So simpel die Konstruktion aussieht, die wie eine Nadelspitze aus dem Wald ragt, so spektakulär ist ihr Aufbau. Mit 140 Metern wird sie das höchste Bauwerk im Kreis Reutlingen sein – an dessen dritthöchstem Punkt. Weil das 872 Meter hohe Plateau nur über schmale Waldwege zugänglich ist, bleibt für den Transport der Bauelemente Plan B: Was nicht ohne Weiteres auf der Erde bewegt werden kann, muss in die Luft. Das spart Zeit und schont den Waldboden.
»Mit dem Mast wird die öffentliche Diskussion ein neues Stadium erreichen«Eine Wiese vor der Bärenhöhle wird zum Lager- und Hubschrauberlandeplatz. Zwei Tage lang fliegt der Pilot, der sonst in den Alpen Lastenflüge macht, hin und her. Zwei Kilometer Luftlinie, 23 Mal hin und zurück. Mit jedem Transport wächst der Turm um achteinhalb Meter. Drei Berufskletterer aus Polen warten am jeweils höchsten Punkt des Konstrukts auf den Helikopter. Der Pilot bringt den Hubschrauber in der Luft zum Stehen, jetzt ist Maßarbeit gefragt: Die Kletterer müssen das Bauelement zu fassen bekommen und platzieren. Zügig fixieren sie es mit den ersten Bolzen, dann klinkt der Heli die Ladung aus und dreht ab. Die Kletterer machen den Rest.
Das »Bodenpersonal« spannt den Gittermast mit Stahlseilen ab. Sternförmig führen sie in drei Richtungen vom Turm weg. »In 30, 50 und 85 Metern Entfernung werden die Seile in Stahlbetonfundamenten geankert«, erklärt Jacob Wehl. Er kommt, wie die Firma Meventus, für die er arbeitet, aus Dänemark. Solche Masten aufzurichten, ist für ihn Alltag. Aber der Hochfleck ist auch für den Profi eine besondere Herausforderung. Dass ein Helikopter zum Einsatz kommt, ist selten, für Wehl und seine Kollegen ist das Projekt in Sonnenbühl das zweite dieser Art in ganz Deutschland.
»Fakten, die deutlich über den Windatlas hinausgehen«Pilot aus dem Allgäu, Kletterer aus Polen, Fachfirma aus Dänemark: »Hier sind europäische Spezialisten am Werk«, sagt Daniel Votteler, der die Bauarbeiten für Sowitec koordiniert. Gutes Englisch ist Pflicht: Gestammel oder Missverständnisse kann keiner gebrauchen, wenn das einzige Kommunikationsmittel zwischen Himmel und Erde, Hochfleck und Bärenhöhle das Funkgerät ist.
Rund 180 000 Euro muss Sowitec in den Aufbau und die technische Ausstattung mit mehreren Messgeräten investieren. Geld, das das Unternehmen gerne in die Hand nimmt. Denn gemessen an den Kosten für einen Windpark fallen sie unter die Kategorie Portokasse: »Eine Windmühle kostet fünf Millionen«, sagt Sowitec-Abteilungsleiter Roland Hummel. Bei möglichen sieben Anlagen macht das 35 Millionen, die man nicht mal eben so in den Sand setzt. Zumal Sowitec und die Gemeinde für den potenziellen Windpark Bürger als Investoren mit ins Boot holen wollen. Das Genehmigungsverfahren läuft zwar schon – doch gebaut wird nur, wenn die Messergebnisse für einen rentablen Betrieb sprechen. »Das ist heute nicht der Startschuss für den Windpark«, betont Bürgermeister Uwe Morgenstern, »sondern eine Datengrundlage für alles Weitere.«
Nachdem sie zehn Tonnen Stahl zum Gittermast zusammengefügt haben, wird’s für die Kletterer nochmal spannend: Die sechs Meter langen Ausleger, die waagrecht vom Turm wegzeigen und an den Spitzen kaum dicker als ein Arm sind, tragen die sensiblen Messgeräte. Sie anzuschließen, ist ein Balanceakt für die Kletterer – und für Sowitec das intelligente Herzstück des Turms.
Sieben Anemometer erfassen die Windgeschwindigkeit auf drei Höhenniveaus – 80, 110 und 140 Meter. Hinzu kommen Geräte, die Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Druck und Windrichtung messen. Läuft alles nach Plan, liefern sie heute Abend die ersten Daten. Damit ist Sonnenbühl einen Schritt weiter als alle anderen Gemeinden im Kreis, in denen Windkraftanlagen denkbar sind. Auch Maximilian Kumpf, der wie viele seiner Gemeinderatskollegen die Möglichkeit zum Baustellenbesuch nutzt, weiß um die Aufmerksamkeit, die dem Projekt zuteil wird. »Die Anlage wird Fakten liefern, die deutlich über das hinausgehen, was der Windatlas aussagt. Das ist eine Chance und eine Diskussionsgrundlage für die ganze Region.«
»Wenn alles glattläuft, könnten wir 2015 mit dem Bau anschließen«Roland Heinrich von Sowitec sieht’s ähnlich: »Der Mast ist das erste sichtbare Zeichen, mit ihm wird die öffentliche Debatte ein neues Stadium erreichen. Er veranschaulicht, welche Dimensionen Windräder mit 140 Metern Nabenhöhe haben.« Heinrich hofft, dass sich die Leute mit dem Anblick anfreunden können. Anschauen darf sich den Mast, wenn das Gelände am Wochenende wieder freigegeben wird, jeder. Allerdings, sagt Revierförster Hipp, wolle man keinen »Fahrtourismus« im Wald. Vom Parkplatz am Golfplatz führt ein halbstündiger Spaziergang zum Ziel.
Wird in einem Jahr tatsächlich ein Windpark gebaut, übersteigt der Aufwand den Messmast-Bau um ein Vielfaches. Ein Helikopter kann die logistischen Probleme dann nicht mehr lösen, für den Materialtransport müssten die Zufahrtswege massiv ausgebaut werden: »Ein einziges Rotorblatt ist 65 Meter lang«, verdeutlicht Sowitec-Projektentwickler Willem Salge die Dimensionen. »Die Straßen müssen eine entsprechende Breite und geeignete Kurvenradien haben und Hunderte Tonnen Gewicht aushalten.« Ein Szenario, das im Genehmigungsverfahren bereits eine Rolle spielt. Und in einem Jahr, wenn die Messreihe abgeschlossen ist, vielleicht schon Realität werden könnte: »Wenn alles glatt durchläuft, der Antrag genehmigt wird, die Windmessung unsere Erwartungen erfüllt und keine weiteren Überraschungen auftauchen, dann könnten wir theoretisch noch in 2015 mit dem Bau anschließen«, sagt Salge. »Das ist allerdings ein sehr sportliches Ziel.« (GEA)