TROCHTELFINGEN. Eigentlich gelten Ghana und Gambia in Westafrika als stabile Länder in sonst eher unstabilen Regionen. Ebenso war es mit Kamerun in Zentralafrika, wo es aber immer wieder zu bewaffneten Konflikten kommt. Probleme gibt es in allen Staaten massig: Vetternwirtschaft und Korruption, Jugendarbeitslosigkeit und Armut, mangelnde medizinische Versorgung, politische und soziale Ungleichheit, rigide Durchsetzung von Strafen für politisch Andersdenkende, wenig Chancen auf qualifizierte Berufsausbildung. Die Liste lässt sich weiter ausdehnen.
Vier junge Männer haben beschlossen, ihre Heimat zu verlassen. Perspektiv- und Chancenlosigkeit: Das ist Vergangenheit für Alieu Jobe aus Gambia, Oscar Kobia aus Ghana, Orolien Chico Kougang Foudoph aus Kamerun und Jonathan Quartey aus Ghana. Sie suchten nach einer besseren Zukunft. Die Basis dafür erhalten sie im Familienbetrieb von Martin Scherer in Trochtelfingen. Alieu und Oscar sind Gesellen, Orolien und Jonathan Auszubildende.
Es ist geschafft. Alieu Jobe hat eine unbegrenzte Aufenthaltserlaubnis. 2017 wurde der Asylantrag des heute 26-Jährigen abgelehnt. »Wir haben darum gekämpft«, dass er in Deutschland bleiben kann, dass er seine Ausbildung beenden kann, sagt Martin Scherer. »Für mich war klar, dass wir das durchziehen«, egal, wie mühsam der Weg werden sollte. Mit viel Einsatz und einem Anwalt konnte Alieus Abschiebung verhindert werden. Damals machte der junge Mann aus Gambia eine Ausbildung bei Elektro Scherer. Die konnte er schließlich auch bis zum Abschluss führen, jetzt ist er Geselle und arbeitet weiter als Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik bei Martin Scherer. Alieu ist nicht der einzige junge Mann aus Afrika, dem Martin Scherer mit einem Ausbildungsplatz zu einer besseren Zukunft verhilft. Auch zwei Flüchtlinge aus Syrien bildete der Familienbetrieb aus.
Beitrag zur Integration
»Es ist eine Win-win-Situation«, sagt Martin Scherer. Denn der Fachkräftemangel macht sich auch bei der Trochtelfinger Firma mit ihren 19 Mitarbeitern bemerkbar. Auch wenn der Mehraufwand bei der Einstellung der ausländischen Mitarbeiter beträchtlich ist, lohnt es sich: Scherer kann seine Mitarbeiter von morgen selbst ausbilden. Außerdem, so sagt er, sieht er das als seinen Beitrag für gelebte Integration. Denn die jungen Männer lernen die Sprache, verdienen ihr eigenes Geld, zahlen Steuern, Krankenkassenbeiträge und so weiter. Und sie können sich eine Existenz aufbauen. »Ich bin noch jung, ich will etwas lernen, brauche einen Beruf, muss etwas erreichen«, sagt Alieu Jobe. Alle vier Männer aus Afrika sind Martin Scherer dankbar für die Chance, seine Unterstützung und Hilfe, die sich nicht nur auf die Ausbildung und Anstellung selbst beschränkt. Er begleitet bei Behördengängen, regelt Angelegenheiten mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, er hilft bei der Wohnungssuche, übernimmt Bürgschaften. Alieus Personalakte sei die dickste, sagt Scherer. »Wer ist zuständig, Land, Stadt, Landkreis, Ausländerbehörde, Sozialamt?« Das alles musste der Firmenchef selbst recherchieren, Unterstützung für Betriebe, die Flüchtlinge einstellen wollen, gibt es nicht in dem Maß, wie sie nötig wäre. Schon gar nicht, wenn es Probleme wie mit Alieus Aufenthaltsstatus gibt, obwohl der zur Zeit der drohenden Abschiebung bereits seinen Ausbildungsvertrag hatte. »Uns war das alle Mühe wert«, sagt Martin Scherer. Sein Motto: »Wir packen’s an. Wir schaffen das.«
Über die Umstände, wie er von Gambia nach Deutschland gekommen ist, möchte Alieu nicht reden. »Das ist zu persönlich«, sagt er. Martin Scherer erläutert: »Das war sehr belastend.« Den Weg zu Elektro Scherer fand der junge Gambier, nachdem die Kreishandwerkerschaft unter den Mitgliedsbetrieben fragte, ob eine Firma einen Praktikumsplatz für einen Flüchtling zur Verfügung stellen könne. Neben Scherer meldete sich nur ein weiteres Unternehmen aus Walddorfhäslach, erzählt der Chef und runzelt die Stirn, denn das sei erschreckend wenig. »Vier Mal haben es Flüchtlinge nun schon erfolgreich durch die Ausbildung geschafft. Die nächsten beiden schaffen das auch.« Demnächst will Scherer außerdem einen Auszubildenden, der aus der Ukraine geflohen ist, einstellen.
