Logo
Aktuell Demografie

Plan der IHK Reutlingen für mehr Fachkräfte

Neue Studie zeigt, dass in der Region Neckar-Alb mehr Menschen über 40 als unter 40 Jahre alt sind

Hauptgeschäftsführer Wolfgang Epp und Volkwirtin Antonia Hettinger von der IHK Reutlingen.  ARCHIVFOTO: NIETHAMMER
Hauptgeschäftsführer Wolfgang Epp und Volkwirtin Antonia Hettinger von der IHK Reutlingen. ARCHIVFOTO: NIETHAMMER Foto: Markus Niethammer
Hauptgeschäftsführer Wolfgang Epp und Volkwirtin Antonia Hettinger von der IHK Reutlingen. ARCHIVFOTO: NIETHAMMER
Foto: Markus Niethammer

REUTLINGEN. Das durchschnittliche Alter steigt – und auf dem Arbeits- und Fachkräftemarkt wird es enger. Das zeigen die Daten der neuen Demografie-Studie der Industrie- und Handelskammer (IHK) Reutlingen. Die Wirtschaftseinrichtung legt einen Fünf-Punkte-Plan vor, um die Fach- und Arbeitskräftelücke zu schließen.

Die Region Neckar-Alb wird demnach immer älter: In den vergangenen fünf Jahren ist der Anteil der über 65-Jährigen um acht Prozent gestiegen. 146.200 von 711.000 Einwohnern der Region sind derzeit über 65. Mehr Menschen sind mittlerweile über 40 als unter 40 Jahre (55 zu 45 Prozent). Bis 2035 werden laut IHK-Fachkräftemonitor regional bis zu 61.000 Arbeits- und Fachkräfte inklusive Helferberufe fehlen. Faktisch alle Branchen können derzeit offene Arbeits- und Lehrstellen nicht mehr besetzen. Vor diesem Hintergrund fordert die IHK einen Fünf-Punkte-Plan, um die demografischen Herausforderungen zu meistern.

Erstens: »Wir brauchen eine schnelle und pragmatische Integration der Ukrainerinnen und Ukrainer plus ein gezieltes Anwerben von Fachkräften aus Drittstaaten. Eine zentrale Ausländerbehörde für Baden-Württemberg, vereinfachte Visaverfahren und ausreichend Sprachkurse sind entscheidend, um die Menschen, die hier ankommen, in Arbeit zu bringen und zu integrieren«, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Epp. Der Anteil der Bevölkerung ohne deutsche Staatsbürgerschaft in Neckar-Alb ist von acht Prozent im Jahr 1970 auf 16 Prozent im Jahr 2022 angewachsen. Über 70 Prozent der Zugewanderten stammen aus dem europäischen Ausland, darunter aus der Türkei (13 Prozent), Italien (9), Rumänien (9), Ukraine (7) und Kroatien (6).

Mehr Wohnraum erforderlich

Zweitens sind mehr Wohnraum und eine besser ausgebaute Infrastruktur erforderlich, damit auch die, die hier bereits leben, bleiben. Der ländliche Raum, der noch etwas Platz hat, muss attraktiver werden. »Erweiterte Verkehrswege, ein funktionierendes Schienennetz in die Ballungszentren, Mobilfunk und Internet tragen wesentlich zur Wahl des Wohnstandorts bei. Hier muss angesetzt werden«, sagt Epp. Beim Thema Wohnraum sollte zudem an die geänderten Lebensweisen gedacht werden. Vor 50 Jahren lebte ein Viertel der Menschen in Singlehaushalten, heute sind es 40 Prozent. »Viele ältere Menschen leben heute alleine in großen Häusern. Es muss uns gelingen, auch hier flexibler zu werden. Mehrgenerationen-Wohnen oder eine altersgerechte Plattform, über die Wohnraum getauscht werden kann, wären denkbar. Entsprechend braucht es mehr Wohnungen für Einpersonenhaushalte«, sagt IHK-Volkswirtin und Studienautorin Antonia Hettinger.

Drittens muss die Erwerbstätigkeit von Frauen und Älteren gezielt unterstützt werden. »Hierfür benötigen wir Umschulungs- und Weiterqualifikationsmöglichkeiten sowie mehr und flexible Angebote der Kinderbetreuung. Außerdem muss es sich für Frauen finanziell lohnen, mit Kindern mehr zu arbeiten«, so Epp. Schon jetzt ist der Anteil der Frauen in Erwerbstätigkeit deutlich gestiegen, allerdings gibt es nach wie vor einen großen Abstand zum Anteil erwerbstätiger Männer: 78 Prozent der 30- bis 34-Jährigen Frauen arbeiten derzeit. In der gleichen Altersgruppe arbeiten 93 Prozent der Männer. Zudem sollten Personen im Rentenalter gewonnen werden, weiter berufstätig zu sein, wenn sie denn können und wollen.

Viertens müssen Potenziale der künstlichen Intelligenz und Automatisierung genutzt und Fachkräfte, so möglich und nötig, umgeschult werden. Gleichzeitig müssen standardisierte Prozesse weiter automatisiert werden. So können Arbeits- und Fachkräfte an anderer Stelle eingesetzt werden.

Fünftens ist bundesweit eine langfristige und breit verankerte Personalgewinnungsstrategie nötig. »Der Fachkräftemangel geht uns alle an. Das fängt bei der fehlenden Pflegekraft für einen Familienangehörigen an und reicht bis zur verspäteten Paketlieferung wegen Personalmangels«, erklärt Epp.

Hohe Lebenserwartung

Die Lebenserwartung in der Region ist sehr hoch, so ein weiteres Ergebnis der Studie. In Baden-Württemberg werden die Menschen nur im Stadtkreis Heidelberg älter als im Landkreis Tübingen. Ein neugeborener Junge kann in Tübingen auf 81 Jahre und ein Mädchen auf 85 Jahre Lebenszeit hoffen. Die Bevölkerung in der Region wird nicht nur älter und heterogener. Auch individuelle Lebensetappen verschieben sich: Das durchschnittliche Heiratsalter lediger Männer (34 Jahre) und Frauen (32 Jahre) war 2021 in Baden-Württemberg so hoch wie nie zuvor. Zudem steigt das Alter der Frauen bei der Geburt ihrer Kinder kontinuierlich an. 2021 lag es bei 32 Jahren, eine Steigerung von sechs Jahren seit 1980.

Die IHK Reutlingen hat in ihrer Studie zum demografischen Wandel Kennzahlen und Statistiken des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg und der Bundesagentur für Arbeit aufbereitet und interpretiert. Die komplette Analyse steht zum Download bereit unter:

 

www.ihkrt.de/demografie