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Kreis Reutlingen bereit für den Winterdienst

Der erste Schnee auf der Alb ist schon gefallen. Was bedeutet der Winterdienst für die 40 Mitarbeiter der beiden Straßenmeistereien des Landkreises in Münsingen und Eningen?

Fest und flüssig: Die Streufahrzeuge werden mit Salz in zwei Aggregatzuständen befüllt.
Fest und flüssig: Die Streufahrzeuge werden mit Salz in zwei Aggregatzuständen befüllt. Foto: Marion Schrade
Fest und flüssig: Die Streufahrzeuge werden mit Salz in zwei Aggregatzuständen befüllt.
Foto: Marion Schrade

KREIS REUTLINGEN. 703 Kilometer. »Würde man die Bundes-, Landes-und Kreisstraßen, für die die Straßenmeistereien im Landkreis Reutlingen zuständig sind, aneinander reihen, entspräche das ziemlich genau der Strecke von hier bis nach Hamburg«, sagt Frank Söll. Im Straßenbauamt ist er unter anderem für die Straßenmeistereien zuständig - und damit auch für den Winterdienst, der zu den wichtigsten und anstrengendsten Aufgaben der Mitarbeiter dort gehört. Am Sonntag, 12. November, mussten sie zum ersten Mal in dieser Saison ausrücken: Der Winter gab am frühen Abend sein erstes kleines Gastspiel auf der Alb. Wie ist der Winterdienst organisiert, welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten und was macht moderne Technik alles möglich? Die wichtigsten Daten und Fakten zum Thema.

Wie ist der Straßenbetriebsdienst im Kreis Reutlingen organisiert?
Das Streckennetz wird von zwei Straßenmeistereien betreut: Das Eninger Team ist für den nördlichen, das Münsinger Team für den südlichen Teil des Landkreises zuständig. Hinzu kommen zwei Stützpunkte in Bad Urach und in Pfronstetten. Nicht nur auf diesen vier Betriebshöfen können die Winterdienst-Fahrer festes Salz und flüssige Sole nachladen: Auch an der zweispurigen B 27 bei Walddorfhäslach und in den Baubetriebshöfen der Gemeinden Engstingen und Römerstein gibt es Streustofflager. Die Topografie des Landkreises ist vielseitig, entsprechend sind es auch die Anforderungen, mit denen die rund 40 Fahrer, die im Winterdienst eingesetzt werden, konfrontiert werden: Räumen und Streuen bedeutet in Mittelstadt bei einer Meereshöhe von 320 Metern etwas ganz anderes als in Römerstein auf 874 Metern", sagt Söll. Von den 703 Straßenkilometern, die die Straßenmeistereien betreuen, sind 105 Kilometer Steigungs- und Gefällstrecken.

Michael Seiffert, Daniel Horn, Richard Mäurle und Frank Söll (von links).
Michael Seiffert, Daniel Horn, Richard Mäurle und Frank Söll (von links). Foto: Marion Schrade
Michael Seiffert, Daniel Horn, Richard Mäurle und Frank Söll (von links).
Foto: Marion Schrade

Wann und wo muss geräumt werden? Wie ist der rechtliche Rahmen?
Die Erwartungshaltung ist hoch, der Respekt oft gering: Diese Schlüsse ziehen Frank Söll und seine Kollegen Rudolf Mäurle und Daniel Horn, die die Straßenmeisterei Münsingen leiten, aus dem, was sie in vielen Berufsjahren erlebt und beobachtet haben. Berufspendler, Wirtschaft und Logistik-Unternehmen: Sie alle erachten es schon fast für eine Selbstverständlichkeit, dass die Straßen auch im Winter möglichst zu allen Tag- und Nachtzeiten befahrbar sind. Was viele nicht wissen: »Das deutsche Recht kennt keine grundsätzliche Pflicht zum Schneeräumen«, sagt Frank Söll. Regeln gibt es trotzdem. Aufgestellt hat sie für Baden-Württemberg das Landesverkehrsministerium, das von den Straßenmeistereien fordert: Bundes-, Landes- und Kreisstraßen müssen von 6 bis 22 Uhr, an Sonn- und Feiertagen von 7 bis 22 Uhr befahrbar sein.
Für Autofahrer gilt im Gegenzug eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung: Die Winterreifenpflicht ist seit 2010 in der Straßenverkehrsordnung verankert. Sie besagt, dass bei winterlichen Witterungsbedingungen - Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- und Reifglätte - nur mit Winterreifen gefahren werden darf.

