MÜNSINGEN. Ob zu Beginn des Schuljahres 2022/23 die Schüler im Landkreis Reutlingen wie gewohnt in Busse einsteigen können, ist offen. In zwei Brandbriefen an die Regionalverkehr Alb-Bodensee (RAB) mit Sitz in Ulm, an das Landratsamt Reutlingen, an die Verkehrsminister im Bund und im Land und die Abgeordneten in der Region beschreiben die lokalen Busunternehmer ihre wirtschaftliche Lage als existenzbedrohend. Sie sähen sich gezwungen, den Linienverkehr ab dem 1. September einzustellen, falls »keine schriftliche Reaktion (auf ihren Brief) mit angemessener Fortschreibung und Abschlagszahlung erfolgt.«
Bei den Unterzeichnern handelt es sich um sieben Unternehmen, die den Busverkehr auf beziehungsweise von der Alb her bedienen, alle als Subunternehmer der RAB. Die Unternehmen seien bereits in Schieflage geraten. Zu Jahresbeginn sind Tariferhöhungen in Kraft getreten, vor allem aber die hohen Dieselpreise schlagen zu Buche. Bereits im Herbst vergangenen Jahres wurde Diesel deutlich teurer, ein weiterer Preissprung erfolgte zu Beginn des Ukraine-Kriegs. »Dies summiert sich seit Februar je Bus auf circa 10 000 Euro Fehlbetrag gegenüber der ursprünglich kalkulierten Ausgangslage zu Vertragsbeginn«, heißt es in dem Schreiben.
»Die Subunternehmer stehen am Anfang der Nahrungskette«
Außerdem läuft die »befristete Senkung der Energiesteuer für Kraftstoffe im Straßenverkehr« zum 31. August aus: Die Busunternehmen rechnen damit, dass der Diesel sich dann um 16 Cent pro Liter verteuern wird. Ihre Angebote für die Teilstrecken haben sie auf Basis eines Dieselpreises von 90 Cent pro Liter netto abgegeben, sie bräuchten 60 bis 80 Cent mehr auf den Liter, rechnete Thomas Knorr, Unternehmer aus Hayingen, bereits bei einem Pressegespräch im Juli vor (der GEA berichtete).
Witgar Weber, Geschäftsführer des Verbands Baden-Württembergischer Omnibusunternehmen (WBO) in Böblingen, hat »schon lange damit gerechnet, dass Subunternehmer aufgeben«. Beziehungsweise aus dem öffentlichen Nahverkehr aussteigen. In anderen Branchen könnten Betriebe auf Kosten- mit Preissteigerungen reagieren. Auch im Reiseverkehr würden Fahrgäste Preissteigerungen akzeptieren. »Im Linienverkehr ist das nicht möglich«, erklärt Weber. Die Subunternehmer sind durch langfristige Verträge gebunden und die Preise für die Fahrkarten »werden von Naldo festgelegt«, sagt Weber. »Das sind auch politische Preise.«
Die Subunternehmen stehen am »Anfang der Nahrungskette«, beschreibt Weber. Sie betreiben einen erklecklichen Teil der Linien im Landkreis, stellen Fahrer und Busse. Aufträge und Vergütungen werden mit der RAB als Linienverkehrsunternehmen verhandelt, die auch selbst Busse auf die Reise schickt. Die RAB wird wiederum von den Landkreisen bezahlt.
»Von März bis Juli brachten wir über 100 000 Euro Privatgelder ein«
»Die Gelder, auch Sonderzahlungen, werden von uns weitergereicht«, sichert Martin Pöhler von der RAB zu. Die RAB stehe im Austausch mit den Subunternehmen auf der einen, dem Landratsamt auf der anderen Seite. »Wir bemühen uns, die Kuh vom Eis zu bekommen.« Momentan sei alles im Fluss. Nicht bei allen Sonderzahlungen handelt es sich um zusätzliche Mittel. Vielmehr wurden vereinbarte Zahlungen vorgezogen, um die Liquidität der Unternehmen zu erhalten. »Im Herbst hilft das nichts mehr«, erklärt Verbandspräsident Weber.
Der Landtagsabgeordnete Rudi Fischer (FDP) hat den Fahrplan seiner Sommertour durch den Wahlkreis geändert und mit Busunternehmern gesprochen. Die ÖPNV-Linien müssten seit Monaten aus den Reserven bezuschusst werden, hat Fischer mitgenommen. Diese Reserven seien aufgebraucht, Traditionsunternehmen mit jahrzehntelanger Geschichte drohe die Insolvenz. »Seit März bringen wir Privatgelder für den ÖPNV ein, von März bis Juli sind das über 100 000 Euro«, schreibt einer der Betroffenen – wohlgemerkt nur für seinen Betrieb.
»Linien, die eingestellt sind, können nur schwer wiederbelebt werden«
Die FDP-Fraktion habe schon im Frühjahr Gespräche mit dem Verkehrsministerium geführt, geschehen sei allerdings wenig, erzählt Rudi Fischer. Jetzt drohe die Zeit auszugehen, »wenn Menschen aus dem Urlaub zurückkommen und feststellen, dass es den Bus zum Arbeitsplatz nicht mehr gibt«.
Fischer und auch Verbandspräsident Witgar Weber blicken über den Herbst hinaus in die Zukunft: Linien, die einmal eingestellt sind, könnten nur schwer wiederbelebt werden. »Fahrer sind schwer zu bekommen und wer einmal weg ist und einen anderen Arbeitsplatz gefunden hat, kommt nicht mehr zurück«, fürchtet Weber. Er warnt vor der Vorstellung, dass die RAB, der Auftragnehmer des Landkreises, die Linien allein ohne Subunternehmer betreiben könnten: »Die RAB hat weder die Fahrer noch die Fahrzeuge.«
»Wir können nicht auf Gelder vom Bund warten, wenn’s brennt, müssen Land und Kommunen selbst löschen«, mahnt Rudi Fischer zur Eile.
»Wir unternehmen alles, um die Verkehre aufrechtzuerhalten«
Dem Landratsamt ist die Notlage bewusst: »Wir unternehmen als Landkreis im Moment alles, um die Verkehrsunternehmer im Rahmen des Möglichen zu unterstützen und damit die Verkehre aufrechtzuerhalten«, heißt es in einer Stellungnahme des Kreises.
Konkret hat der Kreis im Juli bekanntgegeben, im laufenden Jahr 450 000 Euro an Landeszuschüssen, im kommenden Jahr 240 000 Euro »in den Tarifzu geben«. Außerdem hätten die Naldo-Landkreise sich darauf verständigt, jeweils 350 000 Euro »zur Stabilisierung des Tarifs« aufzubringen. Und wegen der gestiegenen Dieselpreise »wurde angeboten, die Preisanpassung für das Jahr 2023 bereits hälftig auf 2022 vorzuziehen«. Der Landkreis hat die vorgezogene Preisanpassung den Linienbetrieben vergangenen Freitag mitgeteilt. Diese haben diese Woche zugesichert, mit den Subunternehmern auf dieser Basis Gespräche zu führen. (GEA)