ENGSTINGEN. »Stairway to heaven« von Led Zeppelin zu Himmelfahrt: Wenn der Kohlstetter Pfarrer Martin Breitling weiß, dass Felix Schäfer Orgeldienst hat, darf die Musikauswahl schon mal unkonventionell sein. Der 22-Jährige ist ein Phänomen. Er hat sich etliche Instrumente selbst beigebracht. Ein bisschen Noten lesen kann er zwar, doch bringen sie ihn eher durcheinander, als dass sie ihm helfen. Felix Schäfer lernt übers Gehör: »Wenn ich ein Stück gehört habe, kann ich es nachspielen«, sagt er. Das gilt nicht nur für die Melodie, sondern für das ganze Drumherum: Die passenden Harmonien fliegen Felix Schäfer einfach so zu, seine Hände finden die richtigen Tasten praktisch blind.
Das ist ein seltenes Talent, eine echte Gabe, die Vor- und Nachteile mit sich bringt. Zu einem Gottesdienst gehören schließlich nicht nur solistische Orgelstücke, die Felix Schäfer frei improvisieren kann, sondern auch gewisse Standards. Die Gemeindelieder muss der junge Mann aus Engstingen kennen und so begleiten, dass die Gottesdienstbesucher gut mitsingen können. Wie also übt man das? Mit klassischem Musikunterricht bei Kirchenmusikerin Anne Erbe, über die Felix Schäfer zur Musik und vor allem auch zur Orgel gefunden hatte, kam das ungewöhnliche Talent nicht so recht weiter. Eine gute Lösung fand schließlich Bezirkskantor Stefan Lust: Er empfahl Felix Schäfer eine App, über die man die Choralmelodien hören kann. Das reicht, um neue Stücke kennenzulernen.
In der Kohlstetter Kirche, wo der 22-Jährige inzwischen ein bis viermal im Monat auf der Orgelbank sitzt, hat alles angefangen. Bei Anne Erbe sang Felix Schäfer im Kinderchor, »das hat mich früh geprägt«. Auch zu Hause wurde Musik gehört und gemacht. »Von meiner Tante habe ich ein Akkordeon bekommen und rumprobiert«, erzählt er, schließlich spielte er sogar im Kleinengstinger Akkordeonorchester mit. Ohne Noten? Jein. »Die lagen halt alibimäßig auf dem Notenständer.« Über ein Liederbuch seines Vaters kam Felix Schäfer zur »Lagerfeuermusik« und zur Gitarre: »Ich habe mir ein paar einfache Akkorde selbst beigebracht und Musiker nachgespielt.« In der Konfirmandenzeit erwachte dann das Interesse an der Orgel, das große Instrument faszinierte ihn: »Ich habe Anne Erbe gefragt, ob ich mal versuchen darf, darauf zu spielen.« Das klappte so gut, dass der damals 13-Jährige zwei Monate später schon im Gottesdienst spielte.
Ungewöhnliche Idole
Für einen 22-Jährigen hat er eher ungewöhnliche Vorbilder: Der DDR-Liedermacher Gundermann gehört dazu, Neil Young und Bands wie Pink Floyd oder Alan Parsons Project, die epische Konzeptalben geschaffen haben. Generell liebt Felix Schäfer die Musik der 70er- und 80er-Jahre. »Das sind alte Sachen, die nie alt werden, sondern ewig sind«, findet er. »Sie haben einfach eine gewisse Tiefe.« Die Klassiker covert er auf ganz verschiedene Arten und macht sie damit zu etwas Eigenem. Als Sänger begleitet er sich selbst auf der Gitarre, einige Aufnahmen sind auf seinem Instagram-Profil und über seinen Youtube-Kanal zu hören. Auch erste eigene Songs hat er geschrieben.
Die »Kirchen-Covers« sind etwas spezieller und eigentlich aus der Not heraus entstanden: In Corona-Zeiten, als die Gemeinde nicht singen durfte, übernahm das eben Felix Schäfer - er schnappte sich ein Mikrofon, sang und begleitete sich dabei eben nicht auf der Gitarre, sondern an der Orgel. So entstanden ungewöhnliche Versionen von Songs von U2 oder Pink Floyd, einmal gab's sogar einen Themengottesdienst zu einem Lied: Felix Schäfer spielte »Imagine« von John Lennon, Pfarrer Martin Breitling machte den Song zum Ausgangspunkt seiner Predigt. Beim Orgelvor- und -nachspiel improvisiert Felix Schäfer gerne über ein Thema, »das kann auch mal aus einem Pop- oder Rock-Song sein - aber immer so, dass er zum Gottesdienst passt«.
»Spiritualität in Verbindung mit Musik spielt für mein Leben eine wichtige Rolle«
Die Kirche, die Würde dieses Ortes, ist ihm wichtig, genauso wie der Glaube, den er auf seine eigene Art lebt. Nach seinem Abschluss an der Engstinger Waldorfschule ist er nach Tübingen gezogen, wo er eine Ausbildung begonnen hat. In der Uni-Stadt hat er die Gesänge von Taizé für sich entdeckt, montags und freitags gestaltet er die Andachten in der Stiftskirche mit. Inzwischen ist er auch mehrfach in den französischen Ort gereist, um die Gottesdienste dort mitzuerleben. »Etwas Tieferes spüren«, darum geht es für ihn bei den Gesängen von Taizé. »Spiritualität spielt für mein Leben eine wichtige Rolle«, sagt er, »aber immer in Verbindung mit der Musik. Es hat für mich immer etwas Höheres, etwas Heiliges, wenn Menschen zusammen Musik machen und mit Tönen etwas transportieren.«
Konzert im November geplant
Eine Freundin, die ihn auf einer Reise nach Taizé begleitet hat, sah und hörte ihn in der Kirche dort am Klavier sitzen, spielen und singen: »Sie hat es als Seelenwaschung bezeichnet«, erzählt Felix Schäfer. Das ist ein Begriff, der ihm gut gefällt. Auch das Konzert, das er am 17. November plant, trägt einen ungewöhnlichen Titel: »sanft-mutig«. »Ich versuche immer ein aktuelles Thema aufzugreifen.« Nach der Pandemie war's die wiedergewonnene Freiheit, die Felix Schäfer inspirierte. Sein damaliges Konzert überschrieb er mit dem Motto »Coming back to life«. Sanftmut aber auch Mut sind aus seiner Sicht nun das Gebot der Stunde: »Es gibt so viele extreme Bewegungen zurzeit, jeder hat recht, die Fronten sind verhärtet.«
Es wird sein vierter Auftritt in der Kohlstetter Kirche sein: Während der Pandemie kamen viele Leute auch wegen Felix Schäfers Musik in den Gottesdienst. Viele haben ihn ermutigt, Konzerte zu geben, auch Auftritte bei Feiern oder Kunstausstellungen kamen hinzu. Felix Schäfer spielt solo oder mit Freunden. Der Kohlstetter Helm Zirkelbach beispielsweise ist nicht nur ein renommierter Künstler, sondern auch passionierter Hobby-Schlagzeuger, der Felix Schäfer ab und an begleitet. Am 17. November wird Friederike Singh als musikalische Partnerin dabei sein. (GEA)