MÜNSINGEN/ENGSTINGEN. Brennnessel kosten. Die Augen schließen und die Sonne oder den Wind ganz bewusst spüren. Fledermäuse belauschen, in die Welt der Honigbiene eintauchen oder in eine Höhle kriechen. Von Anfang an wollten die Alb-Guides bei ihren Führungen den großen und kleinen Teilnehmern nicht nur Informationen vermitteln, sondern Erlebnisse bieten – ein Konzept, das sich mit sanftem Tourismus und wachsendem Umweltbewusstsein im ganzen Land verbreitet hat.
Die Landschaftsführer auf der Mittleren Alb waren die ersten, die im Namen des Naturschutzbunds (Nabu) von den Volkshochschulen in Münsingen und Pfullingen ausgebildet wurden. Später folgten Guides für den Osten und den Westen der Alb, aber auch für Schwarzwald und Bodensee. 2001 gingen im Kreis Reutlingen die ersten Alb-Guides auf Tour. Eigentlich sollte der runde Geburtstag bereits im vergangenen Jahr gefeiert werden. Pandemiebedingt gibt’s das Fest aber erst jetzt: am Sonntag, 3. Juli, bei Klosterbräu in Zwiefalten, einem der langjährigen Sponsoren des Projekts.
Im Kontakt zur Natur
Einige der Frauen und Männer des ersten Kurses sind immer noch dabei. Brigitte Spiegler zum Beispiel: Für die studierte Geologin und ausgebildete Naturpädagogin, die vor über dreißig Jahren auf die Alb gezogen ist, war und ist das Projekt wie gemacht. Entsprechend breit gefächert sind auch die Inhalte, die die Landschaftsführerin bei ihren Touren vermitteln kann. »Ich mach’s immer eher so, dass es für die Kinder passt. Für die Erwachsenen oder die besonders Interessierten kann ich das dann unterwegs ergänzen.«
Oft sind es gar nicht die fachkundigen Infos zur Geologie der Alb, die den tiefsten Eindruck hinterlassen. Unvergesslich sind für Brigitte Spiegler die Jugendlichen aus der Stadt, die ganz begeistert von einigen Buchenkeimlingen waren. Die Natur kommt den Menschen auch in kleinen Dingen nahe, die sie überraschen oder freuen, weiß die Naturpädagogin: Das kann ein Insekt sein oder ein anderes Tierchen, ein Stein, ein winziges Pflänzchen.
Die einen schon Pflanzenkenner, die anderen noch völlig ohne Ahnung: So unterschiedlich der Kenntnisstand der Teilnehmer auch ist – interessiert sind sie fast alle. Das ist die Erfahrung von Irmgard Stooß aus Bernloch, die ebenfalls von Anfang an Alb-Guide-Touren führt. Allerdings beobachtet sie, dass der Zuspruch bei den Touren etwas nachgelassen habe: Das konkurrierende Freizeitangebot sei eben immer größer geworden. »Dichter, Hülen, Albbüffel und Älbler Käs’« heißt Irmgard Stooß’ Klassiker, eine Halbtagstour auf den Spuren des Bernlocher Autors Hans Reyhing mit Besuch in der Ödenwaldstetter Hofkäserei.
Internationales Publikum
Denn das ist eine weitere Besonderheit der Alb-Guides: Jeder und jede der Landschaftsführer hat seine Spezialitäten, seine individuellen Touren, bei denen unterschiedliche Themen im Mittelpunkt stehen. Angeboten werden sie zum einen zu festen Terminen: Zwischen März und Oktober gibt es an vielen Wochenenden – und oft auch unter der Woche – kürzere oder längere Touren für Natur-Interessierte und Familien. Zum anderen haben Gruppen die Auswahl zwischen zahlreichen Wander-, Rad- und Bustouren, die bei den Alb-Guides individuell gebucht werden können. Dieses Angebot wird gern für Betriebsausflüge genutzt, weiß Gerhard Haag, Alb-Guide seit 2003 und bis vor Kurzem einer der Sprecher der Gruppe auf der Mittleren Alb. Er hat aber noch andere Stammkunden: Fachhochschulen und Universitäten im Umkreis, die für ihre Gastwissenschaftler oder Austausch-Studenten gerne eine Führung buchen – auf Englisch. Haag, der lange Zeit in Kanada gelebt hat, bedient deshalb von allen Alb-Guides das internationalste Publikum. Besonders gefreut hat ihn unlängst die Rückmeldung einer Frau aus der Ukraine, die nach der Wanderung sagte, nun sei ihr Kopf etwas freier.
