Logo
Aktuell INTERVIEW

Chefin des Zentralen Immobilienausschuss: »Wohnen ist ein Grundbedürfnis«

Die Chefin des Zentralen Immobilienausschusses, Aygül Ökzan, kennt sich aus in der Baubranche

Aygül Özkan kann dem Förderprogramm einiges abgewinnen.  FOTO: ZIA
Aygül Özkan kann dem Förderprogramm einiges abgewinnen. FOTO: ZIA
Aygül Özkan kann dem Förderprogramm einiges abgewinnen. FOTO: ZIA

BERLIN. Aygül Özkan ist Chefin des Zentralen Immobilienausschusses und weiß, was schiefläuft am Bau. Im Interview erklärt sie, warum das Vorbild Wien nicht einfach kopiert werden kann und welche drei Beschlüsse zu mehr bezahlbaren Wohnungen führen würden.

GEA: Frau Özkan, Sie sind Rechtsanwältin und waren unter anderem drei Jahre Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration in Niedersachsen. Jetzt machen Sie in Immobilien. Warum?

Aygül Özkan: Ich war damals auch fürs Bauen zuständig, aber das passte nicht mehr in die Amtsbezeichnung. Und um Ihre Frage zu beantworten: Weil Bauen und Immobilien ein ganz spannendes Thema ist. Der Mensch verbringt fast 90 Prozent seiner Zeit im umbauten Raum. Immobilien, Gebäude oder öffentliche Einrichtungen beeinflussen den Menschen. Wir stehen mit der Immobilie im sehr, sehr engen Kontakt mit Menschen, und das ist für mich das Interessante.

Wenn die Immobilie doch so wichtig ist – warum haben die Parteien, Sie selbst sind CDU-Mitglied, es über Jahre nicht hinbekommen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen?

Özkan: Weil die Erwartung an die demografische Entwicklung bei vielen noch eine andere war. Die meisten sind davon ausgegangen, dass wir eine schrumpfende Bevölkerung haben. Die Erkenntnis, dass wir Zuwanderung bekommen, also Flüchtlinge plus die gewünschte Arbeitsmigration für unsere Wirtschaft, die hat man ausgeblendet. Als ich 2010 Bauministerin wurde, habe ich in Hannover lange mit den anderen Ministerien gerungen. Denn ich bin von einem anderen Trend ausgegangen. 2015, mit dem Anstieg des Flüchtlingszuzugs, fand ein Umdenken statt. Nur entstehen neue Wohnungen nicht und auf Knopfdruck – das dauert.

Aber jetzt hat Bauministerin Geywitz zusammen mit Kanzler Scholz jeweils eine Milliarde Euro für dieses und fürs nächste Jahr lockergemacht. Sie will die Zinsen verbilligen und ausschließlich Wohnungen des unteren und mittleren Preissegments fördern. Die Zinsverbilligung ist eine alte ZIA-Forderung. Sind Sie jetzt zufrieden?

Özkan: Das ist eine Idee, die im September beim Baugipfel im Kanzleramt entwickelt und als Prüfauftrag festgehalten wurde. Es geht nicht um »Modell Gießkanne«. Der soziale Wohnraum wird bis 2027 mit 18,15 Milliarden Euro sehr gut gefördert, das läuft. Was fehlt, sind Wohnungen im mittleren Segment – für die sprichwörtliche Krankenschwester oder den Polizisten, die beim Wohngeld vielleicht hinten runterfallen. Das lässt sich mit zinsverbilligten KfW-Darlehen ankurbeln. Wir hätten uns ein Minimum von 3 Milliarden Euro gewünscht, damit kann man zinsverbilligt etwa 100.000 Wohnungen mit guter Basis-Ausstattung bauen. Jetzt, nach dem Karlsruher Urteil, sind es immerhin insgesamt 2 Milliarden Euro für zwei Jahre. Das freut uns sehr. Denn es zeigt, dass das Problem erkannt ist und die Prioritäten richtig gesetzt werden.

