PFULLINGEN. Wer ernsthaft dazu beitragen möchte, den Klimawandel zu stoppen, der muss es wagen, die Gewohnheiten der Wachstumsgesellschaft infrage zu stellen und Alternativen zu erarbeiten, um die Lebensgrundlagen der Menschheit zu erhalten. Dieser Appell ist die Grundlage für das Anliegen der Bürgerinitiative »Rettet das Arbachtal«, von einer künftigen Bebauung weiterer Flächen im Grünzug zwischen Pfullingen und Eningen abzusehen. Fakten, Argumente und Meinungen dazu hat die BI am Donnerstagabend rund 100 interessierten Bürgern in der Veranstaltung »Plan B – Stadtentwicklung ohne Verbrauch weiterer Naturflächen« im Paul-Gerhard-Haus geliefert. In die Diskussion brachten sich dann auch die anwesenden Mitglieder des Pfullinger Gemeinderats ein.
Flächennutzungsplan. Wer sich für »Plan B« einsetzt, muss »Plan A« kennen: Pierre Godbillon stellte zu Beginn die relevanten Auszüge aus dem vorläufigen Entwurf des Flächennutzungsplans (FNP) des Nachbarschaftsverbands Reutlingen-Tübingen vor, zu dem auch die Städte Reutlingen und Pfullingen sowie die Gemeinde Eningen gehören. Darin sind 7,7 Hektar für ein künftiges Gewerbegebiet »Hinter Holz« im Arbachtal vorgesehen, außerdem 21 Hektar für die Wohngebiete »Galgenrain I bis III«. Im Mai 2017 wurde dieser FNP-Entwurf in den Pfullinger Hallen öffentlich vorgestellt, im Juli endete die Frist für Einsprüche. »Seither hat es keine Kommunikation mehr gegeben«, betonte Godbillon. Noch böte sich dem Gemeinderat die Gelegenheit, sich gegen diese Pläne auszusprechen.
Leitziele. Godbillon zitierte aus den Leitzielen des Nachbarschaftsverbands, die dem FNP-Entwurf vorangestellt sind. Dazu gehören die Erweiterung von Siedlungsflächen entsprechend dem Bevölkerungswachstum, der sparsame Umgang mit Grund und Boden, das Eindämmen der Versiegelung, die Bebauung von Brachflächen und anderen innerörtlichen Flächenpotenzialen und das Sichern von Gewerbeflächen. Alle diese Ziele werden aus Sicht der BI durch die für die Bebauung vorgesehenen Flächen konterkariert. Mit Petitionen wurden bisher rund 1 800 Unterschriften gegen diese Pläne gesammelt, führte er aus.

Wachstumskritik. In einem Grundsatzreferat stellte Johann Kuttner »die Herausforderung« vor, der sich in den industrialisierten Ländern jeder Einzelne stellen muss: »Die stetig wachsende Überversorgung mit materiellen Gütern durch unbegrenztes wirtschaftliches Wachstum zerstört unseren begrenzten Planeten.« Deshalb macht er »den unerschütterlichen Glauben an die Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum« als die größte Gefahr für Mensch und Natur aus. Extreme Hitzeperioden, sinkende Grundwasserspiegel, Starkregen und Überschwemmungen seien Warnzeichen dafür, dass das Ökosystem Erde zu kollabieren drohe. Für die lokale Ebene stellt er fest: »Unserer Überzeugung nach kann es durch gemeinsame Anstrengungen der Einwohner, der Stadtverwaltung, des Gemeinderates und anderer Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik gelingen, eine Stadtentwicklung ohne Verbrauch weiterer Naturflächen zu gestalten.«
Boden. Die Versiegelung beeinträchtige die Wasserspeicherfunktion und erhöhe die Gefahr von Hochwasserkatastrophen, erklärte Kuttner. Fallen weitere Flächen für das Gedeihen von Pflanzen weg, mindere das die Möglichkeit, Treibhausgase zu speichern. "Böden sind der größte terrestrische Speicher von Kohlenstoff. Verringert sich die organische Bodensubstanz, wird CO2 freigesetzt."
