LICHTENSTEIN. Es ist Montagmorgen, ein grauer Februartag auf der Schwäbischen Alb. Das Schlosstor ist seit Anfang Januar für Besucher zu. Zwei Katzen treiben sich davor auf der Holzbrücke herum und schnuppern neugierig am Hosenbein des Besuchers, bis Eberhard Etter das Tor öffnet. Eigentlich, das hat er am Telefon bei der Terminabsprache gesagt, hat er gar keine Zeit für ein Gespräch. Denn am 1. März ist es mit der Winterruhe auf Schloss Lichtenstein vorbei und Etter und sein Team stecken mitten in den Saisonvorbereitungen.
Schloss Lichtenstein ist ein Magnet. 156.000 Besucher zählte der Schlossverwalter im vergangenen Jahr. Der Laden brummt. 95.000 waren es, als er vor 14 Jahren seine Stelle antrat. Sein Verdienst? Etter lacht, die Sozialen Medien machen’s, erklärt er. Der Lichtenstein ist TikTok und Instagram tauglich. Menschen aus aller Herren Länder sehen ihr Konterfei gerne vor dem Stein gewordenen Traum des Erbauers Graf Wilhelm von Württemberg. Der hatte, angeregt durch den Roman »Lichtenstein« von Wilhelm Hauff, von 1840 bis 42 nach Plänen des Architekten Carl Alexander Heideloff eine deutsche Ritterburg im Stil des Mittelalters errichten lassen. Dass diese bis heute die Region ziert, ist dem Engagement der Familie von Urach zu verdanken und natürlich auch dem Schlossverwalter, der mit seinem Team nach dem Rechten sieht.
Zweieinhalb Stunden Schneeräumen
»Was machst du eigentlich den ganzen Tag?« Diese Frage hört Etter öfters. Der typische Tag beginnt für den 41-Jährigen morgens gegen 7.30 Uhr mit dem Einsammeln der Hunde, die nachts im Schlosshof für Sicherheit sorgen. Zeit für Etter, um einen ersten Blick auf das Gemäuer zu werfen. Wo bröckelt's. Wo braucht's einen Anstrich? Bei Schnee gilt es dann Schlosshof und -wege freizuräumen. Hat’s ordentlich geschneit, wie Anfang Dezember, kann das schon mal zweieinhalb Stunden dauern. Dann ist Etter gerade fertig, wenn das Schloss um 10 Uhr öffnet. Überraschend viele Besucher, vor allem aus den südlichen Ländern, haben es vor Weihnachten als Reiseziel auserkoren, auf der Suche nach einer romantischen Winterlandschaft. Eine Wunschvorstellung, die Etter naturgemäß nicht immer erfüllen kann. »Einige sind dann schon richtig enttäuscht.«
Aber ansonsten versuchen Etter und seine rund 40 Mitarbeiter, den Besuchern den Aufenthalt im Schloss so angenehm und spannend wie möglich zu machen. Dazu gehören für den Schlossverwalter auch die persönlichen Führungen, von Audioguides hält er nichts. So könne man auch spontan auf Fragen der Besucher reagieren. Er glaubt, dass die Besucher das schätzen. Und der Verzicht passt zum Schloss. Der Erbauer, so Etter, habe ja auch eine Rückbesinnung auf alte Werte gewollt.
Neun neue Mitarbeiter
Natürlich bleibt die Schlossverwaltung nicht stehen. Allein die Zahl der Mitarbeiter macht klar, für einen gelungenen Ablauf braucht’s eine gute Organisation. Die tüftelt Etter mit seiner Frau Nadja und Alina Wolf aus, die mit ihm in den Büroräumen im Gerobau, linker Hand des Eingangstors sitzen. Im Moment bereiten die drei dort die Mitarbeiterschulungen vor, um das Team über die Veränderungen vor Saisonbeginn zu informieren. »Ich bin ständig dabei, Dinge zu verbessern.« Inzwischen sind die Dienstpläne digital abrufbar, sind auf einem Board im Raum hinter dem Kassenhäuschen für alle zugänglich. Neun neue Mitarbeiter gilt es vor der Saisonöffnung am 1. März ins Team zu integrieren. Große Probleme, Schlossführer und Helfer zu bekommen, hat der Schlossverwalter nicht. Offensichtlich ist der Job attraktiv.
Und der des Schlossverwalters? Der natürlich erst recht, sagt Etter. Vor allem, weil die Aufgaben so vielfältig sind. Als sich im vergangenen Sommer vor dem Kassenhäuschen eine lange Schlange gebildet hatte, klapperte Etter die Besucher einen nach dem anderen ab, erklärte, was im Schloss möglich ist, fragte, ob’s denn eine Führung sein soll oder nur ein Besuch im Schlosshof. Den Menschen in der Schlange gefiel’s und im Kassenhäuschen ging’s flott voran, weil die Gäste schon wussten, was sie wollten. »Ich habe wohl mit 1.800 Besuchern gesprochen«, erinnert sich der Schlossverwalter, der mit seiner vierköpfigen Familie im Lichtenstein wohnt.
Spaß an körperlicher Arbeit
Etter ist einer, der gerne mit den Leuten spricht, der nach pragmatischen Lösungen sucht und anpackt. »Es macht auch mal Spaß, körperlich zu schaffen«, sagt er und mäht, wenn der Stress besonders groß ist, mal den Rasen, anstatt sich um die neueste Datenschutzverordnung zu kümmern. Die Bürokratie macht auch vor der Schlossverwaltung nicht halt.
Schloss öffnet am 1. März
In gut einer Woche ist die Winterruhe vorbei. Am Freitag, 1. März, öffnet das Schloss wieder für Besucher. Den ganzen Monat können diese dann von 10 bis 16 Uhr vorbeischauen. Von April bis Ende Oktober ist von 9 bis 17.30 Uhr geöffnet, im November und Dezember wieder von 10 bis 16 Uhr. Führungen werden täglich etwa alle 20 Minuten angeboten. (GEA)
Zwischen Renovierungsarbeiten, Verschönerungen, neuen Objekten für die Räume aussuchen oder Führungen konzipieren, passiert auch immer wieder etwas Überraschendes. Vor Kurzem hat Etter im Gerobau vor den Büros den Teppich gesaugt, als sein Blick auf die alten Lithografien an der Wand des langen Ganges fiel: Löcher. Gleich drei Schadinsekten machten sich über das Papier her. Die erste Maßnahme - kaltstellen. Jetzt kommen die Lithografien zu einem Papierrestaurator. »Damit hatte ich bisher noch nie zu tun«, erklärt Etter. »Ich bin wie ein Schwamm«, sagt er über sich. Der 41-Jährige saugt alles Neue, Wissen, Fertigkeiten, mit großer Freude auf. Ein Grund, warum ihm seine Arbeit so viel Spaß macht.
Kurz bevor sich das große Tor wieder schließt, hängen die grauen Wolken immer noch überm Schloss. Die Katzen klettern auf den Zinnen und zwängen sich durch die Schießscharten. »Sie sind für viele Besucher die Stars«, erzählt Etter. Schlossverwalter zu sein, hat was. (GEA)