Die vielen positiven Rückmeldungen der Teilnehmer: die beflügeln auch Rita Goller seit ihrer ersten Tour vor zwanzig Jahren. Sie hatte damals »einen Ausgleich vom Job« gesucht – und eine Aufgabe gefunden, die sie zeitlich ziemlich beansprucht und ihr auch schon den einen oder anderen Fernsehauftritt eingebracht hat. Denn Rita Goller hat sich als Alb-Guide auf das ungewöhnliche Thema Schneckenzucht spezialisiert. Von diesem historischen Erwerbszweig mancher Lautertal-Bauern sind viele Besucher »total gefesselt«, wie sie selbst sagt.
Apropos Erwerbszweig: Zwar kosten die Alb-Guide-Touren ein paar Euro, aber reich wird davon niemand – vor allem nicht, wenn er sich wie Rita Goller als Sprecherin nicht nur für die Alb-Guides, sondern auch für die Trüp-Guides, die Landschaftsführer auf dem Truppenübungsplatz und für die Biosphärenbotschafter engagiert: »Da braucht man Idealismus.« Auch für Gerhard Haag ist die Aufgabe vor allem »ein schönes Hobby«. Verdient sei dabei nichts.
Einige der Alb-Guides aus den Anfangszeiten treten altershalber inzwischen kürzer oder sind ganz ausgeschieden, andere sind neu hinzugekommen. Genügend Personal wird gebraucht, um die verschiedenen Angebote abdecken zu können, wie Rita Goller berichtet. Dazu gehören neben den Touren für Erwachsene oder Familien nämlich auch die Natur-Erlebnistage: Ausflüge oder Projekttage mit dem Alb-Guide, die von Schulen kostenlos gebucht werden können. Der Mineralwasser-Hersteller Romina macht’s möglich. Ihn und die Nabu-Landschaftsführer verbindet noch ein weiteres Projekt: die Eiszeit-Touren, die Information und Erlebnis rund um die Schwäbische Alb vor Tausenden von Jahren vermitteln.
Immer unterschiedliche Menschen, oft bunt gemischte Gruppen, die irgendwie unter einen Hut zu bringen sind: Das ist für Rita Goller die große Herausforderung – das bringt ihr aber auch manches Erfolgserlebnis. »Wenn die Leute nach der Wanderung glücklich sind, dann ist das eine tolle Bestätigung. Und Antrieb für die nächste Tour.« (GEA)
20 JAHRE ALB-GUIDES
Fest am Sonntag, 3. Juli, im Brauereihof in Zwiefalten
Der Naturschutzbund (Nabu) hatte das Alb-Guide-Projekt vor mehr als 20 Jahren initiiert. Und im Sommer 2001 haben die ersten ausgebildeten Landschaftsführer ihre Zertifikate erhalten. Seither sind in mehreren Kursen Alb-Guides qualifiziert worden, sind Hunderte von Kindern und Erwachsenen zu festen Terminen oder in eigens gebuchten Touren über die Alb geführt worden. Ihren runden Geburtstag feiern die noch immer unter dem Dach des Nabu organisierten Landschafts-Erklärer am Sonntag, 3. Juli, von 11 bis 17 Uhr mit einem Fest in Zwiefalten im Hof der Brauerei. Um 11 Uhr ist Begrüßung, von 12 bis 16 Uhr werden Kutschfahrten angeboten. Um 13.30 und um 15 Uhr gibt es eine Brauereiführung. Außerdem können die Besucher an Wanderungen zum Biberbau oder auf den Mönchspfaden teilnehmen oder geführte Kurztouren mit dem Fahrrad unternehmen. Das Nabu-Biosphärenmobil ist mit Mitmachaktionen für Familien den ganzen Tag vor Ort. Außerdem gibt es einen Infostand der Alb-Guides, an dem in einem Quiz Gutscheine zu gewinnen sind. Im Peterstor läuft die Ausstellung »500 Jahre klösterliche Braukunst«. (em) www.alb-guide.de