MÜNSINGEN. Spazierengehen ist eine Wissenschaft, Spaziergangsforschung kann man tatsächlich studieren. Reinhard Krehl hat's getan, beim Erfinder derselben, Professor Lucius Burckhardt in Kassel. Eigentlich ging sein Weg Richtung Landschaftsplanung, er bog aber ab: »Das bewusste Spazierengehen hat bei mir direkt in die Kunst geführt.« Mit Erfolg, Krehl ist bildender Künstler, und er schreibt, gerne auch Gedichte. Außerdem ist er experimentell arbeitender Gärtner, mit dementsprechend geschulten Blick. Sein neues Buch »zwischen hochbehälter und wolken - Gedichte und Hasenklee« ist jetzt erschienen und im Buchhandel erhältlich. Auch oberhalb der Hochbehälter widmet er sich Spaziergängen, diesmal auf der Münsinger Alb. Ergänzt wird die Poesie von Pflanzenselbstdrucken, gemeinsam entsteht eine dichterisch-künstlerische Liebeserklärung an seine alte Heimat - Krehl pendelt zwischen Münsingen und Leipzig. »Auf die Alb kann man nur schwer verzichten«, hat er in der Fremde gelernt.
Gehen bringt das Denken in Gang, draußen, ob in der Natur oder im menschlich geprägten Raum, werden Eindrücke mit allen Sinnen erfahren: »Das ist meine künstlerische Methode, das fließt in meine Werke ein.« Gedichte und im neuen Buch Drucke bilden so eine Einheit, die olfaktorische Erfahrung kann der Leser sich selbst erschließen. Gemälde und Gedichte werden komponiert, entstehen zuerst im Kopf, sagt Krehl, die Herangehensweise ist bei beiden Kunstformen so unterschiedlich daher nicht.
Kriegers Kreuz und Weißgerber
Die Gedichte sind alle in Münsingen entstanden, ob der Leser die Orte der Inspiration, etwa »das weiße band«, erkennt, hängt stark von dessen Fantasie ab. Des »kriegers kreuz« oder die »vier linden« kann man vielleicht zuordnen, ein Werk ist klar mit »Weißgerber« überschrieben. Letztlich ist es nicht wichtig, Krehl richtet den Blick beim Dahinschlendern aufs Unscheinbare und macht sich seine Gedanken über die Wahrnehmung. Wie ordnen wir die Natur? Wo beginnt der Horizont, wo die Landschaft? Und warum ist Landschaft eigentlich schön?
Aus Ordnung entsteht Unordnung, beobachtet Krehl. Wenn der Blick vom ordentlichen »weißen band« des Kieswegs zu den Rändern schweift, tun sich andere Bilder auf - Bilder, die sich in seinen Gedichten manifestieren. Aber dem Leser den Freiraum für die eigene Interpretation lassen. Denn jeder nimmt die Landschaft, den Feldweg anders war: »Der Hundefreund weiß, wo die Kletten wachsen«, der Landwirt sieht andere Dinge als der Flaneur. Vielleicht nimmt der Spaziergänger den Hasenklee wahr, der für den Viehhalter nutzlos ist, und erkennt seine Schönheit.
»zwischen hochbehälter und wolken«
»zwischen hochbehälter und wolken« mit Gedichten und Drucken von Reinhard Krehl ist in der Connewitzer Verlagsbuchhandlung in der Edition Wörtersee erschienen und über den Buchhandel zu beziehen. Der Band kostet 18 Euro, ISBN 978-3-948814-18-2. Mit 108 Seiten und 180 Gramm Gewicht passt er gut in die Wanderjackentasche. (GEA)
Der Hasenklee taucht im Untertitel des Gedichtbands auf und mäandert über den Schutzumschlag. Krehl arbeitet mit Pflanzenselbstdrucken, einer fast vergessenen Kunst. Bevor die Fotografie erfunden wurde, wurden botanische Bücher so illustriert. Die Pflanze dient selbst als Druckstock, so wird eine hohe Detailtreue und Tiefe erreicht. Bei kleineren Pflanzen oder Farnen, bei Bäumen klappt's nicht. Egal, allein der Hasenklee ist den Kauf des Bands schon wert. (GEA)