Nach der Andacht über das vierfache Ackerfeld, der Kaffeetafel, liebevoll zubereitet vom Mitarbeiterteam Waltraud Vöhringer, Elisabeth Vitense, Elsbeth Hermann und Ilse Brändle, stieg Kirsamer ein in einen kurzweiligen Vortrag. Von der Keilschrift, über Luthers Volksbibel in der »Schwabacher«, der ersten Schule von Graf Eberhard in Bad Urach bis zur »Sütterlin« spannte sich der Bogen. »Meine Studenten in Mannheim haben für ihr Hauptstudium extra Stunden angefordert«, sieht sie einen wachsenden Bedarf und Interesse an alten Schriften.
Liebe zur Handschrift
Ebenso bei ihren VHS-Kursen. »Ich hab' den Kurs mitgemacht. Das hat mir so viel Freude bereitet, dass ich sie eingeladen habe«, sagt Karlheinz Flad. Als Mitglied des Jahrgangs 1944 hat er den Konflikt zwischen der bis 1940 üblichen deutschen Schrift mit ihren fließenden Übergängen und durch Ober- und Unterlängen gut lesbaren und der durch die Nationalsozialisten ab 1941 angeordneten und den römischen Großbuchstaben entlehnten Antiqua (Lateinische Schrift) nicht selbst erlebt.Geübt aber hat er die sogenannte »Sütterlin«, hat extra sein Heft mitgebracht. Schließlich kennzeichnete sein Vater als Malermeister die Rupfen- und Kartoffelsäcke mit den alten Schriften. »Da wurde meine Liebe zur Handschrift geweckt«, sagt Flad und freut sich über einen gelungenen Nachmittag.
Viele haben kleine Schreibhefte dabei oder Urkunden. Sorgsam gehüteter Familienschatz, keine Eselsohren, keine Fettflecken - als wären sie soeben erst beschrieben worden, vorsichtig blättern sie die Seiten auf. Enthalten sind gestochen scharf geschriebene Zeilen vom Vater, der Tante oder der Großmutter. Eine schöne Handschrift galt als Beleg für einen klaren Geist und einen guten Charakter, berichten die Frauen und Männer. In Holzelfingen war es freigestellt, wie man schrieb. »Acht Klassen hat das Fräulein Kammerer unterrichtet«, erinnert sich der 87-jährige Gottlob Goller, ehe er sich an die Schiefertafel setzt und mit dem Griffel selbst eine Zeile schreibt.
Gegenüber sitzen die Vettern Dieter und Ludwig Schenk. Die deutsche Schrift war für sie die Alltagsschrift, ebenso wie für den 1933 eingeschulten Artur Schenk. »Die Lateinische haben wir fürs Schönschreiben geübt«, berichten sie. Werner Wacker hat dagegen lieber Bohnen in der an die Tafel angehängten Box gezogen.
»Das hat mir sehr geholfen«, strahlt Josef Geiger, der extra aus Münsingen herübergekommen war. Er hat die Geschichte seiner Familie bis ins Jahr 1701 nachvollzogen. Und nun »hängt« er fest, weil er die Schriftzeichen nicht entziffern kann, die den Ort bezeichnen. Kirsamer versprach Abhilfe.
Meditativer Effekt
Auch der evangelische Pfarrer Frieder Dietelbach hatte seine Freude an den Ausführungen der freiberuflichen Werbe- und Grafikfachfrau. »Heutzutage ist es für meine Schüler im Religionsunterricht manchmal schon schwierig, meine Handschrift zu lesen«, erfährt der Seelsorger die Veränderung hautnah. Er verrät: »Wenn ich etwas nicht lesen kann, hilft mir die Sekretärin, der Gang ins Archiv nach Stuttgart oder auch ein modernes Computerprogramm.«Die ehemalige Lehrerin und heutige Organistin Ursula Hollenberg begann ihren Schuldienst 1965. Sie wünschte sich angesichts der vom Computer bestimmten Welt, im Unterricht »die Ruhepunkte zurück«, die früher im Fach »Schönschrift« vorhanden waren. »Mit der Hand zu schreiben, hat etwas Meditatives«, da könne man manch »hippeliges« Kind zur Konzentration bringen.
Munz hat sich übrigens beholfen, wenn's mit dem Lesen dann gar nicht ging oder nur »Nudeln« auf dem Papierabschnitt stand. »Dann haben wir dem Kind halt breite Nudeln und Suppennudeln mitgegeben. Das hat für den Sonntag immer gut gepasst.« (GEA)

