PFULLINGEN. Erwartungsvolle Stille, alle Augen auf die Bühne gerichtet, dann kräftiger Anfangsapplaus – Vorschuss des wohlmeinenden Publikums und Motivation für jeden. Mit zuweilen originellen Ideen und eigenen Texten wagten sich am Freitagabend acht junge Dichterinnen und Dichter ans Mikrofon in der Pfullinger Stadtbücherei. Beim Poetry Slam standen einige erstmals auf der Bühne, andere hatten schon erkennbar mehr Übung.
Längst ist das Format des modernen Dichterwettstreits den schummrigen Kneipen entwachsen und so kamen auch in Pfullingen rund 100 Leute, die live Poetisches und Unterhaltsames von Nachwuchstalenten erleben wollten, sehr zur Freude der Veranstalter, der Kulturhaus-Initiative i’kuh, Pro Juventa, der VHS Pfullingen und der Stadtbücherei. Weil vor der Bühne alle Plätze belegt waren, drängten sie sich sogar auf der Treppe und verfolgten ans Geländer gelehnt die Auftritte.
Nur Selbstgeschriebenes darf vorgetragen werden
Sieben Minuten Zeit, keine Requisiten, kein Gesang oder Tanz, ausschließlich Selbstgeschriebenes – so einfach wie genial sind die Regeln des »modernen Dichterwettstreits«. Moderator Hank M. Flemming erläuterte sie zu Beginn ausführlich. »Wichtig ist, dass alles selbst geschrieben ist. Hier darf niemand Texte von Schiller, Goethe oder Haftbefehl vortragen«, so Flemming. Mit dem Publikum übte er die Abstufungen von Applaus auf einer Skala von 1 bis 10, »Buh-Rufe« waren nicht erlaubt. »Der eiskalte Applaus in Stufe 1 erinnert mich an meine Schulzeit«, sagte Flemming. Die mittlere Stufe klappte auf Anhieb, bei Stufe 9 oder 10 sollten die Füße zum Einsatz kommen und die Stimmung »eskalieren«.
»Schwere Kindheit eigentlich nee, beide Eltern ganz ok«
Zum Aufwärmen trug Flemming seinen eigenen Text »Stilles Mädchen« vor, in dem es um Außenseiter geht. Gekonnt auswendig gelernt und unterstrichen mit Gestik und Mimik, verhaspelte Flemmings sich aber an einigen Stellen. Er zeigte allerdings gleich, wie man damit umgeht: mit Humor, und einfach weitermachen. Das schweigende Mädchen, das auch ein Junge sein könnte, sinniert auf einer Autofahrt von dauerlabernden Mitschülern und Lehrern: »Andere reden viel und sagen nichts.« Die Gedanken kreisen bis zur großen Politik, einer »Welt aus den Fugen«, »Telegram statt Tageszeitung« und einem »Schmock am roten Knopf«. Zwischendurch wechselte Flemming in einen flotteren Rap, um mit dem Appell zu enden: »Schweig’ nicht mehr, sag’ uns was du wirklich denkst.«
Von Trabbis und Schmetterlingen
Mit dem »Großen Wurf« eröffnete Uwe. Seinen Wohnort stellte er als »Hauptstadt des Landkreises Reutlingen« vor. Er las Passagen seines Textes mit gekonnt imitiertem sächsischen Akzent vor. Ein Ostdeutscher plant darin bei einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Reutlinger Marktplatz, mit Eiern zu werfen, wie damals auf Helmut Kohl. Einst war er bei Trabant beschäftigt, der »schnellsten Rennpappe der Welt«. Uwe geizte nicht mit Trabbi-Witzen, so zum Beispiel: »Weshalb braucht man in der Produktion immer zwei Arbeiter? Einer faltet, einer klebt.«
Einen nachdenklichen Text unter dem Titel »Schmetterling« trug Hannah vor. Sie hatte zuvor an einem Workshop in der Bücherei teilgenommen und war zu Beginn ihres ersten Auftritts etwas nervös. In ihrem kurzen Text ging es um gute und schwierige Zeiten. Manchmal ist Geduld erforderlich, bis das Glück einkehrt: »Wenn es nicht bleibt, ist es selbst schuld.«
Zufriedenheit mit Gegebenem
Gleich drei kurze Texte trug Silvie aus Sigmaringen vor. Sie erzählte darin beispielsweise gerappt von ihrer Jugend in einem Dorf bei Stuttgart: »Schwere Kindheit eigentlich nee, beide Eltern ganz ok.« Silvie widmete sich dem Zeitgeist und der Auflehnung gegen Konventionen.
Jasmin aus Schramberg wunderte sich, dass ihr Wohnort im Schwarzwald offenbar vielen Pfullingern bekannt ist. Sie hat schon mehr Bühnenerfahrung und sah von Gedichten über ihr »verkorkstes Datingleben« ab, da diese Texte zuletzt wohl einige Männer auf den Plan gerufen hatten. Stattdessen sprach sie auswendig über den Schönheitswahn: »Perfektion ist Illusion.« Von der Anti-Falten-Creme und einem Ausflug in die Notaufnahme ging es in Reimform zur Kapitalismuskritik: »So lange alle nach dem Perfekten streben, wird dafür Geld ausgegeben.« Jasmin sprach sich für mehr Zufriedenheit mit dem Gegebenen und weniger inneren Druck aus. (stb)