HEROLDSTATT-BREITHÜLEN. Knapp 70 Einwohner zählt Breithülen. Am Donnertag waren dort gefühlt 50-mal so viele Menschen unterwegs. Zeitweise gab es lange Staus in der Ortsdurchfahrt, der Landesstraße 230 zwischen Laichingen und Münsingen. Der Grund: Die Firma Finch-Whisky eröffnete ihre neue Erlebnismanufaktur in einem mehr als 100 Jahre alten Stadel. Die Raufutterscheune gehörte einst zum ehemaligen Remontedepot (Ausbildungsbetrieb für Militärpferde), das auf der gegenüberliegenden Straßenseite angesiedelt ist.
Viele Fenster und Glasflächen hat das Gebäude bekommen. Der historische Charakter blieb erhalten. Kein Wunder. Mit enormer Handwerkskunst und schwer zu beschaffenden Materialen wurde dort in den vergangenen Monaten gearbeitet, erzählte Firmeninhaber Hans-Gerhard Fink, der die Besuchermassen den ganzen Tag über durch die neuen Räume führte. Die Holzkonstruktion des Gebäudes sowie die Holzfassade aus dem vergangenen Jahrhundert wurden, unter Wahrung des Denkmalschutzes, originalgetreu erhalten, informierte er die Gäste.
Essen wie die Soldaten früher
Auf zwei Ebenen gibt es jetzt auf mehr als 500 Quadratmetern Fläche eine landwirtschaftliche Getreidebrennerei mit gläserner Produktion, einen Tastingraum, einen Shop mit Verkostung, sanitäre Anlagen, ein Labor, Besprechungs- und Aufenthaltsräume sowie Büros. Der Anbau, der unter anderem als Fertigwarenlager und als Technikraum dient, ist knapp 18 Meter lang und rund 8,50 Meter hoch. Auf der Ostseite im Freien stehen der Schlempetank sowie das Malzsilo. Aktuell werden dort Whiskys bis zu 12 Jahre in 14 verschiedenen Sorten abgefüllt.
Im Gebäude roch es nach zweistelligem Hochprozentigem, die Besucher konnten nach Herzenslust die verschiedenen Whisky-Sorten kosten. Draußen herrschten einstellige Temperaturen, was der guten Laune keinen Abbruch tat. Oliver Kähler aus Strohweiler war mit seiner originalen Feldküche aus dem Jahr 1916 vor Ort und servierte Gulaschsuppe nach einem Originalrezept. So konnten die Besucher einmal so speisen wie die Soldaten vor 100 Jahren im Remontedepot. Zudem hatten sie die Möglichkeit, einem Küfer über die Schultern zu schauen, wie er ein Fass herstellt, in das später Hochprozentiges abgefüllt wird.
Zum ehemaligen Ausbildungsbetrieb für Pferde des XIII. (Königlich Württembergischen) Armeekorps gehörten südlich gelegen die Sommerweiden. Dort baute die französische Armee Mitte der 1960er-Jahre das Dépôt d’armée 61, wo die Munition der im Südwesten stationierten Soldaten zentral gelagert war. Dieses 28 Hektar große Gelände hat Fink Ende 2022 Fink ebenfalls gekauft.
Im Lager gibt es insgesamt neun umwallte Munitionslagerhäuser sowie elf größere und kleinere Munitionslagerhäuser, einige davon mit Splitterschutzwällen. Zudem sind auf dem Gelände 13 erdüberdeckte Stradley Lagerhäuser. Jeder dieser Bunker ist 192 Quadratmeter groß, 24 Meter lang und acht Meter breit. Dort, wo einst bis zu 1.000 Tonnen Explosivstoffe lagerten, stapeln sich bereits rund 6.000 Whisky-Fässer, erfuhren die Besucher. Sie hatten am Feiertag zum ersten Mal die Möglichkeit, sich in dem einst streng bewachten militärischen Sperrbereich umzusehen.
Erlebniswelt wächst
Zu Beginn wurde das Gelände von einer zivilen, 18-köpfigen Wachmannschaft bewacht, die sich in erster Linie aus Landwirten aus der näheren Umgebung zusammensetzte. Von 1985 an übernahmen diese Aufgabe französische Soldaten bis zum Abzug Mitte 1992. Danach nutzte die Bundeswehr das Gelände bis 2005 als Lager, bevor die Bunker an Landwirte und Privatpersonen vermietet wurden.
FIRMEN-INFO
Die Finch Whisky-Destillerie von Agraringenieur Hans-Gerhard Fink aus Oppingen bei Nellingen betreibt seit 2012 mit sechs Mitarbeitern eine Destillerie mit einer Brennblase, die sogenannte Pot Still, mit einem Volumen von 3.000 Litern. Der 59-jährige Brennmeister besitzt nach eigenen Angaben eine der größten Anlagen Deutschlands. Sie produziert pro Jahr rund 250.000 Liter Hochprozentiges. Fink baut die Rohstoffe für die verschiedenen schwäbischen Highland-Whiskys selbst in der Region an. (lejo)
Fink wird in den kommenden Jahren auf dem Gelände eine »Erlebniswelt rund um das Thema Whisky« schaffen. Von 2025 an sollen dort schottische High-landrinder weiden. In einer Ausstellung wird den Besuchern eines Tages auf dem Gelände einmal die Land- und Forstwirtschaft nähergebracht und regionale Produkte aller Art angeboten. Zudem sind Stellflächen für Wohnmobile vorgesehen sowie Einkehrmöglichkeiten für Wanderer und Radfahrer. (GEA)