ENGSTINGEN. Lust auf ein tierisches Abenteuer in den eigenen vier Wänden? Wie wäre es dann mit einer Streunerkatze als Hausgenossen? Diese draußen, meist auf oder um Aussiedlerhöfe aufgewachsenen Tiere sind Menschen nicht gewohnt, sie zu Hauskatzen zu machen erfordert daher Einfühlungsvermögen, Wissen über die Katzenpsyche und viel Geduld. Also eine echte Herausforderung für aufgeschlossene und wissbegierige Tierfreunde, mit Respekt vor den Individualisten unter den Haustieren.
Gabi Brendle und Uschi Rollmann und der Tierschutzverein Münsingen haben sich der Sorge um Streunerkatzen verschrieben und dafür im Herbst den Landestierschutzpreis bekommen. Die beiden Frauen und ihre ehrenamtlichen Unterstützer fangen die Streuner ein. Das ist leichter gesagt, als getan: Vor dem Jagderfolg steht oft eine lange Pirsch. Die gefangenen Tiere werden dann tierärztlich versorgt, kastriert und aufgepäppelt, denn sie sind oft in einem schlechten Zustand. »Katzen sind keine Wildtiere. Allein kommen sie nicht zurecht, auch wenn das nicht immer so aussieht«, sagt Gabi Brendle.
»Katzen sind keine Wildtiere. Allein kommen sie nicht zurecht, auch wenn das nicht immer so aussieht«
Sind die Katzen wieder gesund und kräftig, müssen sie irgendwo untergebracht werden, die Plätze in den Tierheimen sind rar. Am besten ist es, wenn die Tiere wieder dahin zurückgebracht werden, wo sie herkommen. »Da kennen sie sich aus und bleiben auch, haben keinen Stress in fremder Umgebung«, sagt Brendle. Catch-and-Release, fangen und wieder freilassen, nennen das die Angler. Ganz so wie bei den Petrijüngern ist es natürlich nicht, es kommen andere Individuen zurück.
Kastrierte Katzen pflanzen sich nicht fort, die Zahl der Streuner steigt nicht mehr. Und den Tieren geht es tatsächlich besser, wenn sie die Energie und die Kalorien sparen, die bisher beim Poussieren draufgingen. Sie werden auch nicht einfach aus dem Auto geworfen, sie kommen nur zurück, wenn vor Ort für sie gesorgt wird. Es muss einen warmen Schlafplatz geben, in einer Scheune oder im Stall. Und sie müssen gefüttert und getränkt werden, so will es das Tierschutzgesetz. Bei den Futterkosten gibt es übrigens Unterstützung vom Reutlinger Tierheim.
Die Landwirte, mit denen der Tierschutzverein zu tun hat, sind meist - nicht immer - kooperativ. Sie bekommen ihre Mäusefänger zurück, mehr werden es wegen der Kastration nicht werden und sie fangen, gesund und ohne sexuelle Abenteuer, tatsächlich mehr Nager, hören Brendle und Rollmann beim Feedback: »Auch wenn sie gefüttert die Mäuse nicht mehr fressen.«
Aber es kann nicht immer zurück in die alte Heimat gehen. Brendles Mimi ist so ein Beispiel. Die Katze hatte sich um einen abgelegenen Feldschuppen herumgetrieben, an einen ständig gefüllten Fress- und Wassernapf war dort nicht zu denken. Und Uschi Rollmann hat ihren Marley mitten im Wald gefunden, in einem erbärmlichen Zustand. »Megascheu, mit Zahnproblemen und einem Rasseln in der Lunge«, erzählt sie. Beide Katzen konnten nicht vermittelt werden, zurück in den Wald oder in den Schuppen ging auch nicht. Beide sind deswegen bei den Tierschützerinnen geblieben.