Die Sprache zu beherrschen, sei das A und O. Englisch zu sprechen, ist im Betrieb tabu. Auch wenn die Prüfungsvorbereitungen für die jungen Afrikaner mit größeren Hürden versehen sind, sie länger brauchen, um die deutschen Texte zu verstehen: Sie beweisen, dass es machbar und Scherers Vertrauen in sie gerechtfertigt ist.
Zweieinhalb Jahre unterwegs
Alieus Kollege Orolien Chico Kougang Foudoph berichtet, dass er zweieinhalb Jahre unterwegs war, zu Fuß. Harte Jahre waren das, eine gefährliche Zeit, denn nicht jedes Land, das er durchquert hat, ist sicher. Es war ein Leben ohne zu Hause, ohne Dusche, ohne Geld. Etwas zu essen hat er sich zum Teil im Müll gesucht, »in Niger nehmen sie dich und machen dich zum Sklaven«, erzählt er. »Angst«, sagt er trotz schlimmer Erlebnisse, »Angst habe ich nur vor dem Leben in meinem Land.« Seine Mutter sei gestorben, weil er nicht das Geld fürs Krankenhaus hatte. »Wegen 100 Euro«, sagt der 27-jährige Kameruner. »Wenn du kein Geld hast, bist du nichts.« Er redet über Armut, über Korruption, darüber, dass Menschen, die gegen die Regierung und die Missstände im Land protestieren, häufig im Gefängnis landen. Etwas einfacher hatten es Oscar (23) und Jonathan (18), deren Geschichten sich ähneln. Ihre Väter lebten bereits in Deutschland, über den Familiennachzug hatten die beiden schließlich auch die Chance, nach Deutschland zu kommen.
Orolien Chico Kougang Foudoph hat Bewerbungen geschrieben. Niemand habe ihn zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, sagt er. Seine Frau habe ihn immer wieder ermutigt, nicht aufzugeben. Und schließlich erhielt er einen Anruf von Martin Scherer. »Der Chef hat nicht geguckt, woher du kommst, welche Hautfarbe du hast«, sagt Orolien. Natürlich achtet Scherer darauf, dass die Bewerber motiviert sind, dass sie Deutsch können, dass sie lernen. Das wollen die vier jungen Männer aus Afrika. Denn viele Gleichaltrige in ihren Heimatländern gehen nicht zur Schule oder haben keinen Schulabschluss, können keine Berufsausbildung machen. »Ich will hier leben, bis ich in Rente gehe«, sagt Jonathan über seine Ziele. Oscar strebt an, auch noch den Meister zu machen. Alieu sagt, dass er gerne eines Tages in Gambia das Wissen, das er hier erworben hat, an junge Leute weitergeben würde. Damit auch sie ein bessere Zukunft, eine Perspektive, eine Existenz haben, damit sie ihr Land besser gestalten können und Flucht nicht der einzige Ausweg bleibt. (GEA)