Wer entscheidet, wann und wo wie geräumt und gestreut wird?
Den Wetterbericht behalten die Mitarbeiter der Straßenmeistereien im Winter ständig im Blick. Die Daten, erklärt Frank Söll, liefert der Deutsche Wetterdienst, der ein bundesweites Straßenwetter-Informationssystem anbietet. Gearbeitet wird im Schichtdienst. Die ersten Kollegen müssen schon um zwei Uhr in der Früh raus, bei unsicheren und extremen Wetterlagen womöglich auch schon früher. Dann wird Kontrolle gefahren. Ist Räumen und Streuen erforderlich, greift der Kontrollfahrer direkt zum Handy und ruft seine Kollegen an. Weitere Entscheidungshilfen geben auch die Glättemeldeanlagen, die an der B 28 bei Zainingen und an der B 313 bei Trochtelfingen verbaut sind. Außerdem stehen die Straßenmeistereien in engem Austausch mit der Polizei.

Und wie kommen die Fahrer zur Arbeit?
Für die rund 40 Fahrer, die im Winterdienst eingesetzt werden, kann die Fahrt zur Arbeit ein Abenteuer werden: Für sie hat noch niemand geräumt. Um den Herausforderungen gewachsen zu sein, absolvieren die Mitarbeiter regelmäßig ein Fahrsicherheitstraining. Dennoch ist das Stresslevel hoch, wie Frank Söll berichtet. Die Fahrer sind nicht nur für sich selbst und die teuren Fahrzeuge verantwortlich, sondern auch für die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer. Zumal letztere oft eine hohe Erwartungshaltung haben und, was Umgangsformen betrifft, nicht immer zimperlich sind. Die Straßenwärter bestätigen das, was auch Einsatzkräfte von Feuerwehr, Rettungsdienst und Polizei inzwischen regelmäßig erleben: Sie werden beschimpft, blockiert und bedroht. Das ist psychisch anstrengend - hinzu kommt, dass der Schichtdienst schlichtweg auch rein körperlich auf die Knochen geht, wenn sich Frau Holle mehrere Tage hintereinander so richtig austobt.

Für was genau sind die Straßenmeistereien des Landkreises zuständig?
Die Straßenmeistereien des Landkreises sind ausschließlich für Bundes-, Landes- und Kreisstraßen außerorts zuständig. Innerhalb des Ortes sind die Städte und Gemeinden für alle Straßen verantwortlich - das gilt auch für die Ortsdurchfahrten unabhängig von deren Klassifizierungg. Hier müssen also die Mitarbeiter der Bauhöfe ran. Wenn man außerorts also beispielsweise zwischen Gomadingen und Münsingen einem Schneepflug begegnet, dann gehört er mit Sicherheit zum Fuhrpark der Straßenmeistereien. 13 eigene Fahrzeuge besitzt der Landkreis, ausgestattet sind sie so, dass sie nicht nur im Winter, sondern auch für andere ganzjährig anfallende Arbeiten auf und entlang der Straßen im Kreis eingesetzt werden können. Um Spitzen im Winterdienst abzudecken, können die Straßenmeistereien zwölf Fremdfahrzeuge samt Fahrern von externen Dienstleistern hinzuziehen.

Wann und wie oft wird geräumt?
Das Straßennetz ist in Dringlichkeitsstufen eingeteilt. Gefährliche Stellen, Bundesstraßen und Steigungsstrecken sowie Abschnitte mit öffentlichem Personennahverkehr haben Priorität und werden gegebenenfalls auch intensiver als Straßen mit geringerer Verkehrsbedeutung oder Ausweich- oder Umfahrungsmöglichkeiten behandelt. Ansonsten gilt: Jeder Fahrer hat sein festes Revier, einen zwischen 26 und 30 Kilometer langen Streckenabschnitt. Das macht Sinn, betont Michael Seiffert, denn: »Jede Strecke hat ihre eigenen Herausforderungen, die man kennen muss«, seien es enge Kurven oder starke Steigungen, die dem Fahrer und auch dem Fahrzeug Einiges abverlangen. Der landesweite Standard fordert eine Umlaufzeit von drei Stunden. Das heißt: Spätestens drei Stunden nach dem Räumen muss das Fahrzeug bei Schneefall wieder an derselben Stelle auftauchen. Die Straßenmeistereien im Kreis Reutlingen, lobt Frank Söll seine Leute, schaffen's in zwei bis zweieinhalb Stunden. Trotzdem kann's auch dann auf den Straßen vorübergehend schwierig werden: »Welche Schneemassen innerhalb dieser Zeit fallen können, weiß jeder, der bei anhaltendem Schneefall versucht, seinen Gehweg frei zu halten.« Ein echtes Problem ist auch der Berufsverkehr: Wenn's ausgerechnet zu Stoßzeiten heftig anfängt zu schneien, können auch die besten Schneepflugfahrer nichts mehr ausrichten, wenn sie selbst im Stau stehen.

