ST. JOHANN.. Seit Monaten, berichtete Tobias Brammer von der Geschäftsstelle des Biosphärengebiets Schwäbische Alb in Münsingen, besuchen er und seine Kollegen Gemeinderatssitzungen und organisieren Info-Veranstaltungen, wie es sie auch in St. Johann gab. Die Erweiterung des 2008 eingerichteten Unesco-Reservats ist eine große Sache, denn eine weitere Runde wird es wohl nicht geben. Wer noch nicht drin ist oder noch nicht ganz, hat jetzt die letzte Chance. Sechs Kommunen, so Brammer, wollen neu dazu stoßen, 16 weitere sind schon mit einem Teil ihrer Fläche dabei und wollen jetzt aufstocken. Zu letzteren gehört auch St. Johann.
Der »Eintrittspreis« bemisst sich nicht nur in einem höheren Mitgliedsbeitrag, sondern vor allem daran, ob eine Kommune das Soll an Kernzonen erfüllen kann. 99 Hektar Wald hätte die Gemeinde St. Johann stilllegen müssen, so sind die Spielregeln der Unesco. Eigentlich. Denn die hiesige Biosphärengebietsverwaltung zeigte sich, wie auch Franz-Josef Risse als Leiter des Kreisforstamts betonte, ausgesprochen kompromiss- und verhandlungsbereit. »Das ging bis an die Schmerzgrenze«, so Risse. Neben einer deutlich reduzierten Fläche ging das Biosphärengebiet einen weiteren Deal ein: Normalerweise sollten Kernzonen 50 Hektar zusammenhängendes Waldgebiet umfassen - St. Johann darf ausnahmsweise splitten.
Zwei kleinere neue Kernzonen reichen
Sonderregeln lassen sich meist durch Besonderheiten rechtfertigen, das ist auch in St. Johann so: Vorgesehen ist, dass für Kernzonen Schlucht- und Hangwälder herangezogen werden, die ohnehin bereits gar nicht oder nur mit erheblichem Aufwand zu bewirtschaften sind. Solche - forstwirtschaftlich minderwertigen - Bereiche habe St. Johann nicht zu bieten, so Risse. Hochproduktive Standorte stillzulegen, das betonten Forst- und Biosphärenvertreter gleichermaßen, ist nicht im Sinne des Erfinders. Deshalb gilt für St. Johann: Gemacht wird eben das, was möglich ist.
Eine etwa 15 Hektar große Kernzone am Guckenberg gibt es bereits. Zwei weitere Flächen blieben nach der Suche, an der neben Risse auch Revierförster und Gemeinderat Enzian Schneider beteiligt war, übrig. Der Hirnberg am Würtinger Ortsrand, der auf 24,2 Hektar relativ schwer zugängliche Flächen in steiler Lage hat. Und der Bühl bei Ohnastetten mit 18,7 Hektar: »Er grenzt an ein bestehendes Naturschutzgebiet an und wird bisher schon kaum bewirtschaftet.«
Daraus leiteten die Forst-Fachleute und die Gemeindeverwaltung drei Vorschläge ab, die sie nun dem Gemeinderat zur Abstimmung vorlegten. Das Gremium entschied sich nach umfassender Diskussion mit neun Ja-, fünf Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen für den weitreichendsten: Beide vorgeschlagenen Bereiche werden als Kernzonen eingebracht. Für die Gemeinde bedeutet das, dass sie künftig mit ihrer gesamten Gemarkungsfläche Teil des Biosphärengebiets ist. Die beiden Alternativen wären gewesen: Nur eines der beiden Waldstücke wird Kernzone, dafür wird allerdings auch die Beitrittsfläche reduziert. Der Mitgliedsbeitrag dürfte künftig bei etwa 10.000 statt bisher 6.595 Euro liegen, wobei der Landkreis die Hälfte davon übernimmt.
Ökopunkte gleichen den Verlust aus Holzverkäufen aus
Franz-Josef Risse legte etliche Zahlen und Berechnungen vor, die deutlich machten: Die Kernzonen sind kein Verlustgeschäft für die Gemeinde. 8.900 Festmeter Holz werden jährlich im St. Johanner Wald geerntet, nach Ausweisung der Kernzonen werden es 2,5 Prozent weniger sein. Das mache sich nicht negativ bemerkbar, betonte der Kreisforstamtsleiter, ganz im Gegenteil. Denn die Gemeinde verzichtet zwar auf Holzerträge, gewinnt aber durch die Kernzonen Ökopunkte, deren Wert die Einnahmen aus dem Holzverkauf sogar übersteigen dürfte. Die Punkte kann St. Johann zudem gut gebrauchen, wie Bürgermeister Florian Bauer anmerkte: Derzeit werden mehrere Gewerbe- und Wohngebiete realisiert, für alle werden Ausgleichsflächen benötigt.
