PFULLINGEN. Zum 25. Mal nahm am Donnerstagabend ein besonderer Ehrengast auf dem Pfulben-Sofa Platz: ein Pfullinger Müller aus der Alemannenzeit. Mitgebracht hatte den rund 1.200 Jahre alten Herrn die Archäologin und Anthropologin Isabelle Jasch-Boley, die unter dem Titel »Den Ahnen auf der Spur« über ihre Arbeit berichtete. Der Raum in der Stadtbücherei war restlos gefüllt, die Gäste standen auf der Treppe und auch im ersten Stock. Für den musikalischen Rahmen sorgten Musikschulleiter Martin Förster (Saxofon) und Markus Herzer (Piano) mit Stücken wie »Bones«.
Sieger Maier begrüßte im Namen der Initiative i'kuh das Publikum. Veränderungen stünden beim Pfulbentalk an, berichtete sie. So werde das Filmen der Veranstaltung neu geregelt. Applaus gab es für den bisherigen RTF-Moderator Roland Steck, dessen Aufgabe Jochen Weber übernimmt. Mit Bravour meisterte der Reutlinger seine erste Moderation. »Hierherzukommen und in die Gesichter von Pfullingern zu blicken, ist das Maximale, was man erreichen kann«, sagte er.
Schon viele Grabungen in Pfullingen gemacht
Der nächste Pfulbentalk finde im Oktober im neuen Kulturhaus statt, so Maier. Es gebe ein neues Sofa und ein neues Logo. Für seinen unermüdlichen, vielseitigen Einsatz für dieses Veranstaltungsformat wurde Maier von der i'kuh-Vorsitzende Christine Stuhlinger zum »Mister Pfulben« ernannt. In einem überdimensionalen Filmstreifen (auf Papier) gab Maier einen Rückblick auf die Themen der 25 Talks. Von Politik und Geschichte über Sport und Klimawandel bis zu Musik und bezahlbarem Wohnraum war alles dabei.
Das Sujet der Anthropologin Isabelle Jasch-Boley sei, so Weber, dagegen »nicht mehr ganz so lebendig«. Die 35-Jährige, die in Pfullingen lebt, studierte Archäologie des Mittelalters sowie Paläoanthropologie, die Lehre von der menschlichen Evolution, und spezialisierte sich auf Steinzeit und Mittelalter. Als Mitarbeiterin der Grabungsfirma Archaeoconnect Tübingen war die mit Preisen und Stipendien ausgezeichnete Wissenschaftlerin schon in Frankreich und in Dänemark im Einsatz. Und natürlich auch in Pfullingen bei Grabungen am Lindenplatz, Marktplatz, an Kirche und Nonnenkloster oder im Gewann Entensee, wo Gräberfelder aufgedeckt wurden. Die gefundenen Knochen werden ins baden-württembergische Zentralmagazin nach Rastatt gebracht, doch einige nimmt Jasch-Boley genauer unter die Lupe.
An Knochen sei so vieles zu erkennen, dass man einen Teil der Lebenswelt der Toten wieder auferstehen lassen könne. So sah man an Tierknochen des 10. Jahrhunderts mit Schnittspuren vom Zerlegen, dass die Pfullinger damals recht alte Tiere zu sich nahmen und nicht vermögend gewesen sein konnten. An weiteren Knochen demonstrierte die Anthropologin den interessierten Gästen Krankheiten wie Knochenhautentzündung vom Stiefeltragen, Karies und Anzeichen für Mundschleimhautentzündung und Eisenmangel. »Wenn man mehrere Tausend Knochen untersucht hat, sieht man, dass jeder Mensch ein Individuum mit eigener Geschichte ist«, erklärte die Fachfrau. Betroffen mache sie als zweifache Mutter, wenn Knochen von Kindern gefunden würden. »Die Kindersterblichkeit war in früheren Zeiten sehr hoch.«
Nonnen mit kräftigem linken Oberarm
Bei ihrer Arbeit gelte es oft, Rätsel zu lösen. So habe man sich gefragt, warum bei Nonnen die linken Oberarme besonders kräftig seien. »Es kommt vom Singen«, lautete die erstaunliche Antwort. Mehrmals täglich hielten die Ordensschwestern das schwere Gesangbuch in der linken Hand. Für nachdenkliches Raunen im Publikum sorgte die Bemerkung, über Knochen-Analysen habe man herausgefunden, dass Mönche etwa zehn Jahre älter wurden als weltliche Männer.
Vieles gab auch der Pfullinger Schädel des Pfullingers preis, der dank ausgeprägter Überaugenwülste als Mann identifiziert wurde. Der im Alter von über 50 Jahren verstorbene Mann trug häufig schwere Lasten auf dem Rücken und litt an Mittelohrentzündung und Wucherungen vom langen Aufenthalt in kaltem Wasser. »Alles deutet darauf hin, dass es sich um einen Müller handelt«, sagte Jasch-Boley. Ein Gast meinte, wenn er über 1.000 Jahre alt sei, könne man ihn wohl kaum noch gekannt haben.
Unterdessen bereitet die Expertin eine umfangreiche und spannende Buchpublikation über die Pfullinger Alemannen vor, benötigt dafür jedoch noch dringend finanzielle Unterstützung. Wer dafür etwas spenden möchte, kann sich an den Geschichtsverein Pfullingen wenden. (GEA)