REUTLINGEN. »Reutlingen hat ein Imageproblem«, stellt Wolfgang Epp fest. Darauf werde er sogar von Kollegen anderer Industrie- und Handelskammern (IHK) bei Treffen in Berlin angesprochen, erzählt der Hauptgeschäftsführer der IHK Reutlingen im Gespräch mit dem GEA. Epp zufolge bietet aber jede Krise auch eine Chance. »Reutlingen hat was zu bieten, Reutlingen hat wirklich Potenzial. Aber man muss das Positive nach außen kehren«, sagt er. Auf eine klare Analyse der Lage sollte ein rasches Handeln folgen, rät er – auch als Reaktion auf die Schließung des Warenhauses Galeria Kaufhof im Januar und den zum Jahresende angekündigten Abschied des Modehauses Breuninger.
Reutlingen müsse wegkommen von dem Image »Arme Stadt« oder »Innenstadt mit viel Leerständen«, fordert der Chef von 165 Beschäftigten und der für den Handel in der Region Neckar-Alb zuständigen Kammer. Eine Innenstadt sei das Wohl und Wehe einer Stadtgesellschaft. »In der Stadt muss was los sein. Die Stadt muss sauber sein – auch die Nebenstraßen müssen hergerichtet sein. Gastronomie unterschiedlicher Art gehört dazu. Da ist in Reutlingen schon was geschehen, aber man kann immer noch Gas geben. Das Ambiente insgesamt ist ein Standortfaktor«, sagt Epp.
Die Menschen aus dem Umland kämen ja nach Reutlingen. »Man muss die Innenstadt aber gut erreichen können.« Auch wenn eine Innenstadt verkehrsberuhigt worden sei und man nicht auf dem Marktplatz parken dürfe, würden sich Investitionen in Aufenthaltsqualität, etwa in Sitzmöglichkeiten, langfristig auszahlen. »Das muss einfach ein Gesicht haben«, erklärt Epp. Man könne zur Verkehrssicherheit und aus Umweltgründen beruhigen. Innenstadtberuhigung brauche jedoch ein Konzept: »Und das ist Aufgabe der Stadt und der Wirtschaftsförderung und des Stadtmarketings. Da müssen alle zusammenarbeiten.«
Appell an Vermieter
Das Ladensterben in Innenstädten habe auch mit dem Wettbewerb durch den Onlinehandel zu tun, so der 63 Jahre alte Hauptgeschäftsführer. Und der Fabrikverkauf in Metzingen? Epp antwortet darauf, natürlich habe der eine Auswirkung, »aber Metzingen ist nicht allein schuld an den Problemen des Reutlinger Einzelhandels«. Denn Metzingen ziehe vornehmlich Gäste von weiter weg an.
Epp spricht drei spezifische Reutlinger Themen an, bei denen er um Verbesserungen wirbt. Erstens: »Wir müssen das Reutlinger Nachtleben zu alter Blüte führen.« Zweitens: »Warum haben wir einen Bahnhof, der so aussieht, wie er aussieht?« Drittens: »Liebe Vermieter, legt die Mietpreise so fest, dass ein Einzelhändler auch überleben kann – auch wenn’s eine 1a-Lage ist.«
Was das Nachtleben anbelange, sei dies für viele junge Leute ein großes Problem. Da habe Reutlingen ein »Schlafstadt-Image« – Ausnahmen bestätigten die Regel. Dies sei auch »für die IHK Reutlingen als Arbeitgeber ein Standortproblem«, berichtet Epp. Früher seien Stuttgarter nach Reutlingen gekommen. Heute gingen junge Reutlingerinnen eher nach Tübingen oder Stuttgart, weil es einst beliebte Anlaufstellen nicht mehr gebe.
Ein Bahnhof sei ein wichtiges Eingangstor einer Stadt. »Es muss gelingen, die Deutsche Bahn zu überzeugen, den Bahnhof in Reutlingen zu sanieren und zu modernisieren, und zwar bald«, verlangt Epp. Er schlägt vor, dass Politik und Wirtschaft dies mit einer abgestimmten Forderung gemeinschaftlich angehen sollten. Die IHK Reutlingen wäre dabei.
Epp erinnert daran, dass die IHK schon mehrmals an die Vermieter von Bestandsgebäuden appelliert habe, nicht das Maximale aus den Ladenflächen herauszuholen. »Wichtig ist, an das Gesamte und an die Innenstadt zu denken«, sagt er nun.
Klage über hohe Energiepreise
Der promovierte Verwaltungswissenschaftler bedauert den angekündigten Abschied Breuningers aus Reutlingen. Es gebe mit Sicherheit betriebswirtschaftliche Gründe für diese Entscheidung. Nun müsse ein modernes Nachfolgekonzept für den Reutlinger Standort ausgedacht werden. Dies gelte auch für die ehemalige Reutlinger Filiale von Galeria Kaufhof: »Wir drücken den Verantwortlichen der Stadt die Daumen, mit den Eigentümern der Immobilie ins Gespräch zu kommen, was sicher nicht einfach wird. Ich bin dafür, das Gebäude abzureißen.«
Neben diesen lokalen Handelsthemen treiben den IHK-Chef die Sorgen der regionalen Industriebetriebe derzeit besonders um: »Wenn wir konkurrenzfähig bleiben wollen, müssen wir von den hohen Energiepreisen runter. Die Bundesregierung muss aufhören mit Ideologie. Umwelt- und Klimaschutz müssen so gemacht werden, dass es unternehmerisch umgesetzt werden kann.«
Zudem gebe es in Deutschland mit die höchsten Steuern weltweit. »Unsere Industrieunternehmen sagen, jede weitere Investition in Deutschland wird hinterfragt, weil es sich nicht rentiert«, teilt Epp mit. Entsprechend warnt er die 1.269 Gemeinderäte in den 66 Gemeinden seines Kammerbezirkes, die Hebesätze für die Gewerbesteuer zu erhöhen: »Wenn die Wirtschaft funktioniert, dann baut darauf alles andere auf. Das ist die Basis – die vernachlässigen wir gerade.«
Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Reutlingen ist für 44.177 (Vorjahr: 43.900) Mitgliedsbetriebe in den Landkreisen Reutlingen, Tübingen und Zollernalb zuständig. Diese Unternehmen beschäftigen zusammen über 280.000 Menschen. (GEA)