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Energiewende: IHK-Chef warnt vor Überforderung

Christian Erbe, Präsident der Baden-Württembergischen IHK, warnt bei Energiewende vor Überforderung

Die Industrie unterstützt das Ziel der Energiewende, fordert aber bessere Rahmenbedingungen. Sonst drohe eine Abwanderungswelle,
Die Industrie unterstützt das Ziel der Energiewende, fordert aber bessere Rahmenbedingungen. Sonst drohe eine Abwanderungswelle, sagt Christian Erbe. FOTO: MÜLLER/GEA
Die Industrie unterstützt das Ziel der Energiewende, fordert aber bessere Rahmenbedingungen. Sonst drohe eine Abwanderungswelle, sagt Christian Erbe. FOTO: MÜLLER/GEA

REUTLINGEN. Der Präsident der Baden-Württembergischen IHKs legt ein Bekenntnis zur Energiewende ab. Dennoch warnt Christian Erbe im GEA-Interview vor einer Überforderung der Industrie im Land, die mit Kosten von 19 Milliarden Euro rechnet. Er fordert die Überprüfung der Sektorenziele, damit die Energiewende nicht zu teuer wird.

GEA: Herr Erbe, die Industrie in Baden-Württemberg soll bis 2030 den CO2-Ausstoß um 23 Prozent senken, damit das Land seine Klimaschutzziele erreicht. Ist das zu schaffen?

Christian Erbe: Es könnte zu schaffen sein. Aber dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Das ist leider noch nicht der Fall. Und ich kann da auch keinen Fortschritt erkennen.

Was verstehen Sie unter Rahmenbedingungen?

Erbe: Ich meine etwa Stromtrassen oder Wärmenetze. Wenn wir fossile Energieträger wie Gas oder Kohle ersetzen wollen, brauchen wir Alternativen und vor allem eine neue Energie-Infrastruktur. Der grüne Strom aus dem Norden muss zu den Industriezentren in den Süden kommen. Dafür brauchen wir Stromtrassen wie Südlink und auch ausreichend Verteilernetze. Da hinken Deutschland und Baden-Württemberg leider immer noch hinterher. Das gefährdet die Erfüllung der Klimaschutzziele. Im Bereich der Wärmeversorgung sehen wir, dass für einen Großteil der Nutzer, die ihre Wärmeerzeugung nicht unmittelbar elektrifizieren können, nach wie vor Lösungen fehlen. Ein dritter wichtiger Punkt ist die fehlende Technologieoffenheit. Die Politik hat als Ziel ausgegeben, fossile Energieträger gerade im Verkehrsbereich sehr massiv und eng fokussiert durch Strom zu ersetzen. Das ist das falsche Ziel. Ziel muss die CO2-Reduktion sein. Mittlerweile wurde das leicht korrigiert. Die Bundesregierung plant endlich auch die Speicherung von CO2 und ist aufgeschlossenen gegenüber synthetischen Kraftstoffen. Das hat uns einen Schub gegeben. Aber es wurde wertvolle Zeit vergeudet.

Mit welchen Kosten rechnet die Industrie in Baden-Württemberg, um die Klimaziele zu erreichen?

Erbe: Wir haben eine Prognos-Studie zum Erreichen der Klimapfade in BW und den Kosten für die Industrie in Baden-Württemberg erstellen lassen. Demnach erfordert der Umstieg Investitionen von 10 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030 und danach weitere 9 Milliarden bis zum Jahr 2040. Das ist eine gewaltige finanzielle Belastung für die Betriebe. 23 Prozent Senkung des CO2-Ausstoßes sind über das Geld hinaus eine enorme Kraftanstrengung. Es bedeutet schlichtweg eine Verdoppelung des bisherigen Reduktionsgeschwindigkeit für CO2-Emissionen. Wobei die sogenannten »low hanging fruits« oft bereits gehoben wurden und die Belastung unterschiedlich ausfällt. Für Unternehmen, die beispielsweise mit hohen Temperaturen arbeiten und daher für die Produktion viel Energie brauchen, stellt es sogar eine Vervierfachung der Reduktionsgeschwindigkeit dar – und damit auch höhere Aufwände.

Ist das überhaupt umsetzbar in diesem Hochtemperaturbereich, also etwa bei Stahlwerken oder in der Chemiebranche?