»Die Vorteile überwiegen die Nachteile bei weitem«, lautete Risses Fazit zu St. Johanns vollständigem Beitritt, das sehe man auch im Landratsamt so, ließ er von Landrat Ulrich Fiedler ausrichten. »Eine halbe Lösung ist auf Dauer nicht akzeptabel«, befand Bürgermeister Florian Bauer. Es sei nicht zu vermitteln, warum Gächingen, Lonsingen und Upfingen im Biosphärengebiet sind und die anderen Teilorte nicht. Diese Ungleichbehandlung beschäftigte auch etliche Räte, die sich zu diesem Aspekt zu Wort meldeten. »Wir brauchen eine Lösung für alle Ortsteile«, betonte Manuela Wendler, Timo Herrmann ergänzte: »Wir sollten nicht der Hälfte der Gemeinde die Chance verbauen, Fördergelder zu bekommen, Biosphärengastgeber oder -partnerbetrieb zu werden.« Denn bisher ist es in der Tat so: Wer beispielsweise in Gächingen einen Betrieb hat, kann Fördergelder beim Biosphärengebiet beantragen - hätte dieselbe Firma ihren Sitz beispielsweise in Bleichstetten, ginge sie leer aus.
Zu den größten Skeptikern gehören zwei Gemeinderäte, die in Diensten des Landkreises stehen: Michael Heinz, der bei der Wasserbehörde ist, und Revierförster Enzian Schneider. Heinz war in der Sitzung entschuldigt, ließ aber seinen Ratskollegen Kristian Janzen eine Liste mit 14 Punkten verlesen. Heinz fürchtet unter anderem Einschränkungen der »Selbstbestimmung« und für die Jagd, zweifelt am Mehrwert von Einrichtungen wie Biosphärenschulen und daran, dass die Fördergelder - aus seiner Sicht zu wenig - viel bewegen können.
Förster und Gemeinderat: Enzian Schneider in schwieriger Doppelrolle
Nicht nur Timo Herrmann wunderte sich über Enzian Schneiders langes Plädoyer, das sich anschloss. »Ich find's schwierig, dass Sie Werbung gegen Ihren eigenen Vorschlag machen«, verwies Herrmann auf Schneiders Doppelrolle. Als Revierförster war Schneider am Abstimmungsprozess mit der Biosphärengebietsverwaltung eng beteiligt, als Bürger und Gemeinderat vertritt er eine andere Meinung als die dienstliche. »Käseglocken-Naturschutz war gestern«, formulierte er seine Zweifel am Konzept des Biosphärengebiets und äußerte seine Befürchtungen, der Alb-Tourismus könnte sich zum Massen-Tourismus auswachsen. Der Kompromiss, den man ausgehandelt habe, sei gut, räumte er ein, aber: Der Preis sei zu hoch, man bezahle mit realen Nachteilen für virtuelle Vorteile.
Das wollte Tobias Brammer als Vertreter des Biosphärengebiets so nicht stehen lassen. Er berichtete, dass beispielsweise die Schulen die Vorteile der Biosphären-Partnerschaft erkennen und schätzen, »wir haben mehr Anfragen als wir bedienen können«. Projekte wie die Bio-Musterregion, die nachhaltiges, regionales Essen in der Kantine etablieren wollen, werden von großen Unternehmen wie Elring-Klinger unterstützt. Und von Massen-Tourismus könne nicht die Rede sein: »Wir stehen für gelenkten, nachhaltigen Tourismus.« Dazu gehören neben Prädikatswanderwegen - »alle Kommunen wollen zwei oder drei haben« - auch Kooperationen wie die mit dem Albverein zur Neubeschilderung des riesigen Wegenetzes. Auch St. Johann hat schon konkrete Wünsche, die auch so im Gemeinderatschbeschluss festgehalten sind: die Gemeinde erhofft sich Unterstützung bei Planung und Bau eines Biosphärenspielplatzes in Bleichstetten neben dem neuen Bürgersaal und befürwortet die Gründung eines Vereins »Gemeinde St. Johann aktiv«. (GEA)