REUTLINGEN. Egal ob im Handwerksbetrieb, in der Industrie oder im Dienstleistungsbereich: Es gibt praktisch kein Unternehmen, das nicht vom Fachkräftemangel betroffen ist. Wie die Unternehmensverbände die Lage einschätzen:
- IHK Reutlingen
Laut aktuellen IHK-Umfragen sei für 61 Prozent der heimischen Betriebe der Fachkräftemangel das aktuell größte wirtschaftliche Risiko, schreibt die IHK Reutlingen. »Die Situation wird sich weiter verschärfen: Bis 2035, so die Prognose für die drei Landkreise der Region, werden 61.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Arbeitsmarkt fehlen.« Gesucht würden vor allem Fachkräfte mit einer dualen Berufsausbildung. Zum Mangel komme noch die Demografie: »Das aktuelle Durchschnittsalter der Region Neckar-Alb liegt bei 43,6 Jahren. Es gibt mehr Menschen über 40 als unter 40 Jahren.« Somit seien faktisch alle Branchen vom Fachkräftemangel betroffen.
Auch deshalb begrüßen die IHKn das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Gut sei etwa, dass »Fachkräfte, deren Berufsabschluss offiziell anerkannt ist, künftig in jedem qualifizierten Beruf beschäftigt werden können und nicht nur in dem ihres Abschlusses. Gut ist auch, dass Personen mit ausländischem Abschluss und Berufserfahrung, auch ohne förmliche Berufsanerkennung in Deutschland arbeiten dürfen«, so die IHK Reutlingen. Dennoch gibt es ein Aber: »Das Regelwerk ist insgesamt komplex. Das wird viele Unternehmen und Fachkräfte abschrecken und den ohnehin schon großen Beratungs- und Unterstützungsbedarf weiter erhöhen.« Es müsse sich erst zeigen, ob das Gesetz in der Praxis eine Hilfe sei.
- Handwerkskammer Reutlingen
»Im Gesamthandwerk fehlen schon jetzt schätzungsweise rund 250.000 Fach- und Nachwuchskräfte. Auf unseren Kammerbezirk bezogen sind das fast 3.500 Menschen, die wir dringend in unseren Betrieben bräuchten«, berichtet der Hauptgeschäftsführer der Reutlinger Handwerkskammer Joachim Eisert. Am Mangel sei nicht nur die Demografie schuld: »Die Jugendlichen und Heranwachsenden tendieren unverändert zum Studium in der irrigen Annahme, nach dessen Abschluss ein erfüllteres berufliches Dasein zu führen.« Viele scheiterten dann aber an den Hochschulen. Diese jungen Leute seien oft in einer dualen Ausbildung besser aufgehoben, so Eisert.
Die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland wird den Mangel im Handwerk allein nicht lösen können, glaubt er. Zwar würde das neue Gesetz die Suche nach Fachkräften vereinfachen, dennoch müsste Bürokratie abgebaut und mehr Unterstützung angeboten werden. »Die notwendige Sprachkompetenz im Handwerk darf hierbei nicht unterschätzt werden, denn die meisten unsere Betriebe haben Kontakt zum Kunden«, so Eisert.
- Kommunaler Arbeitgeberverband Baden-Württemberg (KAV BW)
»Unsere Verwaltungen und kommunalen Betriebe berichten, dass gerade im handwerklichen Bereich, bei Bauhöfen, in der Grünpflege und bei Straßenmeistereien sowie bei qualifizierten Fachkräften im Betreuungsbereich, also Kitas, Krankenhäuser, Altenpflege, der Fachkräftemangel besonders deutlich ist«, so Matthias Bergmann, Geschäftsführer des KAV BW. Deshalb sei es zu begrüßen, dass durch das neue Gesetz eine gezielte Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland erfolgen kann. Doch es brauche mehr Personal und Online-Möglichkeiten für Behörden und Antragsteller, um die Erteilung von Einreise-Visa zu beschleunigen. Außerdem fordert Bergmann mehr Sprachförderung sowie »berufliche Integrations-, Qualifizierungs- und Fortbildungsmaßnahmen«, um die Zugewanderten fit für den Arbeitsmarkt zu machen und besser zu integrieren. (geu)