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Missbrauch eines Kindes in Trochtelfingen? Angeklagter freigesprochen

Ein 31-Jähriger wurde von der Anklage des sexuellen Missbrauchs einer damals 14-Jährigen in Trochtelfingen und Kroatien freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte 6,5 Jahre Haft gefordert.

Beim Prozess gegen einen 31-Jährigen, der in Trochtelfingen und Kroatien ein Mädchen missbraucht haben soll, lautete das Urteil:
Beim Prozess gegen einen 31-Jährigen, der in Trochtelfingen und Kroatien ein Mädchen missbraucht haben soll, lautete das Urteil: Freispruch. Foto: Norbert Leister
Beim Prozess gegen einen 31-Jährigen, der in Trochtelfingen und Kroatien ein Mädchen missbraucht haben soll, lautete das Urteil: Freispruch.
Foto: Norbert Leister

TROCHTELFINGEN / TÜBINGEN . »Dieses Urteil des Freispruchs zu begründen, fällt schwer«, sagte Richter Dirk Hornikel am Freitagnachmittag im Landgericht Tübingen. Angeklagt war ein 31-Jähriger, der sich in Trochtelfingen und in Kroatien an der Tochter seines Lebensgefährten vergriffen haben sollte. Mit gerade mal 19 Jahren war der Beschuldigte zu einem Mann gezogen, der mit seiner Frau und den beiden Kindern in Trochtelfingen wohnte.

»Wir wollen nicht zum Ausdruck bringen, dass du eine Lügnerin bist«

Mit dem Freispruch wolle das Gericht laut Hornikel »nicht zum Ausdruck bringen, dass du eine Lügnerin bist«, sagte der Richter zu dem im Zuhörerraum anwesenden Opfer. Klassisch stand in diesem Verfahren Aussage gegen Aussage. Dass das Mädchen trotz Freispruch für den Angeklagten nicht zwangsläufig gelogen haben soll – das sei schwer zu vermitteln. Das Opfer, ein bei der ersten Anzeige 14-jähriges Mädchen, hatte ausgesagt, dass der 31-Jährige sie in 16 Fällen missbraucht habe. Aber: Bei den insgesamt drei Befragungen habe sich die nun junge Frau in Widersprüche verwickelt.

Der Angeklagte hatte zugegeben, er habe das Mädchen sowohl in Trochtelfingen als auch in Kroatien immer mal wieder heimlich beim Duschen gefilmt. Aber nicht mehr. Niemals habe er das Mädchen im Intimbereich berührt. Das Gericht glaubte dem Mann. Daraus ergab sich aber andererseits die Frage, warum das Opfer behauptet hatte, der 31-Jährige habe sie sexuell missbraucht?

»Stand das Opfer unter suggestiven Einflüssen«, hatte sich das Richtergremium gefragt. Dirk Hornikel bejahte diese Frage eindeutig. Zum einen hatte der Vater behauptet, er habe in der Schmutzwäsche eine Unterhose seiner Tochter mit Spermaspuren gefunden. Erst in der jetzigen Verhandlung nahm der Vater diese Aussage wieder zurück: Er habe seinen Lebenspartner provozieren wollen, er sollte den Missbrauch endlich zugeben. Seine Tochter hingegen habe der leibliche Vater »tausendmal gefragt«, ob da mehr war als »nur« das Filmen. Irgendwann habe die Tochter dann mal genickt. Wohl nur, damit sie diese Fragerei nicht mehr hören musste.

Doch das Mädchen sei noch auf eine weitere suggestive Person gestoßen, als sie aus Kroatien zurück zu der Mutter ging. Eine Freundin der Mutter habe dem Opfer zugehört, sich sehr verständig gezeigt, aber das Mädchen ebenfalls ungewollt beeinflusst – weil die Freundin selbst Opfer sexueller Gewalt gewesen sei. »Das Mädchen hat wohl Teile von den Schilderungen der Frau übernommen«, so der Richter. Wenn es aber um konkrete Darstellungen der Taten ging, sei das Mädchen sehr im Vagen geblieben – und hätte sich auch mehrfach widersprochen.

»Unbeabsichtigte Suggestionen erfolgt«

Und selbst die erste Vernehmung bei der Polizei sei laut Hornikel »suboptimal gelaufen, auch dort sind wohl unbeabsichtigte Suggestionen erfolgt«. Es sei klar, so der Richter, dass es immer Abweichungen bei den Aussagen von Missbrauchsopfern gebe. Natürlich sei es extrem schwer für eine 14-Jährige aus ihrem Intimleben zu berichten, natürlich könne das zu »Ausweichverhalten« führen. Aber: Es habe eben mehrfach »gravierende Abweichungen« in den Berichten des Mädchens gegeben.

Besonders einschneidend sei bei allen Opfern sexuellen Missbrauchs, dass sie bei der allerersten Tat »die Schilderungen im Kerngeschehen« sehr konstant berichten. Das sei aber bei dem Opfer hier nicht der Fall gewesen. Und das habe sich durch alle konkret dargestellten Taten gezogen. In dieser Familie sei viel, viel zu viel schiefgelaufen. Auch, dass der Vater dem Mädchen die Entscheidung zuschob, ob der Lebenspartner in der Familie bleiben sollte, nachdem die Filmerei in der Dusche aufgeflogen sei. Eine klassische Überforderung des Mädchens sei das gewesen, so der Richter.

»Wir hatten schlussendlich keine andere Möglichkeit, als den Angeklagten freizusprechen«, sagte Dirk Hornikel abschließend. In dubio pro reo. Im Zweifel für den Angeklagten. Staatsanwältin Henriette Nissel-Unsöld hatte 6,5 Jahre Haft gefordert und vor dem Urteil den Antrag gestellt, ein psychologisches Gutachten der richterlichen Videoaufnahme des Mädchens erstellen zu lassen. Um herauszufinden, ob das Opfer tatsächlich von erlebtem Missbrauch berichtete.

Dieses Gutachten hatte das Gericht abgelehnt. »Es ist Aufgabe der Kammer, zu entscheiden, ob die Aussage richtig oder falsch ist«, so der Richter. Und die Kammer sei durchaus fähig dazu. Für die junge Frau hoffte der Richter, »dass du diesen Scheiß nicht dein ganzes Leben lang mit dir herumtragen musst«. (GEA)