MÜNSINGEN. Um es gleich vorwegzunehmen. Bei dem folgenden Prozess vor dem Amtsgericht Münsingen standen nicht Vertreter des Haupt- und Landgestüts Marbach, sondern die ehemalige Geschäftsführerin einer Reitanlage auf der Albhochfläche vor dem Richter. Der Vorwurf: Vorsätzliche Insolvenzverschleppung, Versäumnis der Übermittlung der Bilanzen sowie vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge.
Die 44-jährige Geschäftsführerin, die inzwischen in einem ganz anderen Bereich arbeitet, erhielt einen Strafbefehl in Höhe von 90 Tagessätzen. Dagegen hatte sie Einspruch eingelegt. Das hat sich gelohnt. Letztendlich fiel die Strafe milder aus, nachdem sie die Umstände der Taten glaubhaft dem Gericht und dem Vertreter der Anklage vorgetragen hatte.
Der inzwischen gestorbene Eigentümer der Reitanlage war in der Pferdszene kein Unbekannter. Der ausgewiesene Zuchtkenner etablierte in Baden-Württemberg Verkaufsschauen, veranstaltete Galaabende, war Reitlehrer, Ausbilder von Pferden und zudem Richter. Laut Fachmagazin »Reiterjournal« handelte es sich bei dem Betrieb »des umtriebigen Pferdemanns« im Landkreis Reutlingen um »eine der renommiertesten Reitanlagen des Landes«.
Dominante Persönlichkeit
Dass nicht alles Gold ist, was glänzt, kam während der Gerichtsverhandlung vergangene Woche ans Tageslicht. In der zweiten Dekade der 2010er-Jahre stand die Reitanlage finanziell auf wackeligen Beinen. Mehrmals habe der Gerichtsvollzieher vorbeigeschaut, wurde während der Hauptverhandlung bekannt. Der Betrieb sei überschuldet gewesen, hieß es mehrmals. Zu dieser Zeit war die Stieftochter, die Angeklagte, die Geschäftsführerin, die selbst, nach eigenen Worten, eine begeisterte Reiterin und Ausbilderin ist.
Ihr Stiefvater habe ihr den Job angeboten und gesagt, er werde sich ums Finanzielle kümmern, sagte die 44-Jährige vor Gericht aus. Deshalb habe die Reiterin ihr Augenmerk weiterhin auf die Aufzucht und die Vorstellung der Huftiere gelegt. Die ihr zur Last gelegten Straftaten wurden durch ihren Rechtsbeistand vollumfänglich eingeräumt. Als Geschäftsführerin müsse sie dafür geradestehen, fügte er hinzu. Sie habe im guten Glauben gehandelt, da sie sich auf ihren Stiefvater verlassen habe, der ihr immer versichert habe, man stehe finanziell gut da.
»Auch als der Gerichtsvollzieher vor der Türe stand?«, hakte Richter Marian Jander nach. Die Frau nickte und erzählte von vorgelegten Bilanzen, die einen »erheblichen Überschuss« auswiesen. »Ich hatte keine Ahnung von Rechnungen«, räumte sie ein. »Ich habe meinem Stiefvater vertraut«, gab sie zu Protokoll. »Wir haben das Kapital, wir haben die Pferde«, soll er sie seinerzeit beruhigt haben. Deshalb habe sie sich wegen der Pfändungen auf dem Geschäftskonto auch keine Sorgen gemacht.
Ihr Stiefvater sei eine »sehr dominante Persönlichkeit« gewesen, der auch ein »Manipulator« sein konnte, erzählte Rechtsanwalt Urs-Gunther Heck. Er erinnerte sich an »beeindruckte Auftritte« des Pferdeexperten in der Öffentlichkeit. Davon hatte auch Amtsrichter Jander Kenntnis, der Entsprechendes »in alten Prozessakten« nachgelesen hat.
Fahrlässig, nicht vorsätzlich
In seinem Plädoyer betonte der Rechtsanwalt noch einmal, dass seine Mandantin die Straftaten einräume. Er sprach aber von Fahrlässigkeit und nicht, wie vorgeworfen, von Vorsatz. Den Vorwurf, die Übermittlung der Bilanzen versäumt zu haben, ließ er nicht gelten. Das sei Aufgabe des Steuerberaters gewesen.
So sah es auch der Vertreter der Anklage und milderte den Strafbefehl von 590 Tagessätzen zu je 30 Euro ab und forderte 80 Tagessätze à 25 Euro. Der Rechtsanwalt hielt 60 Tagessätze für tat- und schuldangemessen. Der Richter beließ es letztendlich bei 70 Tagessätzen zu je 25 Euro. Die Geschäftsführerin habe nicht böswillig gehandelt, sie habe es unter ihrem Stiefvater nicht einfach gehabt, sagte Jander während der Urteilsbegründung.
Nachdem Staatsanwaltschaft und Rechtsanwalt verlauten ließen, auf Rechtsmittel verzichten zu wollen, ist das Urteil bereits rechtskräftig.
Die besagte Reitanlage im Landkreis Reutlingen gibt es nach wie vor. Sie wurde Anfang des Jahrzehnts verkauft und wird von den neuen Eigentümern unter einem anderen Namen fortgeführt. (GEA)
IM GERICHTSSAAL
Richter: Marian Jander Staatsanwalt: Yannick Grams Verteidiger: Urs-Gunther Heck