen der Währungsunion schauen. Da wird genau das ausgeschlossen. Wir werden sehen, was das Verfassungsgericht dazu sagt. Schon mit dem ersten Zinsschritt wurde TPI gleich verbunden. Der Bundesbank ging es früher nur um eines: Geldwertstabilität. Das war ein großer Erfolg der Geldpolitik und diente dem Ansehen der Bundesbank und der Stabilität der Wirtschaft. Jetzt hat die EZB eine Brille mit zwei Gläsern auf. Und das eine Glas ist ein bisschen schärfer als das andere. Wer Instabilitäten so laufen lässt, kommt ins Ungewisse. Ich bin leidenschaftlicher Stabilitäts-Fan. Schulden zu haben, kommt vom Schulden machen. Wenn ich zu viele Schulden habe, sind meine Investitionsspielräume eingeschränkt. Wir haben innerhalb der Europäischen Union eben unterschiedliche Stabilitätsvorstellungen. Die Stabilität war aber der Grundkonsens für die Währungsunion. Nun wird das immer instabiler – und der Euro geht Richtung Weichwährung.

Ist »Schaffa, schaffa, Häusle bauen« auch in dieser Lage das Beste?

Schneider: Die höchste Lebensqualität sind die eigenen vier Wände. Deutschland hat aber eine der niedrigsten Eigentumsquoten in Europa. Frankreich, Italien und Spanien stehen besser da. Deshalb sollte der Staat die Umstände so gestalten, dass die Leute eigene vier Wände erwerben können. Das ist Unabhängigkeit. Wir müssen mehr in Unabhängigkeiten denken. Das gilt auch im Energie- und im Finanzsektor. Geldvermögen sind als Erstes der Inflation ausgesetzt, nicht Sachwerte.

Bei Ihrer jüngsten Halbjahrespressekonferenz haben Sie von Bremsspuren bei den Immobilienkrediten berichtet.

Schneider: Die Zuwächse bei Privatkrediten gehen zurück. Es geben einige ihre Zusagen zurück, weil die Baukosten und die Zinsen enorm gestiegen sind. Es natürlich ein Unterschied, ob ich für ein Prozent oder für über drei Prozent finanziere. Von daher kommt da mancher an die Kante und geht es doch nicht an. Die Baukonjunktur wird sich abkühlen. Die Kredite sind auch aufsichtsrechtlich verteuert worden. Dafür gab es für mich keinen Anlass.

Wird es bei den Sparkassen im Land Fusionen geben?

Schneider: Es kann sein, dass wir an zwei oder drei Ecken noch Fusionen sehen. Aktuell ist aber nichts geplant. Wir haben gute Betriebsgrößen. Man braucht die Verbindungen zu den Strukturen, die die Menschen prägen. Das sind Gemeinden und Landkreise. Die Bandbreite bei den 50 Sparkassen im Land reicht von knapp 600 Millionen bis über 16 Milliarden Euro Bilanzsumme und von 80 bis 1 800 Beschäftigte. (GEA)

DER SPARKASSENVERBAND BADEN-WÜRTTEMBERG UND SEIN PRÄSIDENT

Peter Schneider ist in Zwiefalten aufgewachsen und hat in Freiburg und Tübingen Jura studiert

Der Sparkassenverband Baden-Württemberg in Stuttgart hat 330 Beschäftigte. Er wirkt als Interessenvertreter, Aus- und Fortbilder, Wirtschaftsprüfer und Berater der 50 Sparkassen im Land mit zusammen 30 430 Beschäftigten. Er ist mit einem Anteil von über 40 Prozent Träger der Landesbank Baden-Württemberg sowie Gesellschafter weiterer Unternehmen der Sparkassen-Finanzgruppe. Peter Schneider, seit 2006 Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg, wurde 1958 in Riedlingen geboren und wuchs in Zwiefalten auf. Nach dem Abitur in Riedlingen studierte er Rechtswissenschaften in Freiburg und Tübingen. Phasenweise schrieb er während seines Studiums als freier Mitarbeiter für den Reutlinger General-Anzeiger. Vor dem zweiten Staatsexamen war er Referendar am Landgericht in Tübingen und arbeitete nebenbei für eine Anwaltskanzlei in Münsingen. Dabei hatte er Anfang der 1980er-Jahre Auftritte als Prozessvertreter der Staatsanwaltschaft, als Richter-Vertreter und als Verteidiger in den Amtsgerichten in Bad Urach, Münsingen und Reutlingen, an die er sich noch gut erinnern kann. So sei es in Münsingen mal um Fischwilderei gegangen.  Von 1992 bis 2006 war Schneider Landrat des Kreises Biberach, von 2001 bis 2016 CDU-Landtagsabgeordneter. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne, die ebenfalls Juristen sind. Schneider lebt in einem Dorf im Kreis Biberach. Er ist Verpächter der 1604 erbauten Gaststätte »Kreuz« in Riedlingen und holt gerne Holz aus dem eigenen Waldstück. Im Mai 2024 will er in Ruhestand gehen. (rog)