Welche Mengen werden verbraucht?
In den Lagern der Straßenmeistereien Eningen und Münsingen, der Stützpunkte Pfronstetten und Bad Urach und der drei Nachlade-Standorte Engstingen, Römerstein und Walddorfhäslach liegen rund 5.900 Tonnen Streusalz. Außerdem sind stets rund 300 Tonnen Sole vorrätig. Sole: Darunter versteht man in Wasser gelöstes Salz, das in flüssigem Zustand ausgebracht wird. »Früher wurde die fertige Sole in Tankzügen angeliefert«, berichtet Frank Söll. »Das bedeutet im Klartext: Es wurden 78 Prozent Wasser durch die Lande gefahren.« Nur 22 Prozent der Mischung sind Salz. Um die Umwelt zu schonen, stellt der Straßenbetriebsdienst des Landkreises seine Sole inzwischen selbst her: »Das Wasser dafür kommt vom Dach, es wird in der Zisterne gesammelt«, erklärt Rudolf Mäurle.
»Die Sole benetzt das Trockensalz, das so besser an der Straße haftet. So wird weniger verweht oder landet im Straßengraben«, schildert Söll die Vorteile. Außerdem kann die Feuchtsalzmischung auch präventiv gestreut werden. Auf die Straße kommt das Salz fein dosiert: »Wir arbeiten microprozessgesteuert mit Apothekergewichten. Auf einen Quadratmeter Fläche kommt etwa ein Esslöffel Salz.« Das für die Einsatzstelle passende Mischverhältnis zu ermitteln, kann der Fahrer der Technik überlassen: »Wir müssen nur vorgeben, ob die Straße feucht ist oder ob Schnee liegt«, sagt Michael Seiffert. Den Rest übernimmt der »Thermomat«, der die Fahrbahn-Temperatur und -Beschaffenheit misst und die Dosierung errechnet.

Welche Kosten entstehen durch den Winterdienst?
Winter ist nicht gleich Winter - das zeigen die Zahlen aus Frank Sölls Statistik ganz deutlich. Im der vergangenen Saison wurden für die Winterdienstaufgaben insgesamt rund 1,72 Millionen Euro aufgewendet. »Das entspricht 70 Prozent des Mittelwerts der vergangenen zehn Jahre«, ordnet Söll die Summe ein. 2019/2020 war ein ganz schwacher Winter, der Kreis kam damals mit 1,45 Millionen Euro für Material und Personal aus. Zum Vergleich: Der »Jahrhundertwinter« 2012/2013 verschlang rund fünf Millionen Euro. Die Abrechnung ist nicht ganz einfach, bisher mussten die Fahrer Einsatzzeiten und Materialmengen in einzelnen Aufschrieben dokumentieren, die als Grundlage für die Kostenkalkulation herangezogen wurden. Mittelfristig soll diese Vorgehensweise durch eine automatisierte Betriebsdatenerfassung ersetzt werden. Im Pilotprojekt wird diesen Winter erstmals ein neues System getestet: Die Fahrtrouten werden satellitengestützt aufgezeichnet und die Streusalz-Verbrauchsdaten digital am Bedienpult im Fahrzeug abgegriffen. Auch den externen Dienstleistern soll das die Abrechnung erleichtern. »Vorausgesetzt der Testlauf in dieser Saison auf einigen Fahrzeugen bewährt sich, wird das System auf allen Fahrzeugen nachgerüstet«, so Söll. (GEA)