HAYINGEN-WIMSEN. Kinderlachen und Gerenne durch den 66 Meter langen Flur: So viel Fröhlichkeit und Freude hat es auf Schloss Ehrenfels vielleicht zuletzt vor 200 Jahren oder mehr gegeben, als die 16 Kinder des ersten Schlossherren Philipp Christian Friedrich Freiherr von Norman-Ehrenfels durch die 16 bewohnbaren Räume getobt sind. Vor der Säkularisierung waren sie den Äbten des Klosters Zwiefalten als Sommerresidenz vorbehalten.
Nicoletta Freifrau von Saint-André jedenfalls, die letzte Eigentümerin des herrschaftlichen Anwesens nahe Wimsen, das sie nach dem Tod ihres Vaters Roland Freiherr von Saint-André einer gleichnamigen Stiftung übereignet hat, war am Montag überglücklich über ihre Übernachtungsgäste – acht Mädchen und 13 Jungs, die in Hayingen die vierte Klasse der Digelfeldschule besuchen und nun das Ehrenfelser Gemäuer zwar kindlich ausgelassen und bis in seinen letzten Winkel, aber doch mit Respekt vor dessen kultureller Bedeutung in Besitz genommen haben. Zumindest einen halben Tag und eine Nacht lang.
»Wisst ihr, wie Geschichte geschrieben wird?«, will die Freifrau von den Kindern in der ehemaligen Schlosskapelle mit der zum Park führenden imposanten Steintreppe wissen? Um die Antwort gleich selbst zu geben: »Geschichte schreiben wir heute. Weil es das erste Mal ist und von jetzt an nicht das letzte Mal sein soll, dass eine ganze Schulklasse auf Ehrenfels übernachten darf.«
Mit dem Moped aufs Klo
Während die Jungs als einziges Zugeständnis an die Neuzeit – sogar Zahnbürsten, Taschenlampen und selbstredend Handys waren für die Mittelalter-Nacht im Schloss verboten – ihre Iso-Matten auf dem blanken Parkett des Winterwohnzimmers ausrollten, quartierte die Baronin die Mädels in einem echten Prinzessinnenzimmer mit riesigem Bett und ihre Lehrerinnen – Bärbel Walzer und Sabine Burgmayer – in einem bescheideneren Zimmer dazwischen ein.
Wie die Gastgeberin ansprechen, die fast noch mehr fremd klingende Namen und Titel als Pippi Langstrumpf hat? »Sagt einfach Baronin«, erklärt Nicoletta Freifrau von Saint-André. Und dass »Frau Baronin« nur Angestellte zu ihr sagen müssen, doch davon hat sie nicht mehr viele in ihrem Schloss. Was die Baronin aber hat, sind unglaubliche Schätze: Hauchzarte Trinkgläser, die schon 248 Jahre im Familienbesitz überdauert haben: »Also lasst sie bitte stehen und schaut sie euch nur an«. Oh ja, da kriegen selbst die Jungs ehrfürchtige Augen – und dann feurig-ungeduldige, als die Reihe an sie kommt, auf der ganzen Länge des holprig-ausgetretenen Steinfußbodens im Flur des Schlosses ein klappriges Kinderfahrrad auszuprobieren. »Mein Vater«, streckt die Baronin den ungläubig Dreinblickenden ein Schwarzweißfoto entgegen, das den vor drei Jahren Gestorbenen als jungen Burschen zeigt, »ist hier sogar mit dem Moped aufs Klo gefahren. Also macht schon. Los!«
Lustig muss das gewesen sein auf Ehrenfels, als auch Nicoletta noch ein Kind war: Ihre Geschichte von den Würfelzucker-Stückchen, die durch die Luft flogen, sobald der große Drehteller auf dem Familientisch zu sehr in Schwung gesetzt wurde, entzückt die Kinder, die herzlich über das Ende lachen können, da ja nicht sie es sind, die das Geschirr abräumen müssen, wie es jene Saint-Andrés tun mussten, vor deren Tellerchen die süße Sauerei damals landete.
Apropos Sauerei. Als die Viertklässler, die auch Hayingens Bürgermeister Kevin Dorner samt Familie zu dieser ungewöhnlichen Visite im Schloss begleitet hat, mit großen Zink-Eimern ihr Händewasch-Wasser außerhalb im Schlossbrunnen schöpfen müssen und damit auf dem ganzen Weg durchs Schloss gehörig Pfützen hinterlassen, ist das allen hochnotpeinlich. Nur der Baronin nicht, die großzügig über noch so manches kleine Malheur an diesem Abend hinwegsieht.
Nachtgebet mit Weihbischof
Extra für das Abendessen hat Heinz Thumm aus Pfronstetten ein junges Wildschwein erlegt, das Daniel Tress vom Wimsener Mühle-Restaurant zu Steckrüben und Kartoffeln auf offenem Feuer brät: »Schmeckt Sau-guad«, befinden alle, außer die Vegetarier, die sich beim Frühstück dann über Schwarzen Brei freuen dürfen. Extra zu diesem besonderen Mahl unter der blühenden Linde im Schloss-Innenhof hat die Zwiefalter Klosterbrauerei ein Fass Kinderbier spendiert. Und extra auf Ehrenfels weilt Weihbischof Maria Renz, der mit den Kindern das Nachtgebet spricht und ihnen viel über Klöster und Mönche berichtet. Nicht extra, sondern immer da ist das Schlossgespenst. Nur gezeigt hat es sich nicht. Schade. (GEA)