»Die Linsen haben so viel gebracht, dass es für die Aussteuer meiner Schwester gereicht hat«Ihr Urteil nach den drei vom Lauteracher Krone-Wirt Martin Mutschler nur in Salzwasser auf den Punkt gegarten Kostproben, das einfließen wird in die weitere Linsenforschung: Platz eins für die edle Französin, Platz zwei für die nussige kleine Späthsche Linse und Bronze für die Große, der Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch aus dem Landwirtschaftsministerium eine Karriere als Suppen- und Eintopfbasis in Aussicht stellte. Im Herbst 2011 soll die Späthsche Alblinse zwei (klein) in den Handel kommen, kündigte Woldemar Mammel an, der gar kein Papst sein will. »Der Begriff der Unfehlbarkeit trifft für mich gar nicht zu.«
In einer Reihe von kurzweiligen Interviews, die Mammel mit den Weggefährten führte, zeichnete er den langen Weg von der aufregenden Wiederentdeckung der ausgestorbenen Späthschen Linsen im Wawilow-Institut, der Genbank in Sankt Petersburg, bis zum Lauteracher Linsengericht auf. Was Mammel ein anerkennendes »Sie sind ein Geschichtenerzähler« von Gurr-Hirsch einbrachte. Mammel hatte mit seiner Euphorie, dem vor allem in den Hungerjahren wichtigen Nahrungsmittel wieder seinen Wert zu verschaffen, einen ganzen Haufen Leute mit dem Linsenfieber angesteckt.
Ventur Schöttle, Jahrgang 1929, von 1978 bis 1991 Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, erinnerte sich lebhaft an den Linsenanbau in den Kriegsjahren auf dem elterlichen Betrieb in Granheim. Und den Wert der Linse. Schöttle: »Fritz Späth war ein wuseliger Mann.« Mit der Sichel hatten Vater und Sohn Schöttle die Linsen geschnitten, die ihren Platz im Dreispitz, ganz oben in der Scheuer hatten und die als erste Frucht gedroschen wurden, wenn die Dreschmaschine auf den Hof kam. »Wenn's am grimmigsten kalt war, hat man die Linsen ausgelesen.« Die Eiweißpflanze sei in den Kriegsjahren zur wertvollen Tauschfrucht geworden, berichtet Schöttle: »Ein Pfund Linsen hatte den Gegenwert von einem Pfund Schmalz.«
Mit der Währungsreform 1948 verlor der Linsenanbau an Bedeutung. Mit ihr wurden die ebenso alten Kulturpflanzen Flachs und Mohn ausrangiert und damit sämtliche Maschinen und Geräte. Der Pflanzenzüchter Fritz Späth sei der Letzte gewesen, der sich um Linsen und Wintererbsen gekümmert habe. 1966 erlosch die Zulassung der Späthschen Alblinsen beim Bundessortenamt.
Karl Tress, Wegbereiter des biologisch-dynamischen Landbaus in Bichishausen, berichtete vom Linsenanbau auf den steinigen Äckern. "Seit meiner Kindheit waren die Linsen auf dem Hof". In der Hungerzeit war Hafer als Stützfrucht mit den Linsen gesät worden. »Die Linsen haben so viel gebracht, dass es für die Aussteuer meiner Schwester gereicht hat«, erzählte der 80-jährige Landwirt, der 1970 wieder mit dem Linsenanbau begonnen hatte.
»Schon Jakob hat seinen Bruder Esau mit einem Linsengericht ums Erbe gebracht«Zehn Jahre später wurde Mammel von der Linsenleidenschaft gepackt. Er setzte eine fieberhafte Suche durch die Genbanken der Welt nach der verschwundenen Feldfrucht in Gang, traf auf Kulturpflanzenssammler und wurde schließlich durch Weggefährten auf das Wawilow-Institut, die älteste Genbank der Welt, aufmerksam, in der 3 000 Linsenherkünfte aufbewahrt werden.
Das Land Baden-Württemberg hat die Renaissance der Alblinsen finanziell unterstützt. Gurr-Hirsch staunt darüber, dass es die Pflanze aus der Genbank wieder in die Ernährung geschafft hat. »Linsen sind ein Faszinosum. Schon Jakob hat seinen Bruder Esau mit einem Linsengericht ums Erbe gebracht.« Und sie ist angetan von der detektivischen Suche des Häufleins Linsenbesessener, die es geschafft haben. Gurr-Hirsch: »Die Menschen haben die Bedeutung des Wiederentdeckten erkannt in einer Zeit, in der täglich Arten aussterben.« (GEA)