PFULLINGEN/ENINGEN. Das »Netzwerk Mensch und Natur« startet ab sofort eine Unterschriften-Aktion auf dem Kampagnen-Portal change.org mit dem Titel »Rettet das Arbachtal«. Diese Online-Petition richtet sich gegen die Ausweisung eines großen Wohngebiets im künftigen Flächennutzungsplan der Stadt Pfullingen. Sie wird mitgetragen von der Pfullinger Bürgerinitiative »Rettet das Arbachtal« sowie von Mitgliedern anderer Bürgerinitiativen in und um Reutlingen, die sich ebenfalls mit dem Flächennutzungsplan und seinen Auswirkungen beschäftigen. Adressaten sind die Gemeinderäte, Bürgermeister und Stadtverwaltungen der Anliegergemeinden des Arbachtals: Reutlingen, Pfullingen und Eningen.
Im Blick haben die Organisatoren dabei das rund 25 Hektar große Gebiet »Galgenrain«, das sich aus landwirtschaftlichen Flächen, Streuobstwiesen und Kleingärten zusammensetzt. Für die Einwohner der südlichen und südöstlichen Stadtteile Pfullingens, aber auch für Eninger und Reutlinger Bürger, ist es als Naherholungsgebiet wichtig.
Nach der Vorstellung der Pfullinger Stadtverwaltung soll der »Galgenrain« als Baufläche vorgehalten werden. »Ich habe schon vor 30 Jahren dagegen demonstriert, als dieses Gebiet Gewerbegebiet werden sollte«, sagt Richard Ballmann im Gespräch mit dem GEA. Doch damals zeigten Firmen und Unternehmen kein Interesse an den Grundstücken, der Plan sei wieder verworfen worden, erinnert er sich. Nun aber werde der Flächennutzungsplan umgewidmet, von Gewerbe- hin zu Wohnbebauung, denn: »Bauland wird knapp.« Ballmann hat sich der Bürgerinitiative »Netzwerk Mensch und Natur« angeschlossen, als die vor ein paar Wochen zu einem Spaziergang in das Gebiet »Galgenrain« aufgerufen hatte. »Wir haben ja vor 30 Jahren schon gesagt, dass das Arbachtal der Naherholung und der Frischluftzufuhr für Reutlingen dient«, sagt er.
Frischluftzufuhr für Reutlingen
Damals habe es geheißen: Die Bebauung könne ja so erfolgen, dass der Wind hindurchwehen würde. »Die Stadt Reutlingen hat aber vor zwei bis drei Jahren ein neues Gutachten zur Bedeutung des Arbachtals für die Frischluftzufuhr erstellen lassen«, betont Johann Kuttner vom »Netzwerk Mensch und Natur«. »Darin heißt es eindeutig, dass das Arbachtal nicht bebaut werden darf, weil sonst die Zufuhr von Frischluft für ganz Reutlingen beeinträchtigt wäre.«
Sechs Personen sind zum Pressegespräch mit dem GEA gekommen, alle engagieren sich für das »Netzwerk Mensch und Natur« – aber nicht nur. Elke Rogge etwa setzt sich auch dafür ein, die Bebauung des Gebiets »Hinter Höfen« in Gönningen zu verhindern. »Die Problematik des Flächenverbrauchs ist in den Kommunen noch nicht angekommen«, sagt sie. Rogge sieht in »dem stetigen Wachstumsgedanken der Gemeinden gleichzeitig eine Rückwärtsgewandtheit«.
ONLINE-PETITION
Die Online-Petition »Rettet das Arbachtal« des »Netzwerks Mensch und Natur« ist im Internet auf dem Kampagnen-Portal change.org zu finden. (nol)
Beate Ehrmann aus Sondelfingen ist in mehreren Bürgerinitiativen aktiv, ganz besonders aber beim BUND. Sie setzt sich für Naturschutzbelange auf der gesamten Schwäbischen Alb ein. »Wenn man die Ausweisung von Baugebieten überall sieht, stehen jedem Naturschützer die Haare zu Berge«, betont sie. Günther Brändle aus Altenburg sieht »Torschlusspanik in den Kommunen, weil es immer schwieriger wird, überhaupt Neubauflächen auszuweisen«. Er sei jahrzehntelang jeden Tag nach Pfullingen zur Arbeit gefahren, mit dem Fahrrad. Deshalb liege ihm der »Galgenrain« auch besonders am Herzen. Die Baubemühungen in Pfullingen betrachte er als »kopflos« – und das vor allem angesichts der Tatsache, dass in absehbarer Zeit keine bebaubaren Flächen mehr zur Verfügung stünden.
