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Aktuell Archäologie

Steinschlagen ist eine Kunst

Internationales Flintknapping-Symposium mit Wissenschaftlern aus neun Nationen in Blaubeuren

Archäologin Elena Moos zeigt ihre Steinzeitwaffenkollektion.
Archäologin Elena Moos zeigt ihre Steinzeitwaffenkollektion. Foto: Johannes Ogrzewalla
Archäologin Elena Moos zeigt ihre Steinzeitwaffenkollektion.
Foto: Johannes Ogrzewalla

BLAUBEUREN. Es ist etwas schwer, sich vorzustellen, wie Menschen einmal in der Lage gewesen sein sollen, mit der bloßen Hand aus Steinen vollwertige Werkzeuge anzufertigen. Genau das machen »Flintknapper«. Das Flintknapping hat einen Sinn: Durch die Anfertigung steinzeitlicher Werkzeuge erhalten sie einen tiefen Einblick in die Evolution des Menschen. Der Anthropologe William Snyder untersucht etwa anhand der ursteinzeitlichen Werkzeuge die evolutionäre Entwicklung von Gedankengängen, Lernprozessen und der allgemeinen Kognition der Menschen.

Aus dem Innenhof des »Urmus«, des Urgeschichtlichen Museums in Blaubeuren, hört man Klopfen. Feuersteinbearbeiter und Experimentalarchäologen aus neun Nationen trafen sich zum 15. Internationalen Flintknapping-Symposium, um Messer, Beile oder Sicheln aus Stein herzustellen und die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diskutieren.

»Man muss sich in den Stein hineindenken«

Für das Steinschlagen griffen die Menschen der Steinzeit auf den Feuerstein, den »Stahl der Steinzeit« zurück, denn nicht jeder Stein ist für Werkzeuge geeignet. Feuerstein gibt’s auf der Schwäbischen Alb nicht, so reisten die Wissenschaftler mit bis zu 200 Kilogramm Steinen im Gepäck an. Das war in der Steinzeit nicht anders, Feuersteinrohmaterial kam aus Frankreich. Internationalen Handel gibt es länger, als man denkt.

Es muss ein muschliger Bruch beim Schlag auf den Stein folgen, erklärt der Organisator des Symposiums und Geowissenschaftler Jan Scheide. Wenn Glas bricht, sei dieser Bruch gerade und scharfkantig. Nach diesen Kriterien wird der Stein ausgesucht. Ein geeigneter Stein dürfe kein Gefüge und keine Struktur haben – Kristalle oder Sandsteine sind deswegen ungeeignet, sie können nicht gezielt brechen.

»Man muss sich in den Stein hineindenken und die Bruchmechanik verstehen«, beschreibt Jan Scheide das Steinschlagen. Man könne sich den Bruch wie eine »Welle durch den Stein« vorstellen. Da der Stein im Gegensatz zu Wasser fest ist, bricht er. Damit er richtig bricht, müssen Kraft, Winkel und Präzision genauestens kontrolliert werden. Für die Schlagwerkzeuge verwenden die Forscher historisch korrekte Materialen – Stein, Holz oder ein Hirschgeweih.

Für ein Beil mit Feuersteinklinge braucht ein erfahrener Steinschläger 45 Minuten bis zwei Stunden. Mehr Zeit kostet das Schleifen der Klinge, es nimmt sechs bis acht Stunden in Anspruch. Geschliffen wird mit weicherem Stein wie beispielsweise Sandstein. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Geologen ordnen die Schärfe von Klingen aus Feuerstein auf einer Skala von 1 bis 10 der Stufe 7 zu, schärfer als Stahl. Das Handwerk gibt den Wissenschaftlern Aufschluss über den Menschen selbst. Antje Wilton, Professorin an der Freien Universität Berlin, begeistert das »Interesse an dem, was den Menschen zum Menschen macht«. Das Lösen von Problemen mit vorherigem Planen stelle eine wichtige Eigenschaft der Menschen dar.

»Wir können heute nichts mehr alleine«

Professor Nicholas Conard, wissenschaftlicher Leiter des Urmus, erklärt ein wachsendes Interesse an grundlegenden Fähigkeiten wie dem Steinschlagen mit einer gewissen Hilflosigkeit der heutigen Menschen, gewöhnt an Arbeitsteilung. »Wir können nichts«, meint er halbernst. Das Leben in der Steinzeit war dagegen ganzheitlich. Fähigkeiten wie das Steinschlagen benötigte man zum Überleben, sonst hätte man ein Problem gehabt. Unsere Vorfahren mussten Allrounder, Universalgenies sein.

Für die Archäologie ist die Alb wegen der Vielzahl von Funden von Bedeutung. Man könne den steinzeitlichen Mensch auf der Schwäbischen Alb eben »sehr gut greifen«, erklärt der Experimentalarchäologe der Universität Tübingen, Rudolf Walter. Walter führt die internationalen Gäste durch die Höhlen des Ach- und Lonetals: »Da bekommst du Schnappatmung«, beschreibt Archäologe Josef Engelmann aus Österreich seine Erfahrung, »die Schwäbische Alb ist eine Schatzkammer.« Wer sich selbst am Flintknapping versuchen will, hat dazu am Sonntag, 2. Juni, bei einem Workshop Gelegenheit. (GEA)

 

FLINTKNAPPING FÜR LAIEN

Das Urzeitliche Museum hat von April bis Oktober Dienstag bis Samstag und an Sonn- und Feiertagen von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Die Sonderausstellung »WerkZeugen – Werke erzeugen, Zeuge werden« ist während der Saison 2024 zu sehen. Am Sonntag, 2. Juni, wird der Workshop »Die Welt der Feuersteinschläger in Theorie und Praxis« für Erwachsene und Jugendliche ab 14 Jahren angeboten. Vermittelt werden Techniken der Steinbearbeitung über die Herstellung von Steinklingen bis zur Weiterverarbeitung von Klingen zu Bohrern, Sticheln, Kratzern und mehr. Kursleiterin ist Elena Moos. Weitere steinzeitliche Techniken erlernt man in der »Steinzeitwerkstatt«. (GEA) www.urmu.de