TÜBINGEN. Still sitzt der Angeklagte neben seinem Verteidiger. Emotionen zeigt der grauhaarige Mann nicht, als am zweiten Verhandlungstag mehrere Zeugen - zwei Polizeibeamtinnen und ein Richter - aussagen. Fünf Verhandlungstermine vor der 3. Großen Jugendkammer sind für den Prozess angesetzt, in dem sich der 69-Jährige aus dem Zollernalbkreis verantworten muss, der zur Tatzeit aber in einer Gemeinde auf der Alb lebte. Er soll die 13-jährige Tochter seiner Lebensgefährtin sexuell missbraucht haben, als sie in den Herbstferien 2021 zu Besuch bei ihm auf dem Campingplatz war.
Die Taten liegen bereits Jahre zurück. Das Mädchen lebte in Sachsen. Ihre Tante war in Baden-Württemberg und führte mit dem Angeklagten eine Beziehung, später lebte er mit der Mutter des Kindes zusammen. Das 13-jährige Mädchen sollte in den Herbstferien zwischen dem 19. und 31. Oktober 2020 zu Besuch auf die Alb fahren. Es wurde laut Zeugenaussagen alleine in den Zug gesetzt, die Mutter kam erst in der zweiten Herbstferienwoche nach, in der das Mädchen seinen 14. Geburtstag hatte. Die Polizeibeamtinnen berichteten aus den Vernehmungen der 13-Jährigen, der Familienrichter aus der Anhörung des Mädchens im einstweiligen Verfahren zur Klärung des Sorgerechts. Denn nachdem die angeklagten Taten angezeigt wurden, brachte das Jugendamt das Kind in einer Wohngruppe unter.
Schwester informiert die Polizei
Die Schwester des Mädchens hatte sich laut Zeugenaussagen aus Sachsen an das Polizeirevier Pfullingen gewendet, ihr sei zu Ohren gekommen, dass der Angeklagte ihre jüngere Schwester angefasst haben soll. Daraufhin waren im Sommer 2021 zwei Beamte in das Albdorf zur Wohnung des Angeklagten gefahren, der mittlerweile die Partnerin gewechselt hatte und mit der Mutter der 13-Jährigen zusammen war. Beide - Mutter und Tochter - lebten bei ihm. Die Pfullinger Beamtin hatte das Mädchen zunächst alleine im Streifenwagen zu den Vorfällen befragt, es zur Dienststelle mitgenommen und das Jugendamt informiert. Mit »weinerlicher Stimme« habe das Mädchen erzählt, dass es mit dem Lebensgefährten der Mutter nicht klar komme, dass er es angefasst und Nacktbilder von ihr gemacht, sie geküsst und sich nackt zu ihr gelegt habe. Die letzten Vorfälle soll es im Sommer 2021 gegeben haben.
Die Kriminalpolizei übernahm den Fall. Dabei wurde die 13-Jährige noch mal vernommen, außerdem die Wohnung des Angeklagten durchsucht. Die Polizei stellte unter anderem mehrere Handys, Laptops und eine externe Festplatte sicher und überprüfte die Geräte. Es wurden Nacktfotos, erotische oder kinderpornografische Bilder auf einem Laptop, einem Handy und der Festplatte gefunden. Dabei handelte es sich um Fotos »mit Fokus auf Dekolleté, Brüste und Po« der 13-Jährigen, außerdem noch solche, die ihre Scheide zeigten sowie Bilder, auf denen der Angeklagte sich selbst befriedigte, und Nacktbilder von der Mutter im Bad.
Kein Vertrauen zur Mutter
Die Kripo-Beamtin berichtete, dass das Mädchen eine Sonderschule besuche, einen IQ von 67 habe, geistig zurückgeblieben sei, groß, schlank, körperlich weit entwickelt sei und eine große Oberweite habe. Ihr gegenüber berichtete die 13-Jährige, dass sie und der Angeklagte in den Herbstferien im Wohnwagen auf dem Campingplatz zeitweise alleine waren. Dort habe er sie hineingeholt, sie ausgezogen, aufs Bett geworfen, sich auch ausgezogen und sich zu ihr gelegt, sie im Intimbereich berührt, geküsst und sei mit zwei Fingern in sie eingedrungen. Schon in den Sommerferien habe der Angeklagte von ihr Nacktfotos haben wollen, dazu kam es dann erst im Herbst. An den Brüsten angefasst und sie geküsst habe der Angeklagte sie auch später in der gemeinsamen Wohnung. Sie berichtete auch von einem Vorfall in der Wohnung, den die Mutter wohl beobachtet haben soll, diese hätte aber nicht reagiert, sei nicht eingeschritten, weshalb sich das Mädchen nicht um Hilfe an sie gewendet habe. Stattdessen soll die Mutter die Situation so hingestellt haben, als habe ihre Tochter den Angeklagten von sich aus angebaggert.
»Sie redete eher wie ein zehnjähriges Kind«
Wie die 13-Jährige auf sie gewirkt habe, wurde die Beamtin gefragt. Sie sei offen, freundlich, sehr höflich und ruhig gewesen. Sie habe den Eindruck gehabt, dass das Anfertigen der Nacktfotos für sie schlimmer als der sexuelle Missbrauch gewesen sei. Sie habe spontan, ohne lang zu überlegen, geantwortet, aber einfache Worte benutzt. So habe die Beamtin bemerkt, dass es dem Mädchen an geistiger Kompetenz fehle. »Sie redete eher wie ein zehnjähriges Kind«, sei einfach strukturiert, eine Intelligenzminderung sei festzustellen gewesen. Die Pfullinger Beamtin sagte, sie habe den Eindruck gehabt, dass das Mädchen den Fragen folgen konnte, es habe sich aber oft wiederholt. Es habe auch gesagt, dass es mit niemandem reden könne, ihm niemand glaube. Das rührt aus einer Geschichte aus der Vergangenheit her, als der Großvater die Schülerin als Kind wohl missbraucht habe, damals habe man ihr auch nicht geglaubt. Nur seiner Freundin habe das Mädchen von den Vorfällen in dem Albdorf berichtet, und die wiederum habe dann die Schwester informiert.
Die Anhörung des Mädchens im Sorgerechtsverfahren sei unspektakulär und unaufgeregt gewesen, sagte der als Zeuge geladene Richter am Amtsgericht Reutlingen. Das Mädchen habe alles verstanden, so sein Eindruck, es habe flüssig aber spärlich und »schmallippig« über den Vorfall im Wohnwagen erzählt. »Ihr war das unangenehm.« Außerdem sagte der Zeuge: »Sie war einfach in ihrer Denkweise, aber klar, zeitlich und räumlich orientiert.«
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit haben die Verfahrensbeteiligten dann noch die Video-Vernehmung des Opfers angeschaut. Der Prozess wird am 22. November fortgesetzt.