Mimi war vor drei Jahren gerade Mutter geworden, ihre fünf Babys hat sie in einem Heuwagen abgelegt. Was Mimi nicht wusste: Der Wagen machte sich mit den Katzenbabys, aber ohne die junge Mutter, auf die Reise, die erbärmlich schreienden Kleinen wurden erst am Ziel ein paar Dörfer weiter entdeckt. Der Außenschuppen, wo der Wagen herkam, konnte schnell gefunden werden. Jetzt ging es auf die Suche nach der Mutter. Mit dem Babygeschrei auf Band wurde Mimi in die Falle gelockt, die Kleinen konnten schnell vermittelt werden. »Kätzchen können an Menschen gewöhnt werden, Katzen nicht«, weiß Brendle.
»Katzen brauchen Gesellschaft, aber nicht unbedingt einen Menschen«
Mimi blieb also beim Tierschutzverein und für sie und Gabi Brendle begann ein neuer Lebensabschnitt. Mimi ist eine soziale Katze, mit Artgenossen hat sie keine Schwierigkeiten und mit Kater Flocke kommt sie gut aus. »Katzen brauchen Gesellschaft, aber nicht unbedingt einen Menschen«, hat Brendle beobachtet. Mit den lauten Zweibeinern hat sie - anders als mit dem Kater - lange gefremdelt. Mittlerweile lässt sie sich streicheln, »wenn sie will«.
Bei Marley sieht es ähnlich aus, bei ihm hat es mehrere Monate gedauert, bis Uschi Rollmann ihn auch mal herzen konnte. Auf den Arm genommen werden mag Marley gar nicht, was den Tierarztbesuch schwierig macht. Ansonsten hat er sich gut eingefügt. Der Besuch des Katzenklos ist übrigens für Streuner kein Problem, über die Sauberkeit muss man sich also keine Gedanken machen. »Katzen wollen scharren, am besten ist ein offenes Katzenklo, damit sie wie gewohnt die Umgebung im Auge behalten können«, rät Rollmann, »dann klappt das sofort.«
»Wenn es dann klappt, ist es eine tolle Erfahrung und macht einen auch ein bisschen stolz«
»Die Katzen werden schon«, macht Brendle Mut. Die Tiere in Ruhe lassen, nicht drängen, »dann kommen sie schon«. Damit sie sich an die neue Umgebung gewöhnen, kommt an ein Fenster ein Hasendraht - so können frische Luft, Umgebungsgeräusche und Sonne genossen werden. Auch wenn es einige Mühe erfordert: »Wenn es dann klappt, ist es eine tolle Erfahrung und macht einen auch ein bisschen stolz.«
Tierschutzverein Münsingen
Der Tierschutzverein Münsingen hat seinen Sitz in Engstingen. Ein Tierheim unterhält der Verein nicht, es gibt nur einige Katzenpflegeplätze für Notfälle. Er arbeitet eng mit dem Tierheim Reutlingen zusammen. Die Tierschützer helfen Tieren, vom Hamster bis zum Haflinger, ein Schwerpunkt sind Straßenkatzen. Der Verein kümmert sich um Kastration, medizinische Versorgung und ein würdiges Leben auf der Straße. Wer den Verein unterstützen möchte, findet weitere Hinweise im Internet. Gespendet werden kann einfach per Paypal. (GEA) www.tierschutz-muensingen.de
Das Tierheim Reutlingen und der Tierschutzverein Münsingen vermitteln die Tiere in gute Hände, gegen einen Kostenbeitrag für Kastration und Impfung. Das kostet Geld, ist aber immer noch billiger als eine Katze vom Züchter und auf jeden Fall besser, als Katzen aus dubiosen Massen- oder modischen Qualzuchten. Für Tierfreunde, die eine Katze zum Knuddeln oder zum Spielen für die Kinder suchen, sind die ehemaligen Streuner nichts. Eher für Menschen, die das Besondere reizt. Und die vielleicht schon als Kind versucht haben, so ein unabhängiges Tier an sich zu binden. »Die Wildlinge haben eine Chance verdient«, macht Uschi Rollmann Mut zum Abenteuer. (GEA)