ST. JOHANN. Werden sich in Zukunft Politiker noch gegen die Landwirtschaft positionieren? Der Europa-Abgeordnete Norbert Lins (CDU) glaubt, dass sich der Wind gedreht hat. Auch wegen der Bauernproteste in Europa: »In Frankreich haben die Demonstrationen innerhalb von ein paar Tagen die Rücknahme der französischen Variante der Agrardieselsteuer-Reform und zusätzlich ein 150 Millionen-Euro-Hilfspaket bewirkt. So schnell geht es auch.« Der Vorsitzende des Agrarausschusses des EU-Parlaments war als Gastredner zur diesjährigen Lichtmesstagung des Kreisbauernverbands Reutlingen in St. Johann eingeladen.
Die Lichtmesstagung stand, wie könnte es anders sein, im Zeichen der Bauernproteste. Das machte schon Gebhard Aierstock, der Vorsitzende des Kreisbauernverbands Reutlingen, in seinem Grußwort klar und davon kündete auch der Traktorschmuck – die von den Demos bekannten Protestplakate – in der mit etwa 250 Gästen voll besetzten Würtinger Gemeindehalle.
»Die Landwirtschaft sitzt nicht mehr am Katzentisch«
Lins hofft, dass die Proteste die Brüsseler Prozesse noch länger beeinflussen. »Lange Jahre waren die konservativen Parteien im Abwehrkampf, haben versucht, aufflackernde Feuer zu löschen, wenn an anderen Stellen schon wieder gezündelt wurde.« Jetzt sieht er ein Umdenken: »Die Landwirtschaft sitzt nicht mehr am Katzentisch.« Wenn auch mit knapper Mehrheit sei etwa die umstrittene »Verordnung zur Reduzierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln (SUR)« abgewendet worden – Glyphosat bleibt in der EU weitere zehn Jahre zugelassen. »Jetzt liegt es am Bundeslandwirtschaftsminister, in Deutschland die EU-Regeln umzusetzen«, sagte der CDU-Abgeordnete, der vorm ampelkritischen Publikum einen leichteren Stand hatte als seine Kollegen aus den Berliner Regierungsparteien.
Die Politik hatte sich gestellt. Neben Lins stand der Landtagsabgeordnete Manuel Hailfinger für die Union auf dem Podium, Andreas Glück (MdEP) und der Gastgeber, St. Johanns Bürgermeister Florian Bauer, vertraten die Liberalen, Cindy Holmberg traute sich für die Grünen in die Höhle der ackernden Löwen.
Es ging in St. Johann um mehr als um Agrardieselsubventionen und Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge. Flächenstilllegungen sind für 2024 vom Tisch, konnte Lins vermelden, das »Naturwiederherstellungsgesetz«, die Um- oder Rückwidmung von landwirtschaftlichen Flächen etwa in Moore, sei entschärft worden. Allein bei der Pflanzenschutzverordnung ging es um Milliardenbeträge, um ein Vielfaches der Einkommensverluste wegen gestrichener Agrardieselsubventionen.
Die andauernden Proteste scheinen mit Rückendeckung der demonstrationsgestählten französischen Kollegen also etwas zu bewirken. Friede, Freude, Eierkuchen-Stimmung herrscht deswegen noch lange nicht. Gebhard Aierstock ging auf die grundlegenden Probleme der Landwirtschaft ein: zu viel Papierkrieg – »Und täglich grüßt das Papiermonster« –, zu viele lebensfremde Vorschriften machten den Bauern das Leben schwer. Wer vorschreiben wolle, wann gepflügt wird, solle doch einmal einen Bauern um seine Meinung bitten. Oder Petrus: »Das Wetter regulieren ist eine große Herausforderung.«
»Das Wetter regulieren ist eine große Herausforderung«
Aierstock lenkte den Blick auch auf die Versorgungssicherheit, die zuerst wegen Corona, dann durch den Ukraine-Krieg und zuletzt durch den wieder aufgeflammten Nahostkonflikt wieder in den Blickpunkt gerückt ist. Immer weniger Flächen, steigende Kosten, wenig Investitionssicherheit wegen sich ständig ändernder Auflagen passten da nicht.
Der Bundestag hatte parallel zur Lichtmesstagung den Haushalt 2024 und darin den jetzt stückweisen Abbau der Agrardieselsubventionen beschlossen. Das Gesetz muss aber am 22. März noch durch den Bundesrat. Manuel Hailfingers Landes-CDU will die komplette Rücknahme der Kürzungen. »Jetzt liegt es an Cindy« beziehungsweise dem grünen Partner in der Landesregierung, warf er den Ball seiner Landtagskollegin zu.
Die Trekkerdemos sind ein spektakuläres Beispiel für wirksame Öffentlichkeitsarbeit. Wie man dauerhaft und vom Bürostuhl, nicht vom Traktorenpilotensitz, aus die Anliegen der Bauern in die Gesellschaft trägt, erklärte Agrarbloggerin Kerstin Blumhardt ihren Kollegen.
Blumhardt kam über ein Agrar-Blogger-Treffen zum Thema. Sie hat Freude dran und rät möglichst vielen, es doch einmal auszuprobieren. »Ärgert euch nicht, wenn ihr nicht gleich 20.000 Follower habt. Viele kleine Blogs decken die Republik auch ab.« Was ist ein Blog? Eine Art Tagebuch für die Öffentlichkeit im Internet, auf welcher Social-Media-Plattform auch immer. Der Klassiker sei die eigene Webseite, »aber das macht kaum mehr jemand«, in Mode die schnelleren Medien wie Instagram, wer gerne filme, könne sich auf Youtube tummeln, riet die Bäuerin von einem Milchviehbetrieb in Remseck. Sie selbst ist auf Facebook – »viel Raum für Diskussionen« – und Instagram unterwegs. Klein anfangen, erst mal das eigene Umfeld bespielen, rät sie. Es schade ja nichts, wenn alte Freunde mittlerweile in Berlin leben, dann hat man schon einen Fuß in der Hauptstadt. Sie will der Landwirtschaft ein Gesicht geben: »Das ist der Stefan, das ist die Mareike.« Und zu erzählen gibt es ja immer etwas auf dem Bauernhof, von der Geburt des Kalbs über die Feldarbeit bis zum Familienleben.
»Bloggt über alles! Wir bestehen ja nicht nur aus Landwirtschaft«
Man könne Informationen vermitteln, solle aber nicht immer nur fachlich sein, man könne ruhig Emotionen zeigen: »Die meistgekauften Bücher sind Romane, keine Fachbücher.« Und ruhig über andere Themen sprechen, sonst werde der Blog auf Dauer doch recht langweilig: »Wir bestehen ja nicht nur aus Landwirtschaft.«
Bringt das Tagebuchschreiben etwas oder ist es nur Arbeit? Man bekomme ein Riesen-Netzwerk und der Erfahrungsaustausch helfe einem durchaus auch im Alltag weiter. »Probiert es einfach aus«, riet Blumhardt ihren Kollegen. (GEA)
AUSZEICHNUNGEN
Landrat Ulrich Fiedler überreichte bei der Lichtmesstagung einige Auszeichnungen. Den Titel »Gläserne Produktion« erhielten die Betriebe Kloker Agrar, Münsingen, der Obstbaubetrieb der Stadt Metzingen, die Hohensteiner Hofkäserei, das Weingut Bächner, Dettingen an der Erms, der Biolandhof Maier, Münsingen, und der Bioland Gärtnerhof Werner, Sonnenbühl. Andreas Kloker kann sich auch das Schild »Bildungspartner Lernort Bauernhof« an die Scheunenwand heften. (wu)