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Chefwechsel bei der Handwerkskammer Reutlingen

Chefwechsel bei der Handwerkskammer Reutlingen: Der promovierte Jurist Joachim Eisert, 66, seit 17 Jahren Hauptgeschäftsführer, geht Ende März in den Ruhestand. Seine bisherige Stellvertreterin, Betriebswirtin Christiane Nowottny, 56, im vergangenen Sommer von der Vollversammlung zu seiner Nachfolgerin gewählt, übernimmt die Position Anfang April.

Joachim Eisert hört nach  17 Jahren als Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Reutlingen auf.
Joachim Eisert hört nach 17 Jahren als Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Reutlingen auf. Foto: Meyer Jürgen
Joachim Eisert hört nach 17 Jahren als Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Reutlingen auf.
Foto: Meyer Jürgen

REUTLINGEN. Bescheiden, wie Eisert ist, wollte er keinen großen Rummel mit einem öffentlichen Empfang zu seinem Abschied haben. Bei einer kammerinternen Veranstaltung hat er kürzlich das Staffelholz, das er 2007 zum Amtsantritt von seinem Vorgänger Roland Haaß bekommen hatte, an Nowottny weitergereicht. Im Gespräch mit dem GEA formuliert der scharfsinnige Jurist Eisert auf die Frage zu seiner Zeit in Reutlingen nach kurzem Nachdenken folgenden Satz: »Es war eine Mischung aus hoch interessant und erfüllend, aber mitunter herausfordernd und in manchen Situationen sicher auch frustrierend.« Ein Satz, der nach Erklärungen schreit.

Gründe für Frust

Interessant und erfüllend seien die vielfältigen gesetzlichen Aufgaben der Kammer nach der Handwerksordnung gewesen: die hoheitlichen, etwa die Führung der Handwerksrolle und die Abnahme von Meister- und Gesellenprüfungen; die politische Interessenvertretung des Handwerks; und das Dienstleistungsangebot: die Beratung der Mitgliedsbetriebe in wirtschaftlichen und rechtlichen, technischen und Umweltfragen, aber auch die Kurse in der Aus- und Weiterbildung.

Als herausfordernd empfand Eisert »die Abwehrkämpfe gegen die Europäische Kommission«, an denen er teilweise in Arbeitsgruppen des Baden-Württembergischen Handwerkstags und des Zentralverbands des Deutschen Handwerks mitgewirkt habe. Brüssel gefährde durch eine zu starke Liberalisierung des EU-Binnenmarktes »unser System der obligatorischen Qualifikation«. Es sei daher ein Erfolg, dass zwölf der im Jahr 2004 zulassungsfrei gestellten Gewerke seit 2020 wieder meisterpflichtig sind.

Frustrierend sei für ihn indes gewesen, so Eisert, wenn er erfahren habe, dass die guten Beratungsdienste der Kammer, »für die wir immer wieder werben«, bei Mitgliedsbetrieben unbekannt sind. »Unsere Betriebs- und unsere Rechtsberatung beispielsweise würde ich im Ranking der 53 Handwerkskammern in Deutschland ganz weit oben ansiedeln.« Frustrierend sei oft auch der Vorwurf gewesen, die Kammer tue in der Interessenvertretung nichts. Damit verbunden stellten manche Betriebe ihre Pflichtmitgliedschaft in der Kammer infrage. In Diskussionen habe er bemerkt, dass die Struktur der Interessenvertretung über Kammern, Landes- und Bundesorganistion nicht verstanden werde. Eisert erinnert daran, dass einst die Handwerker selbst für eine Selbstverwaltung durch Kammern eingetreten seien und sich nicht mehr »von betriebsfernen Obrigkeiten« verwalten lassen wollten.

Vorgesetzter von 100 Bediensteten

Eisert war der achte Hauptgeschäftsführer in der seit dem Jahr 1900 andauernden Geschichte der Handwerkskammer Reutlingen. Zusammen mit den ehrenamtlichen Präsidenten – bis Herbst 2014 Joachim Möhrle und danach Harald Herrmann – stand er an der Spitze der Körperschaft des öffentlichen Rechts, die für 13.800 Betriebe in den Landkreisen Freudenstadt, Reutlingen, Sigmaringen, Tübingen und Zollernalb mit zusammen 80.000 Beschäftigten zuständig ist. Der Hauptgeschäftsführer ist Vorgesetzter der 100 Kammerbediensteten.

Eisert war ein sehr engagierter und verantwortungsvoller, ein zielorientierter und umsichtiger Lenker der Reutlinger Kammer. Zu Beginn seiner Amtszeit weitete er das Dienstleistungsangebot der Einrichtung aus und verpasste ihr eine neue Organisationsstruktur. Die Bildungsakademie der Kammer in Tübingen-Derendingen wurde unter seiner Verantwortung saniert, das Internat dort abgerissen und neu gebaut. Auch in die Ertüchtigung des Reutlinger Kammergebäudes flossen in der Ära Eisert viele Millionen Euro. Dennoch steht die Kammer finanziell nach wie vor solide da.

In der Coronaphase galt es, Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Kurzarbeit bei der Kammer wurde vermieden. Den Friseurbetrieben, die etwa 1.000 der 13.800 Mitgliedsbetriebe der Kammer ausmachen und die durch Zwangsschließungen besonders gebeutelt waren, galt Eiserts Unterstützung: Ein frühes Ende des Lockdowns und keine Anwendung der 10-Quadratmeter-pro-Mitarbeiter-Regel im Kammerbezirk hat er erreicht. Bei vielen Betriebsbesuchen erhielt er Einblicke in das oft familiär geprägte Handwerksgeschehen samt manchem Generationskonflikt. So habe ein junger Meister ihn mal gefragt: »Gibt es eigentlich kein Gesetz, dass mein Vater jetzt aufhören muss?«

Klavierspieler und Oldtimerfan

Eisert, der am 16. März 1958 in Geislingen/Steige geboren wurde, hat in Tübingen Rechtswissenschaft studiert und dort auch seine Doktorarbeit geschrieben. Thema: »Das Menschenrecht auf Heimat in der Landesverfassung von Baden-Württemberg.« Von Mai 1991 an arbeitete er beim Baden-Württembergischen Handwerkstag in Stuttgart. Er begann dort als Leiter der Abteilung Recht und Sozialpolitik. Ab Juli 1998 war er Geschäftsführer und stellvertretender Hauptgeschäftsführer. Am 29. November 2006 wurde er zum Hauptgeschäftsführer in Reutlingen gewählt. 60 Bewerbungen um den Posten hatte es seinerzeit gegeben. Am 1. April 2007 fing er an. Die über 50 Kilometer Entfernung zu seinem Wohnsitz in Bad Ditzenbach (Landkreis Göppingen) waren nie ein Problem.

Eisert, verheiratet mit einer Ärztin, spricht deutsch, englisch, französisch, italienisch – und schwäbisch. Auch seine Lateinkenntnisse sind beachtlich. Er ist sehr belesen, kann prima Klavier spielen, ist Hobbyfotograf und Oldtimerfan. »Ich kann mir vorstellen, mich künftig ehrenamtlich zu betätigen und will einige Museen besuchen«, sagt er. (GEA)