Aber auch das reicht hinten und vorne nicht. Eigentlich kann es doch nur der Staat richten und selbst beziehungsweise über kommunale Genossenschaften günstige Wohnungen schaffen, die massiv subventioniert werden. Wien ist ein international gefeiertes Beispiel für solch eine Politik.

Özkan: Also ich sage jedem, der Genossenschaften nennt: Mir erschließt sich nicht, warum die Rechtsform der Genossenschaft mehr Wohnungen schaffen soll als private oder städtische Unternehmen. Wien wird oft als Beispiel genannt, doch die Stadt hat Jahrzehnte vorher eine andere Bodenpolitik betrieben, das Mietrecht ist auch anders als bei uns. Mieterinnen und Mieter müssen zum Beispiel größtenteils selbst für die Instandhaltung sorgen. Das Land Berlin beispielsweise hat durch die Investitionsbank ein gutes Förderprogramm aufgelegt, bei dem der Senat Vorgaben macht. Da wird klar gesteuert und das Geld zweckgebunden rausgegeben.

Aber noch mal: es reicht doch hinten und vorne nicht!

Özkan: Es reicht – natürlich – nicht. Die kommunalen Wohnungsgesellschaften leisten schon viel. Nur: Man kann nicht aufholen, was über Jahre in Bund und Ländern nicht gemacht wurde. Wir müssen jetzt echt Gas geben. Wohnen ist ein Grundbedürfnis – so wichtig wie Wasser und Brot.

Wenn Ihnen eine gute Fee drei Wünsche freigeben würde, um Bauen billiger zu machen, welche würden Sie auswählen?

Özkan: Ich würde mir von den Ländern wünschen, die Grunderwerbsteuer abzusenken. Fast alle sind an der Höchstgrenze. Das würgt das Bauen ab. Der zweite Wunsch: ein zinsverbilligtes Darlehen, um die Finanzierung des Wohnungsbaus wirtschaftlich zu machen. Genau das will die Bundesbauministerin mit der einen Milliarde erreichen. Und – drittens – müssen wir die Bauvorschriften radikal ausdünnen, damit endlich Tempo ins serielle Bauen kommt.

Die Forderung nach einer Harmonisierung der Bauordnungen durch die Bundesländer wird von Bundesregierung und Bauverbänden schon ewig erhoben. Das wird doch nie was.

Özkan: Klar: Im Alltag läuft es so, dass alle Ministerpräsidenten auf die föderale Struktur und ihre Zuständigkeiten pochen. Das platte Land hat andere Bedingungen als Bayern. Nur: In der Praxis käme man weiter, wenn die Länder untereinander den besten Beispielen folgen würden. Nehmen wir das Thema Lärm. Warum nicht den Lärmschutz hinter dem Fenster messen und nicht – wie bisher – davor? Die Koalition steht kurz davor, die Ausnahmeregeln für den schnellen Bau von Flüchtlingsunterkünften auf den Neubau von Wohnungen generell auszudehnen, wenn der Mietmarkt angespannt ist. Wir brauchen noch mehr solcher Beispiele! (GEA)

ZUR PERSON

Aygül Özkan, Jahrgang 1971, wurde in Hamburg geboren. Sie studierte Jura, trat 2004 in die Hamburger CDU ein und ist in der Hansestadt auch als Rechtsanwältin zugelassen. Von 2008 bis 2010 war sie Abgeordnete der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft. Anschließend wurde sie Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit, Bau und Integration in Nieder- sachsen und war damit Deutschlands erste Ministerin mit Migrationshintergrund. Derzeit ist die Mutter eines Sohnes Hauptgeschäftsführerin des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), der in Berlin und Brüssel über seine mehr als 400 Mitglieder, darunter 33 Verbände, für 37.000 Branchenunternehmen spricht. (GEA)