REUTLINGEN. Rund 250 Unternehmer, Personaler und Ausbilder sind auf Einladung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Reutlingen zur hauseigenen Akademie gekommen, um sich beim IHK-Ausbildertag mit Vorträgen und Workshops fortzubilden. Als Hauptredner trat wider Erwarten kein Unternehmer oder Ausbilder ans Mikrofon, sondern ein Facharzt: Volker Busch, Neurologe und Psychiater von der Universität Regensburg, verfing sich beim Tagesauftakt nicht in ermüdenden Statistiken und mit Zahlen überhäuften Diagrammen, sondern stellte kraft seiner Expertise etwas viel Grundsätzlicheres – und so gar nichts Wirtschaftliches – in das Zentrum seiner Präsentation: das menschliche Gehirn.
So allgemein Busch seine wissenschaftlichen Erkenntnisse auch formulierte, so klar war den Zuhörern, was sie in Zukunft mit ihren Azubis zu tun haben: Neugierde wecken und fördern sowie Abwechslung schaffen. Denn: Gesunde Köpfe arbeiten gerne. Das geschieht am besten mit Veränderung. »Das ist anstrengend, ist aber das Beste, was dem Gehirn passieren kann«, eröffnete Busch – und schlug damit die Brücke zu den Themen Transformation und Wandel, die im Zentrum des Ausbildungstags standen. Denn die Arbeitswelt ist im Wandel begriffen und steht vor Problemen, die gelöst werden müssen: die verschlafene Digitalisierung, der Umgang mit einer neuen Generation Auszubildender und nicht zuletzt der Mangel an eben diesen. Es klang daher wie ein unausgesprochenes Versprechen, dass sich der Wandel zwar anstrengend gestalten, am Ende aber lohnen werde.
Für den Arbeitsmarkt hat der Regensburger Neurologe eine gute Nachricht: Arbeit macht glücklich – und hilft dem Gehirn zu wachsen. »Nicht zu arbeiten bedeutet, deutlich weniger kognitive Stimulation zu haben«, erklärte Busch. Wer nicht arbeite, das zeigen Studien, leide häufiger an Depressionen, Einsamkeit und Selbstzweifeln. Es fehlten die regelmäßigen Aktivitäten und die sozialen Kontakte. Diese Gefahr lauere auch für frisch gebackene Rentner, die sich ihre Freizeit nicht gut strukturierten. In der Folge verkümmere das Gehirn schleichend – und damit auch immer mehr die Motivation, dem entgegenzuwirken.
Brechen mit Gewohnheiten
Um das zu verhindern, müssen Menschen vor allem ihre Neugier pflegen, denn auch dadurch verbessere sich die kognitive Leistung. »Neugier ist das große Lebenselixier, das wir haben«, sagte Busch. Beobachten könne man das bereits bei Kindern, deren Neugier besonders ausgeprägt sei, da das Gehirn noch wachsen müsse. »Die schaffen es sogar, aus Decken und Knöpfen etwas Kreatives zu schaffen – wenn man sie nur lässt.« Dieses aus Neugier entstandene Potenzial versande zwar während der Pubertät aufgrund der hormonellen Entwicklung vorläufig, komme aber im Erwachsenenalter wieder – eine Tatsache, die sich Arbeitgeber nutzbar machen können. »Von RTL 2 wächst Ihr Gehirn nicht«, scherzte der Arzt. Anstrengung und Aktivität machen das Gehirn stärker – deswegen sei der bloße Konsum Gift für den Kopf.
Ein weiterer Wachstumsfaktor ist das Brechen mit Gewohnheiten. »Nicht alle Gewohnheiten sind schlecht«, sagte der Arzt. Aber im Alltag immer nur den komfortablen, eingespielten Gewohnheiten zu folgen, helfe nicht dabei, neue neuronale Verbindungen zu schaffen. Und diese ließen das Gehirn schließlich wachsen. »Das ist wie bei Trampelpfaden – jenseits der ausgetretenen Wege warten die Entdeckungen«, erklärte Busch.
Immer wieder kam der Neurologe darauf zu sprechen, dass es nie zu spät sei, mit dem Gehirntraining anzufangen. Seit den späten 90er-Jahren weiß die Forschung, dass sich bis ans Lebensende neue Pfade im Gehirn bilden können. Und je früher Menschen damit anfangen, nicht immer nach dem gleichen Schema zu handeln, desto besser für den Kopf. (pru)