HAYINGEN. Die Drehorgel hat es dem fast 80-Jährigen schon immer angetan. Früher war er sogar in der Trachtengruppe aktiv und tanzte zur Drehorgelmusik von Albert Herter. Nach dessen Tod verstummte allerdings auch der Leierkasten in Hayingen für immer. Sehr zum Bedauern von Werner Steinhart, der gern selbst – wie alle seine fünf Kinder - ein Instrument erlernt hätte, doch dafür reichte sein Atem nicht aus. Als der Landwirt im Jahr 2012 in Rente ging und seinen Hof an den Sohn übergab, erfüllte er sich aber trotzdem den Traum vom Musizieren: Er schaffte sich eine eigene Drehorgel an.
Verziert ist sie mit einer Frau und einem Mann in Hayinger Tracht und Intarsien, die seinen Leierkasten äußerlich einzigartig machen. Das Wesentliche aber sind die Musikrollen im Inneren, die für die guten Töne verantwortlich sind. Rund 30 Stück haben sich in zehn Jahren angesammelt, das musikalische Repertoire reicht von Volksmusik und Heimatliedern bis hin zu Rock 'n' Roll und Popsongs. »Der Einstieg war sehr schwer. Viele Leute haben mich belächelt und mich als 'Bettelmann Steinhart' bezeichnet«, erinnert er sich. Es gab verachtende Aussprüche wie etwa, ob er sich zur Rente ein zweites Standbein aufbauen müsse. »Das habe ich einfach ausgeblendet.«
Und Werner Steinhart hat stets auf das Schild und die kleine Kasse in Form eines Äffchens verwiesen, woraus ersichtlich wird, dass er mit seinem Spiel Spenden für krebskranke Kinder sammelt. Nein, nötig hatte und hat der 80-Jährige das nicht. Aber er macht es aus Leidenschaft und aus Spaß, außerdem, weil er mit seinem Drehorgelspiel viel Gutes bewirken kann. Rund 26.000 Euro sind auf diese Weise in den vergangenen zehn Jahren zusammengekommen – Geld, das er an die Fördervereine für krebskranke Kinder in Ulm und hauptsächlich in Tübingen gespendet hat. Dafür reist er in der Region umher, geht auf Floh- und Weihnachtsmärkte oder auf Stadtfeste.
Seine Auftritte begannen in den Altenheimen in Riedlingen, Zwiefalten, Buttenhausen und Münsingen, sechs- bis siebenmal im Jahr brachte er mit seiner Musik alten und kranken Menschen Freude. »Bis Corona fand ich hier ein sehr dankbares Publikum vor, das gern zu volkstümlichen Liedern mitgesungen hat«, erzählt Steinhart. Bedauerlicherweise sind solche Besuche rar geworden, weil von Seiten der Einrichtungen kein Interesse mehr besteht.
Rund 26.000 Euro Spenden für krebskranke Kinder
Mittlerweile kennt man den Mann am Leierkasten im schwarzen Frack, mit weißem Hemd, roter Fliege und Zylinder von Tübingen bis Ulm. Er ist bekannt geworden: mit seiner Musik, seiner Begeisterung und seinem Lachen. Anerkennung macht sich breit für das, was er tut. Das zeigt sich auch an den vielen Scheinen, die inzwischen in seiner Kasse und später auf dem Konto des Fördervereins für krebskranke Kinder landen. Zu manchen Veranstaltungen geht er einfach hin, sucht sich ein geeignetes Plätzchen und spielt los. Von anderen wird er aber auch als der gut gelaunte Mann an der Drehorgel aus Hayingen gebucht. Vier bis sechs Stunden können schon einmal auf dem Schokoladenmarkt in Tübingen, auf dem Weihnachtsmarkt in Metzingen, auf dem Biosphärenmarkt in Münsingen oder auf dem Kartoffelfest in St. Johann zusammenkommen.
Bei heißen 30 Grad Celsius ebenso wie bei minus 10 Grad. Mal nur im kurzen Hemd und Bolero, mal mit vielen Schichten warmer Unterwäsche und dem Frack oben drüber. »Das stundenlange Drehen der Kurbel macht mir nicht viel aus, aber die lange Steherei strengt mich zwischenzeitlich doch sehr an«, räumt Werner Steinhart ein. Ans Aufhören denkt er dennoch nicht: »Ich mache weiter, solange es gesundheitlich geht und ich Freude daran habe.« Denn oft ergeben sich auch viele interessante und nette Gespräche, sogar mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer oder Schlagersängerin Alexandra Hoffmann hat er schon geplaudert. »Bürgermeister, Pfarrer und Landtagsabgeordnete lasse ich auch mal an meinem Leierkasten drehen«, erzählt er lachend.
Der beste Platz zum Spielen ist vor viel Publikum, denn dann – das ist seine Erfahrung – kommen auch viele Spenden zusammen. Und diese eröffnen dem Förderverein für krebskranke Kinder viele Möglichkeiten der Unterstützung: in den beiden Häusern, wo Eltern wohnen können, in der Klinik, durch viele notwendige Projekte und in der Forschung. (GEA)