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Aktuell Infrastruktur

Strom und Wärme: Das Alte Lager wird »biotark«

MÜNSINGEN. Das Urlaubs-Selfie wird abends noch schnell per Smartphone übers WLAN an die Kumpels verschickt. Ganz gemütlich vom Sofa aus, in einem hellen und warmen Zimmer, das früher mal eine spartanische Soldaten-Schlafstube war. Das Alte Lager bei Münsingen will Franz Tress in die Tourismus-Destination »Albgut« verwandeln.

Foto: Marion Schrade
Foto: Marion Schrade
Und die braucht – bei allen landschaftlichen und architektonischen Reizen des historischen Kasernengeländes – vor allem auch eine Infrastruktur, die nicht nur ausreichend dimensioniert ist, sondern in Zeiten der Energiewende als ressourcenschonendes Gesamtkonzept auch Modellcharakter hat.

Der Bebauungsplan fürs »Albgut« steht und liegt bei den Behörden zur Genehmigung, Frischwasserversorgung und Kanalsanierung sind schon in Arbeit, berichtet Tress, der seit einem Jahr Eigentümer des Geländes ist. Internet, Heizung und Strom sollen folgen. Partner für eine nachhaltige Energieversorgung sind gefunden und stecken mitten in den Planungen: Vertreter der Klimaschutzagentur Reutlingen und des Energieversorgers Erdgas Südwest gaben jetzt gemeinsam mit Tress erste Einblicke in ein Konzept, das vorsieht, das Ensemble aus 147 denkmalgeschützten Gebäuden auf einer Fläche von 92 Hektar so autark wie möglich aus regenerativen Quellen zu versorgen.

Zum Einsatz kommen sollen beispielsweise Fotovoltaik, Solarthermie und Holz. Herzstück könnte ein Blockheizkraftwerk sein – mit dieser Lösung mache man in der Nudelfirma, die Tress inzwischen an seinen Sohn Markus übergeben hat, seit einem Jahr gute Erfahrungen. Aber auch unkonventionellere Ansätze – Brennstoffzellen mit selbst erzeugtem Wasserstoff etwa – könnten eine wichtige Rolle spielen, berichtete Tobias Kemmler, Geschäftsführer der Klimaschutzagentur. »Die Technologien sind da. Man muss sie nur intelligent zusammenstückeln«, brachte es Achim Lotter, Projektleiter der Erdgas Südwest, auf den Punkt.

Kosten von fünf Millionen Euro

Rund fünf Millionen Euro veranschlagen die Fachleute für die Realisierung ihres Energiekonzepts – von der Straßenbeleuchtung bis zur Heizung. Ob und woher Zuschüsse dafür fließen, ist noch offen. Seit einem guten halben Jahr und auch im Moment noch stecken die Partner in den Planungen – sie allein werden mit 130 000 Euro veranschlagt. Allerdings: 65 Prozent der Planungskosten sind mit dem positiven Bescheid der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) quasi schon beglichen, das Projekt hat's ins Förderprogramm »energetische Stadtsanierung« geschafft.

Mit im Boot sind auch die Stadtwerke Münsingen – zumal es, wie Bürgermeister Mike Münzing anmerkte, nicht ausgeschlossen ist, dass die Nachbarn des Alten Lagers dereinst in dessen energetische Versorgungsstruktur eingeklinkt werden. Vor wenigen Wochen hat Münzing den Stadtsanierungsantrag fürs Vorlager beim Regierungspräsidium eingereicht. Mit dessen Bewilligung und Tress' Konzept, glaubt Münzing, könnte die Stadt ihrem Traum vom Bioenergiedorf ein Stück näher kommen. Entsprechende Versuche in Münsinger Teilorten sind in der Vergangenheit gescheitert – nicht zuletzt an der Vielfalt von Interessen der einzelnen Beteiligten. Das Alte Lager samt Vorlager ist zwar offiziell kein eigener Stadtteil, könnte aber als energieautarkes Quartier eine Vorbildrolle einnehmen.

Nun ist es natürlich nicht so, dass die Soldaten in den vergangenen Jahrzehnten im Kalten und Dunkeln gesessen hätten. Eine Energieversorgung gab's schon – erst mit Kohle, später mit Öl, und in den 1990ern investierte die Bundeswehr zumindest entlang der Lagerhauptstraße noch in Gas. Doch ist die Infrastruktur inzwischen nicht mehr zeitgemäß und schon gar nicht zukunftsweisend. Genau das soll sie aber werden. »Nachhaltigkeit« haben sich das Biosphärengebiet und die Stadt Münsingen auf die Fahnen geschrieben. Ein Musterbeispiel für Nachhaltigkeit – vom Tourismus über die gläserne Produktion lokaler Produkte bis hin zur Infrastruktur des Quartiers – will auch Tress mit seinem »Albgut« geben.

Hackschnitzel im Kohlebunker

Was die früheren Eigentümer an Versorgungsbauten hinterlassen haben, wollen der neue und seine Partner teilweise in ihr Konzept einbinden und umnutzen. Der riesige Kohlebunker etwa könne künftig als Lagerstätte für Holzhackschnitzel genutzt werden, erläuterte Projektleiter Achim Lotter. Und für eine Fotovoltaik-Anlage sei das Dach des Bunkers geradezu ideal.

Es sei nicht vorgesehen, neue Funktionsbauten zu errichten, betonte Tress – allein schon im Interesse des Denkmalschutzes. Er geht davon aus, dass sein »Albgut« schon im kommenden Jahr »ölfrei« sein wird. Erdgas ist für die Fachleute zunächst der »ablösende Faktor«, über einen Zeitraum von acht Jahren soll das Energiekonzept Schritt für Schritt weiter umgesetzt werden. Ziel ist ein »biotarkes« Areal: Erneuerbare Energien, die vor Ort erzeugt und verbraucht werden, ersetzen fossile Brennstoffe zu immer größeren Teilen – und machen sie im Idealfall irgendwann ganz verzichtbar. (GEA)