ST. JOHANN-BLEICHSTETTEN. Wie soll ein Stück Schrott von einem Verkehrsflugzeug Hoffnung auf Zukunft und Demokratie machen, wenn manch einer schon jetzt den Sturzflug der Demokratie heraufbeschwören will? Der Künstler und Luftfahrtpsychologe Reiner Kemmler wollte mit seinem Kunstwerk einen Gegenstrom bewirken zu den düsteren, anti-demokratischem Erzählungen, die zurzeit kursieren. Am Donnerstag enthüllte das Kunstforum St. Johann vor dem Bürgersaal an der alten Schule in Bleichstetten die Kunstinstallation.
Bereits 2016 stellte der Künstler sein Objekt in Bleichstetten aus. Die endgültige Enthüllung der Skulptur erlebt er nicht mehr, im vergangenen August ist er gestorben. Ein Teil seines künstlerischen Schaffens ist nun in Bleichstetten verewigt.
Die Fragilität des Daseins
Das Kunstwerk steht auf einem Wiesenstück vor dem neuen Bürgersaal. Es handelt sich um ein Aluminium-Schrottstück einer Boeing 747-200. Darauf weist ein Pfeil nach rechts, versehen mit dem Wort »Zukunft«. Darunter, in kleinerer Schrift, ein Pfeil in die linke Richtung, der auf das Wort »Demokratie« weist, darunter ein weiterer Pfeil nach rechts zum Begriff »Globalisierung«. Clemens Fischer vom Kunstforum St. Johann erläutert Kemmlers vielseitigem Wirken zu den Themen »Lufthansa, NASA, Abstürze«. »Als Luftfahrtpsychologe beschäftigte er sich ebenso viel mit dem Fliegen wie mit dem Menschen«, erklärt er. Aufgrund seines speziellen Themengebiets sei Kemmler sich der »Fragilität des Daseins« bewusst gewesen.
In seinen Aufgabenbereich fiel unter anderem das Betreuen der Angehörigen von Opfern von Flugzeugunglücken. Diesen Spagat zu schaffen, ist ihm nach Meinung von Uli Schwenk ausgezeichnet gelungen.
Durch Schwenk kam Reiner Kemmlers Kunst auf die Alb. Der Segelflieger beschreibt ihr erstes Zusammentreffen bei einem Workshop zur Stressbewältigung im Cockpit. Der Psychologe Kemmler zeigte den Teilnehmern ein Experiment: Er ließ sie die Armen nach links und rechts ausstrecken und die Zeigefinger in die Höhe strecken. Dann fragte er, ob sie die ausgestreckten Zeigefinger sähen oder nicht. Wenn ja, sei das gut; wenn nicht, zeuge das von Stress, da man im Zustand der Angst und des Stresses eine eingeschränkte Sicht habe. »Mit Angst trifft man keine guten Entscheidungen«, fügt der Luftsportler hinzu. »Dank seiner Unterstützung bin ich Vizeweltmeister geworden«, betont Schwenk, der sich diesen Titel bei der Segelflug-Weltmeisterschaft 1995 in Neuseeland sicherte. Ähnlich sehe er das auch mit der Demokratie, sagt Schwenk: Sie funktioniere nur, wenn man nicht ängstlich sei.
Bürgermeister Florian Bauer führt den Vergleich des Fliegens mit der Demokratie weiter. Vor lauter Diskutieren und Streiten – als Sinnbild für den Flug – dürfe man die Landung, das Treffen einer Entscheidung, die Konfrontation mit den Konsequenzen, nicht vergessen. Als Beispiel nennt er den neuen Bürgersaal, vor dem er steht. Die Entscheidung, ihn zu bauen, wurde demokratisch getroffen, war aber nicht unumstritten. »Ich glaube an die Demokratie«, schließt der Bürgermeister hoffnungsvoll.
Impuls für die Europawahl
Musikalisch untermalt Rudolf Tigges das Event mit Didgeridoo-Klängen, die beruhigend, aber auch bedrohlich wirken. Sven Kemmler, Autor und Kabarettist, kommentiert im Andenken an seinen Vater dessen Kunstwerk. Ein Flugzeug müsse »sorgfältig geplant und konstruiert« und regelmäßig gewartet werden, ganz wie eine Demokratie, erklärt er. »Ohne Piloten, Ingenieure, Personal, Putzkräfte und ohne Passagiere ist auch die Demokratie nur ein Haufen altes Blech.« Sven Kemmler ruft deshalb dazu auf, die Europawahl zu »würdigen, indem wir sie nutzen, um unsere Stimme hörbar zu machen«. (GEA)