Täglich 79 Fußballfelder
Auf der Homepage des Bundesumweltministeriums heißt es dazu: »Täglich werden in Deutschland rund 56 Hektar als Siedlungsflächen und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Dies entspricht einer Flächenneuinanspruchnahme – kurz Flächenverbrauch – von circa 79 Fußballfeldern.« Bis 2030 soll dieser Verbrauch auf 30 Hektar täglich begrenzt, bis 2050 gar auf null runtergefahren werden, schreibt das Ministerium. »Warum sollen wir nicht jetzt schon damit anfangen, das Gebiet ›Galgenrain‹ wäre geeignet, ein Exempel zu statuieren«, betont Kuttner.
Pierre Godbillon, der neben Richard Ballmann der zweite Pfullinger in der Runde ist, beschwert sich vor allem über die fehlende Kommunikation mit der Stadtverwaltung und dem Gemeinderat. Das sieht auch Kuttner so, der in Mähringen wohnt: »Ich möchte doch nur mit den Leuten darüber diskutieren, ob Pfullingen unbedingt wachsen muss.«
Godbillon hätte zudem gern Rückmeldungen zu seinem »Plan B« für das Gebiet »Galgenrain«. Aber: Er bekomme keine Antworten, weder inhaltlich noch in der Art »Du kannst mich mal«. In diesem Plan B (der GEA berichtete) habe er zusammen mit einem Fachmann alle Fakten und Daten der Stadtverwaltung übernommen. Aber andere Schlussfolgerungen gezogen, nämlich: »Die 25 Hektar vom im ›Galgenrain‹ werden nicht gebraucht, um Wohnraum für über 1 000 Bürger zu schaffen.«
Nachfrage nicht gleich Bedarf
Aufgebracht berichtet Beate Ehrmann von einer Studie, die vor wenigen Tagen eine Forschungsstation am Randecker Maar herausgegeben hat. »Die gesammelten Daten zeigen dramatisch eine kontinuierliche Verarmung unserer heimischen Insektenvielfalt«, gibt sie wieder, was der Insektenkundler Professor Lars Krogmann über die 50 Jahre währende Erforschung der heimischen Insektenwelt am Randecker Maar gesagt hat, nachzulesen ist das auf der Nabu-Homepage. Bis zu 97 Prozent sei die Population zahlreicher Insekten zurückgegangen. »So können wir nicht weitermachen«, sagt Beate Ehrmann.
Aber ist nicht die Nachfrage nach Bauplätzen in Reutlingen und Umgebung enorm hoch? Johann Kuttner sagt dazu: »Da wird immer Nachfrage und tatsächlicher Bedarf gleichgesetzt.« Viele potenzielle Häuslebauer würden sich jedoch für mehrere Grundstücke bewerben. »Im Außenbereich ist es eben einfacher, ein Haus zu bauen als im Innenbereich«, merkt Godbillon an.
»Außerdem ist der Platzbedarf in Pfullingen nie im Leben so groß, dass 25 Hektar dafür bebaut werden müssten«, hebt Kuttner hervor. »Die Stadt will Wachstum auf Teufel komm raus«, stellt er fest. Und das vor allem, weil die Kommunen beim Wachstum in Konkurrenz zueinander stünden, um weitere Bürger anzuziehen. »Das gehört zum kapitalistischen System«, so Godbillon. Er zitiert Manfred Riedlinger, den Leitenden Stadtplaner im Pfullinger Bauamt, der in einer öffentlichen Ratssitzung gesagt hat: Der Bevölkerungszuwachs in der Stadt könne ohne »Galgenrain« gedeckt werden – die Option zur Bebauung des Gebiets solle aber offen gehalten werden. Der Pfullinger Bürgerinitiative und dem »Netzwerk Mensch und Natur« wäre es lieber, die Stadtverwaltung würde sich darauf konzentrieren, Baulücken und Brachflächen in der Stadt konsequent zu entwickeln. (GEA)