HOHENSTEIN. Heute ist sein hundertster Arbeitstag als Bürgermeister von Hohenstein: »Und ich hab noch keinen einzigen davon bereut«, sagt Simon Baier. Am 5. März hatten ihn die Hohensteiner mit einer überwältigenden Mehrheit von 73,2 Prozent der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 73,7 Prozent zu ihrem neuen Bürgermeister gewählt. Damals war er 29 Jahre alt und damit auch der jüngste Bürgermeister im Kreis Reutlingen. Ein – wenn auch inoffizieller – Titel, den er nicht lange führen durfte: »In meinem Glückwunschschreiben an Eric Sindek hab’ ich ihn direkt weitergeben«, sagt Baier und lacht. Sindek ist der neue Bürgermeister von Eningen, 28 Jahre alt und damit der jüngste in der sich ohnehin langsam, aber sicher immer weiter verjüngenden Kreis-Bürgermeister-Riege.
Baier hat seinen runden, den 30er, inzwischen gefeiert. Mindestens genauso schön war aber ein anderes Fest: Am 16. Mai, zwei Wochen nach seinem ersten Arbeitstag, setzten ihn die Hohensteiner feierlich in sein Amt ein. Die vereinigten Musikkapellen spielten ein Ständchen, die Chöre sangen ein selbst geschriebenes Lied, die Landfrauen tischten bergeweise Gebäck auf. Gerne denkt Simon Baier auch an die Rede von Johannes Schwörer zurück, der nicht in seiner Rolle als Unternehmer, sondern als Repräsentant der Vereine auftrat. »Als Herr Schwörer gefragt hat, wer sich ehrenamtlich engagiert, hat in meiner Erinnerung einfach jeder die Hand gehoben.« Das hat Baier berührt, beeindruckt und beflügelt: »Da wusste ich, dass es die richtige Gemeinde ist, für die ich mich entschieden habe.« Baier ist in Hohenstein aufgewachsen, das ausgeprägte Miteinander »macht das Leben auf der Alb für mich aus. Ich bin gerne hierher zurückgekommen«.
»Ich bin mitten im Geschehen, nicht an der Seitenlinie«
Seine Führungsposition im Tübinger Landratsamt dafür aufgegeben zu haben, ist ein Preis, den er gerne gezahlt hat: »Ich hatte dort eine große Bandbreite an Themen und Aufgaben – aber die, die ich jetzt habe, ist noch vielschichtiger, noch größer, und mit noch größerer Verantwortung verbunden. Es ist mir eine Ehre, dass ich das machen darf.« An seinen ersten Arbeitstag erinnert er sich gern: »Die Kollegen haben mich begrüßt und nett aufgenommen«, sagt Baier. »Kollegen«, das Wort fällt immer wieder, nicht »Mitarbeiter«. Der Bürgermeister ist ein Teamplayer, dem es wichtig ist, zu wissen, wer was macht: Das gilt für die Leute im Rathaus genauso wie für die Beschäftigten in den Kindergärten, in der Kläranlage, im Gesundheitszentrum oder im Forst.
Nicht nur in Hohenstein, sondern auch in der Nachbarschaft hat er sich einen Überblick über Zuständigkeiten und Netzwerke verschafft – dazu gehören auch die Alb-Bürgermeister-Kollegen: »Sie haben mich gut in ihrem Zirkel aufgenommen«, freut sich Baier, dem am weiteren Ausbau interkommunaler Strukturen gelegen ist. Mit dem Zweckverband Haid, zu dem auch Engstingen und Trochtelfingen gehören, ist bereits eine gemeinsame Grundlage da. Jetzt teilen sich die Gemeinden auch einen Digitalisierungsbeauftragten, der die Verwaltung intern, aber auch mit Blick auf die Dienstleistungen für Bürger, effektiver machen soll. Weitere Projekte folgen, auch im Bereich Standesamt ist der Grundstein für Kooperationen und gegenseitige Vertretungsdienste gelegt.
