BURLADINGEN-MELCHINGEN. Klar, das konnte kein Theater sein, erst recht kein richtiges. Zu einem Festakt fehlten mindestens klingende Sektgläser, als der vom Lockdown schwer gebeutelte Melchinger Lindenhof sein Fest zum vierzigjährigen Bestehen online begehen musste. Einen ganz fixen Internet-Nerd hat sich das legendäre Theater von der himmelsnahen rauen Alb engagiert, der auf der Homepage ein virtuelles Kassenhäusle gezimmert hatte und den Fans für den Zugang zum Fest fünf Euro abknöpfte. Not macht erfinderisch. Und es herrscht Not auf dem kargen Bretterboden.
Natürlich ist auch die Gründergeneration, die sich von Simone Haug in die guten alten Zeiten zurückträumen lassen durfte, mit ihrer wundersamen Bühne in die Jahre gekommen. Patriarch Uwe Zellmer hat sich schon lang aufs Altenteil der Stiftung zurückgezogen. Auch Bernhard Hurm hat sich inzwischen aus dem operativen Geschäft verabschiedet. Nur Stefan Hallmayer, damals ein Jungspund in der Truppe jungwilder Schauspieler, stemmt weiter sein Intendantenamt, das mit Corona zur schweren Last geworden ist.
Weiterhin »zackig und geschmeidig« bleiben
Mit Videobotschaften reihten sich Dietlinde Elsässer, die taffe Frau im Gründertrio, und Ida Ott, so etwas wie die zweite Primadonna der Ur-Truppe an ihrer Seite, unter die Gratulanten ein. »Weiter zackig und geschmeidig« solle das Lindenhof-Theater bleiben, sagte »Dietel«. Und angemessen poetisch wurde Ida Ott: »Die Sehnsucht nach einem anderen Zustand der Welt ist wichtiger denn je.«
Auch eine ganze Reihe Bürgermeister, allen voran Jürgen Kissing aus Bietigheim-Bissingen, der Pionierkommune als Partner des Tourneetheaters Lindenhof, schickten Grußbotschaften. Das Land und 20 Städte und Gemeinden tragen inzwischen das Netzwerk, das endlich, bis zum Lockdown, die sichere wirtschaftliche Basis bildete.
Zehn Jahre habe der harte Kampf gedauert, bis die Existenz halbwegs gesichert war, bilanzierte Uwe Zellmer und erzählte, wie das Bauamt 30 Mann hoch angerückt sei, um in dem früheren Dorfgasthof die Auflagen des Baurechts durchzusetzen. Über den in einer Ecke bitterlich heulenden Bernhard Hurm habe ein Beamter voll Mitgefühl gesagt: »Gell, dem goht’s an d’ Niera.«
Anspruchsvolles Dialekt-Theater
Zwei Weggenossen leben lang schon nicht mehr: der Dichter Peter Härtling, der an wandelnden Theaterereignissen wie der »Winterreise« mitwirkte, und der Rhetorik-Professor Walter Jens, dessen Einfluss wichtige Wege bahnte. Schnell schon wurde das anspruchsvolle Dialekt-Theater für sein Hexenstück oder »Polenweiher« mit Preisen überhäuft, die, so Zellmer, »zum Überleben halfen«. Mit dem »Rathgeb«, der »Bahnfahrt« oder den »Hölderlin«-Events, die sogar die New York Times lobend zur Kenntnis nahm, schrieben auch Regisseure wie Stefan Viering, Philipp Becker und Siegfried Bühr mit der Truppe Theatergeschichte beim »Entdecken von Räumen«, ein Härtling-Wort. Die Inszenierungen zum Tübinger Sommertheater gehören zur Lindenhof-Legende wie der »Woyzeck« oder Thaddäus Trolls »Entaklemmer«.
Von »Dialekt und Dialektik« sprach der Talheimer Karola-Bloch-Verleger Welf Schröter in die Kamera, der sich an der Seite der Lindenhöfler stark für den Spielort der Mössinger Pausa und das Stück zum Generalstreik gegen die Nazis eingesetzt hatte. Auch musikalische Begleiter wie Heiner Kondschak, Susanne Hinkelbein oder Wolfram Karrer blieben nicht unerwähnt beim virtuellen Erinnern. Gefühlvoll war es, manchmal bis zum Rührseligen – aber eben leider nur ein Livestream. (GEA)