MÜNSINGEN. Im Oktober dieses Jahres soll die Gebietserweiterung des Biosphärengebiets Schwäbische Alb beschlossen werden. 15 der bisher 29 Mitgliedskommunen in drei Landkreisen und zwei Regierungspräsidien wollen weitere Flächen einbringen, sechs neue Gemeinden planen ihren Beitritt. Denn seit der Unesco-Anerkennung im Jahr 2009 wurde einiges auf den Weg gebracht. Einstige Gegner haben sich zwischenzeitlich vom Erfolg der letzten Jahre und den zahlreichen Projekten, die durch das Biosphärengebiet insbesondere in der Regionalvermarktung entstanden sind, überzeugen lassen und sind zu Befürwortern des Reservats geworden.
So auch Hans Roggenkamp, stellvertretender Vorsitzender des Kreisbauernverbandes Ulm-Ehingen, der ebenso wie Gebhard Aierstock, Vorsitzender des Kreisbauernverbandes Reutlingen, zur Podiumsdiskussion in die Münsinger Zehntscheuer gekommen war. Die Diskussion sollte zeigen, was sich durch die Gebietserweiterung auch im Hinblick auf die regionale Wertschöpfungskette verändern könnte und welche Auswirkungen auf die Landnutzung zu erwarten sind. »Menschen und Unternehmen leben und arbeiten mittendrin, sie alle beteiligen sich aktiv und füllen das Biosphärengebiet und die Natur mit Leben«, sagte Landtagsabgeordnete Cindy Holmberg, die gemeinsam mit dem Grünen-Kreisverband Reutlingen zum Austausch und zur Podiumsdiskussion eingeladen hatte.

Zu Gast war auch der Landtagsabgeordnete Dr. Markus Rösler, dessen Dissertation »Arbeitsplätze durch Naturschutz« der Einrichtung des Biosphärengebiets zugrunde gelegt wurde. »Es sollte ein Versuch sein, Ökonomie, Ökologie und Soziales zusammenzubringen.« Was der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel ablehnte, kam bei seinem Nachfolger Günther Oettinger an. Für Rösler eine Erkenntnis: »Es kommt nicht auf die Partei an, sondern darauf, dass die Leute miteinander schwätzen.« Das haben Naturschutzverbände und Parteien im Land getan und so ist eine Modellregion entstanden, in der laut Rösler die Landwirtschaft eine zentrale Rolle spielt und Menschen leben, arbeiten und Geld verdienen. Eine Geschichte mit messbaren Erfolgen. »Es ist gelungen, Naturschutz, Tourismus und Bildung unter einen Hut zu bringen«, so Rösler.
»Landwirtschaft erfolgt nicht nach dem Kalender«
Hans Roggenkamp sieht heute, was geleistet worden ist und das hat ihn vom Gegner zum Befürworter des Biosphärengebiets werden lassen. Allerdings sieht er dieses nur im Gleichklang mit der Bewirtschaftung durch Landwirte, denen nach wie vor das Vertrauen fehle. »Oft wird die berufliche Qualifikation und das fachliche Wissen der Landwirte infrage gestellt, obwohl ein nachhaltiges Denken für sie jeden Tag eine große Rolle spielt. Aber Landwirtschaft erfolgt eben nicht nach dem Kalender«, meinte Roggenkamp und riet der Biosphären-Geschäftsstelle, Menschen aus unterschiedlichen Bereichen und auch die Landwirte in der aktuellen Erweiterungsrunde zu beraten und zu unterstützen. »Die Weichen müssen nun so gestellt werden, dass neue Perspektiven gefunden und Zukunftsprojekte angegangen werden können.« Er appellierte an ein »gesundes Wachstum ohne überstülpen« und räumte der Regionalität Vorrang vor Bio ein.
Qualität, Regionalität und Wertschöpfungsketten sind laut Gebhard Aierstock zentrale Themen für diese »Modellregion für nachhaltige Entwicklung«. Es sei »gigantisch«, was sich in den letzten Jahren entwickelt habe. Doch es gab auch Zielkonflikte: Schutzgebiete wurden falsch kartiert, es gibt Einschränkungen beim Pflanzenschutz und mit dem Biodiversitätsstärkungsgesetz Vorgaben, die die Landbewirtschaftung schwieriger mache. Märkte und Preise haben sich verändert, Kosten seien in vielen Bereichen gestiegen. »Von dem 30-Prozent-Ziel Bio sind wir noch sehr weit entfernt. Deshalb müssen wir an Kantinen und Schulen gehen«, meinte Aierstock. Jeder Verbraucher habe es selbst in der Hand, sich das Thema Biosphärengebiet zu eigen zu machen und Regionalität umzusetzen. Die Erweiterung bezeichnete er als Chance, die sich wohl in den nächsten 20 Jahren nicht mehr wiederhole. »Nicht umsonst hat die Stadt Reutlingen mit ihrer großen Fläche Interesse, auch Sonnenbühl, Engstingen und Hohenstein wollen dazu. Die Frage ist, ob sie das mit der Kernzone auf die Reihe kriegen, aber das ist ein Stück weit auch Verhandlungssache.«
»Die Politik ist zu weit weg von der Landwirtschaft«
Laichingen, Mehrstetten und Trochtelfingen haben dagegen kein Interesse. Zur Erleichterung von Landwirtin Ulrike Münch aus Trochtelfingen. Sie sieht im Biosphärengebiet eine »grüne Ideologie«, die an der Landwirtschaft vorbeigeht. »Die Politik ist zu weit weg von der Landwirtschaft, es wird nicht mit uns geredet. Deshalb sind auch die Bedenken so stark und deshalb gehen die Landwirte auf die Barrikaden«, meinte sie. Per se würden Bio-Produkte als »gut« angesehen, konventionell erzeugte Produkte als »schlecht«. »Alle Biosphärenreservate sind irgendwann erweitert worden, weil man deren Vorteile gesehen hat. Neben dem Aspekt der Wirtschaftskreisläufe ist auch die regionale Identität mit der Heimat ein Kernaspekt«, sagte Markus Rösler. Die Alb habe dank des Biosphärengebiets einen Imagewandel durchgemacht, das wirke sich positiv auch auf die wirtschaftliche und landwirtschaftliche Entwicklung aus. (GEA)