An seinem ersten Arbeitstag hat Simon Baier bereits einen vollen Terminkalender auf seinem Schreibtisch vorgefunden – und das ist bis heute so geblieben. Darin stehen große Anlässe ebenso wie Momente, die vor allem für einzelne Menschen von großer Bedeutung sind. Der junge Bürgermeister hat Fässer in Bierzelten angestochen und mit Vereinen gefeiert, die Schwörer-Haus-Radtour und den Gesundheitswanderweg in Ödenwaldstetten mit eröffnet, das 50-jährige Bestehen der Hohensteinschule gefeiert und Jubilare besucht, um ihnen zum runden Geburtstag oder zur jahrzehntelangen Ehe zu gratulieren. »Ich bin mitten im Geschehen, nicht an der Seitenlinie«, sagt der junge Verwaltungsfachmann, der sein Selbstverständnis als Bürgermeister so beschreibt: »Es ist mir wichtig, für die Menschen da zu sein, ich möchte nicht nur im Rathaus verwalten, sondern draußen vor Ort gestalten.«
Das bedeutet auch: Feierabend ist oft erst spät, Abendtermine hat Baier jede Menge – »aber das weiß man ja vorher«. Zeit für eine Runde Jogging, fürs Fitness-Studio und seine Frau Vera, mit der er inzwischen auch eine Wohnung in Hohenstein gefunden hat, bleibe trotzdem, versichert er. Der Feuerwehr bei einer Übung zuzuschauen, Firmen zu besuchen oder im landwirtschaftlichen Betrieb in Maßhalderbuch, wo Häftlinge mitarbeiten, hinter die Kulissen zu blicken: »Das ist ja nicht anstrengend, sondern spannend.« Unterwegs war er auch schon mit sämtlichen Landes- und Bundestagsabgeordneten aus der Region: »Es ist mir wichtig, die Ansprechpartner zu kennen und die Interessen der Gemeinde zu vertreten.« Das Parteibuch spielt dabei eine untergeordnete Rolle, Baier selbst ist parteilos und unabhängig und betrachtet das in der Kommunikation mit höheren Ebenen auch als Vorteil.
»Transparenz ist für die Akzeptanz von Windkraft enorm wichtig«
In den ersten hundert Tagen hat Simon Baier bereits drei Gemeinderatssitzungen geleitet: »Ich habe ein sehr gutes Gremium angetroffen, die Zusammenarbeit ist konstruktiv, ich bin zuversichtlich, dass wir die Herausforderungen der Zukunft meistern werden.« Erste wichtige Entscheidungen gab es beispielsweise zur laufenden Sanierung der Hohensteinschule und zur zeitgemäßen technischen Ausstattung der Feuerwehr mit einem neuen Fahrzeug zu treffen. Auch das Thema Kinderbetreuung beschäftigt die Hohensteiner, eine erste Antwort auf den Fachkräftemangel ist gefunden: »Wir haben den Ausbildungsbereich ausgebaut«, so Baier.
Andere Weichen hat Baiers Vorgänger Jochen Zeller bereits gestellt, die Zukunftsthemen auf Kurs zu halten, wird Baiers Aufgabe sein. Das gilt für die Energiewende genauso wie für die Digitalisierung. In Sachen Windkraft gibt es für Hohenstein eine Konzeption mit drei Standorten. Vorgestellt werden soll sie in einer Bürgerveranstaltung am 27. September: »Transparenz ist für die künftige Akzeptanz enorm wichtig.« Ein »Dauerbrenner« und »absolutes Zukunftsthema« ist auch der Glasfaserausbau, der gut vorangeht. Ausbaufähig ist auch das Mobilfunknetz in Hohenstein, das für Baier ebenfalls wichtiger Teil der Infrastruktur und Daseinsvorsorge ist: Hier tut sich was, ein neuer Mast in Oberstetten ist genehmigt, die Suche nach weiteren Standorten läuft, um die Netzabdeckung zu verbessern – »mit möglichst wenigen Einschränkungen für die Landschaft«, wie Baier betont.
Daseinsvorsorge: Dazu gehören auch die Themen Nahversorgung und Wohnraum, die in Hohenstein nicht nur abstrakte Schlagworte, sondern an spruchreife Projekte gebunden sind. Eines davon ist das Gebäude in der Marktstraße 13 in Bernloch. Die Abbrucharbeiten sind vergeben, entstehen soll ein Neubau mit Wohnungen und Geschäftsräumen für einen Tante-M-Laden mit Café im Erdgeschoss. Und auch der Traum vom Häuschen im Grünen, der auf dem Land immer noch eine große Rolle spielt, kann in Hohenstein wahr werden: »Wir werden weiteres Bauland ausweisen«, sagt Simon Baier, »konkret sind wir in Eglingen dran, der Aufstellungsbeschluss wird im September gefasst.« (GEA)