Grünzäsur. Als einen »untragbaren Eingriff in die Landschaft« wertete Manfred Stahl in seinem Vortrag die angedachten Bebauungsflächen. Im noch geltenden FNP seien die 7,7 Hektar für »Hinter Holz« als Landwirtschaftsfläche dargestellt, zitiert er aus der Begründung zur Flächenauswahl für den Entwurf. Diese Fläche liege weitestgehend innerhalb eines Vorranggebiets Grünzäsur, mit der die Pfullinger und Eninger Siedlungsflächen voneinander getrennt werden, führten die Planer aus und ergänzten, es bleibe ein ausreichend breiter Landschaftsraum als Grünzäsur erhalten. Sie wiesen aber auch darauf hin: »Die Fläche führt zu Umweltauswirkungen mittlerer Erheblichkeit.«
Innenentwicklung. Stahl zitierte aus dem Baugesetzbuch, Paragraf 1a, Abs. 2: »Die Notwendigkeit der Umwandlung landwirtschaftlich oder als Wald genutzter Flächen soll begründet werden, wobei Ermittlungen zu den Möglichkeiten der Innenentwicklung (insbesondere Brachflächen, Gebäudeleerstand, Baulücken und andere Nachverdichtungsmöglichkeiten) zugrunde gelegt werden sollen.« Im FNP wird ähnlich argumentiert: Innenentwicklungspotenziale sollen vorrangig genutzt werden. Solche Potenziale seien für Pfullingen nicht dargestellt, sagte Stahl. »Es gibt sie aber«, betonte er.
Prognosen. Die Gewerbe- und Industrieflächenprognose ermittelt für Pfullingen 2030 einen Gewerbeflächenbedarf von 14,4 Hektar. Im FNP seien aber insgesamt 19,4 Hektar angelegt (mit »Unter Wegen«, »Böhmler-Areal« und »Arbachquartier«), es gebe also einen Überschuss von fünf Hektar, innerörtliche Flächen nicht gerechnet. Deshalb könne auf »Hinter Holz« verzichtet werden, folgert Stahl. Auch die 21 Hektar für das Wohngebiet »Galgenrain« wertet er als Verschwendung, da gemäß der Prognose des Statistischen Landesamts Pfullingen bis 2035 nicht mehr als 19 000 Einwohner – also nur wenig mehr als aktuell – haben werde. Bedarf gebe es für maximal 6,5 Hektar.
Frischluft. Das Arbachtal ist laut Stahl »das wichtigste großflächige Kaltluftsystem mit Reinluftcharakter« für Teile von Pfullingen und für die Reutlinger Oststadt. In einer Klimaanalyse aus dem Jahr 2017 werde festgestellt, der Kaltluftstrom aus dem Arbach- und Echaztal sei für die Lufthygiene der Reutlinger Kernstadt von überragender Bedeutung und müsse unbedingt erhalten bleiben.
Diskussion. Pfullingens stellvertretende Bürgermeisterin Christine Böhmler (FWV) war mit Stahls Aufruf zum Verzicht nicht einverstanden: »Es ist schlecht für eine Stadt, wenn sie einem Arbeitgeber auf Standortsuche keinen Gewerbebauplatz anbieten kann.« Ihr Amtskollege Gerd Mollenkopf (CDU) brach eine Lanze für den Gemeinderat und den ehemaligen Bürgermeister Rudolf Heß: »Innen vor außen war bei uns viele Jahre lang die Prämisse für die Stadtentwicklung.« Alle Flächen oder Immobilien, die derzeit in der Innenstadt leer stünden, seien in Privatbesitz und »nicht zu haben«. Wolfgang Kohla gab an, die Stadt Metzingen habe eine Leerstandsanalyse erstellt und zahle jedem, der eine nicht genutzte Wohnung vermiete, eine Prämie. Dass es eine rege demografisch bedingte Fluktuation in Wohnungen und Häusern gebe, machte Annedore Zeller deutlich. Ein weiterer Redner betonte, selbst in den neuen Gebäuden in der Innenstadt seien nicht alle Wohnungen belegt.
Dichte. Trotz verstärkter Innenentwicklung sei es der Stadt nicht gelungen, die Wohndichte zu erhöhen, führte Pierre Godbillon aus. Statt bei 80 Einwohnern pro Hektar, wie für eine Stadt dieser Größe angemessen, liege sie nur bei 57. »Mit so einer Struktur entwickeln wir uns zu einem großen Dorf, aber nicht zu einer Großen Kreisstadt«, betonte er. »Hätten wir überall eine Dichte wie im Burgweg, hätte Pfullingen 35 000 Einwohner.« Ratsfrau Traude Koch (GAL) lobte, die Veranstaltung komme zum richtigen Zeitpunkt. In seiner Klausur an diesem Wochenende werde der Gemeinderat darüber sprechen, wie die Stadt sich generell entwickeln soll. Unbestreitbar sei, dass es großen Siedlungsdruck gebe. Sie dankte für das Stichwort Leerstandsmanagement: »Das ist hier sicher nicht in ausreichendem Maß vorhanden.« (GEA)