Erbe: Die Industrie in Baden-Württemberg steht hinter dem Ziel der Landesregierung für eine Energiewende. Wir wollen alle diesen Weg gehen und die Klimaschutzziele erreichen. Dennoch stellen sich viele Unternehmen die Frage, was sie machen sollen, falls sie die Vorgaben nicht erfüllen können – denn eine CO2 -Reduktion per Effizienzsteigerungen um das Drei- oder Vierfache sind sowohl aus technologischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht schwierig bis gar nicht zu erreichen. Die Antwort ist immer die gleiche: Überlegungen zur Verlagerung des energieintensiven Produktionsbereichs ins Ausland. Doch meine Sorge ist, dass dann andere Wertschöpfungsprozesse mitgehen und nicht nur der Hochtemperaturbereich. Denn nur einen Teil der Produktionsschritte in einem Unternehmen zu verlagern, ist meist problematisch. Es führt oft zu einer Kettenreaktion und zur Abwanderung der gesamten Produktion ins Ausland. Ich sage das, weil mir vonseiten der Politik immer wieder gesagt wird, dass die Betriebe doch nur den energieintensiven Bereich ins Ausland verlagern könnten. Doch das ist keine Lösung. Die Gefahr ist, dass andere Prozesse, wie zum Beispiel Forschung und Entwicklung, dann mitgehen und dies den Beginn der Deindustrialisierung Deutschlands darstellt.

»Ich begrüße den Vorschlag von Ministerpräsident Winfried Kretschmann«

Rechnet sich Klimaschutz für Unternehmen? Ist das ein Wettbewerbsvorteil?

Erbe: Langfristig ist das auf jeden Fall ein Wettbewerbsvorteil. Denn die Unternehmen senken ja ihre Energiekosten und steigern die Effizienz. Das ist gut und richtig. In Europa herrschen mit »Fit For 55« in der Theorie einheitliche Rahmenbedingungen – klimaneutrales Europa bis 2050 und Reduktion von CO2 um 55 Prozent bis 2030. In vielen öffentlichen Ausschreibungen taucht deshalb das Thema Nachhaltigkeit auf. Wer also zu viel Energie verbraucht, wird den Auftrag nicht erhalten oder rückt zumindest nach hinten. Insofern ist es auf jeden Fall ein Wettbewerbsvorteil, wenn die Produkte für den europäischen Markt gedacht sind.

Aber ein klimaneutral hergestelltes Skalpell ist nicht besser als eines aus Kohlestahl. Es schneidet nicht exakter oder ist auch nicht langlebiger. Sie können keinen höheren Preis dafür verlangen, wenn sie es im Ausland anbieten. Erkaufen wir die bessere Klimabilanz mit einer schlechteren Wettbewerbsfähigkeit?

Erbe: Die Frage ist, kommen unsere Unternehmen überhaupt zu dem Punkt, dass sie irgendwann klimaneutral erzeugten Stahl konkurrenzfähig anbieten können? Wenn deutsche Firmen mit ihren Produkten nicht wettbewerbsfähig sind und am Markt scheitern, dann ist nichts gewonnen – weder für den Klimaschutz noch für den Erhalt unserer Volkswirtschaft. Die Prognos-Studie sagt ganz klar, dass es ganz wichtig ist, welchen Weg wir einschlagen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Er muss so gestaltet sein, dass die Unternehmen ihn mitgehen können und nicht abwandern oder Pleite gehen. Es kommt auf das richtige Maß und auf die richtigen staatlichen Rahmenbedingungen an. Denn unsere Studie zeigt auch, dass es nur mit Einsparungen über Effizienzmaßnahmen nicht funktionieren kann und wird. Die Politik muss unsere Sorgen und Argumente ernst nehmen und darf nicht einfach sagen, die Industrie schafft das schon und ein Bestrafungssystem mit einer harten CO2-Bepreisung einführen. Das wird nicht funktionieren. Nachhaltigkeit besteht nun einmal nicht ausschließlich aus ökologischen Aspekten, die zweifelsfrei von immenser Bedeutung sind. Es geht immer auch um die Berücksichtigung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Aspekte, die allesamt miteinander zu vereinen sind. Die große Herausforderung besteht darin, den Transformationsprozess zu steuern und verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Nur dann kann die Industrie ihre Investitionen auf dem Marathon zur Klimawende richtig einsetzen. Diese klaren Vorgaben fehlen.

Aber diese klare Vorgabe ist doch da? Der CO2-Ausstoß soll in Baden-Württemberg bis 2030 um 23 Prozent sinken.

Erbe: Das Ziel ist formuliert. Aber es fehlt eine klare Vorstellung und Kommunikation über den Weg dorthin und eine aktive Mitnahme der Wirtschaft bei den Sektorenzielen. Das vermisst die Industrie in Baden-Württemberg, denn sie ist bisher weitgehend sich selbst überlassen. Deshalb begrüße ich den Vorschlag von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, die Sektorenziele für den Klimaschutz auch im Land zu überprüfen. Das verschafft der Industrie die Möglichkeit, die Kosten für die Transformation zu senken und nach den günstigsten Möglichkeiten zu suchen, um den CO2- Ausstoß zu reduzieren. Es ist ein Vorstoß für mehr Technologieoffenheit, den ich sehr begrüße. (GEA)

ZUR PERSON

Christian Erbe ist seit 2010 Präsident der IHK Reutlingen. Seit Oktober 2022 ist Erbe Präsident des Baden-Württembergischen IHK-Tags, wo er zuvor bereits als Vizepräsident aktiv war. Im März 2021 wurde er in den Vorstand des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) gewählt. (GEA)