PFULLINGEN. Keine Aufträge, doch viel zu tun. Auftritte vor Publikum können sich die Kleinkünstler aus der »Schmalezwo« coronabedingt derzeit abschminken. Und dennoch herrscht in dem Kreativbüro in der Schmalen Straße 2 reges Treiben. Denn: Es steht ein Umzug an.
Beide Tatsachen lassen die Künstler nicht gerade jubeln. 18 Jahre lang brummte in den Räumen, in denen es früher mal eine Glaserei gab, das Kulturleben. Auf zwei Stockwerken wurde geprobt und gezeigt, experimentiert und sinniert, was das Zeug hält. Helmut Bachschuster und Matthias Knodel waren die ersten, die 2002 als Kellner-Komik-Duo Knoba Sörwiss und mit ihrer »Kultur-Prodakschn« einzogen. Rund sieben Jahre später gesellten sich Dieter von Au alias Clown Mamfred Zickzack und Clown Clip sowie »Herr Wunderle« Gerald Ettwein dazu, die als »Spätzünder« auch gemeinsame Sache machen. Die vier nutzten die Räume als Büro, zum Proben, als Lager.
»Gegeneinander geschafft wurde nie«
Anziehend wirkte die »Schmalezwo« aber auch auf andere Kulturschaffende und -interessierte: Bald traf sich hier ein Künstlerstammtisch, der einmal im Monat zusammenkam, um Gedanken auszutauschen, neue Programme vor Fachkollegen auszuprobieren und einfach zum Schwätzen. Auf der kleinen Holzbühne im Erdgeschoss fanden Zauberei und Musik ebenso statt wie Figurentheater und Lesungen. »Einmal hat sogar einer aus dem Postleitzahlenbuch vorgelesen«, erinnert sich Dieter von Au.
Als Ort der »Künstlervernetzung und großer Kreativität« beschreibt Helmut Bachschuster das Domizil. Bis zu 30 Kreative kamen zum Stammtisch, manche sogar aus Stuttgart oder Ulm. Kollegiale Tipps, gegenseitige Hilfe und sogar Gemeinschaftsprojekte kamen dabei heraus. »Das Beste ist, dass es keine Tagesordnung gab«, findet Matthias Knodel und ergänzt lachend: »und keinen Kassenwart bei der Getränkeabrechnung.«

Informell waren die Abende, wertschätzend der Umgang miteinander. »Gegeneinander geschafft wurde nie«, betont Bachschuster. Konnte der eine einer Anfrage nicht nachkommen, wurde an einen der Kollegen verwiesen.
»Wir werden die wertvollen Kontakte nicht aufgeben«
»Wir werden diese wertvollen Kontakte sicher nicht aufgeben«, sagt Helmut Bachschuster. In der bisherigen Form – das ist aber auch klar – kann es den Stammtisch nicht mehr geben. Der Vermieter der Räume in der Schmalen Straße hat Eigenbedarf angemeldet. Schon zuvor aber sei es schwierig gewesen, die Miete aufzubringen. »Immer mal wieder hat jemand 20 Euro ins Kässchen geworfen«, berichtet Bachschuster. »Das war nett, aber keine Lösung.« Auch, weil coronabedingt die Einnahmen wegbrechen, mussten sich die Kreativen nun nach etwas Günstigerem umsehen. Dass das zugleich weniger Platz bedeutet, ist klar. Nach intensiver Suche wurde in der Gönninger Straße 12, wo bis vor einem Jahr Leder Heinlin sein Geschäft betrieb, eine neue Bleibe gefunden. 60 Quadratmeter stehen dort zur Verfügung – 170 sind es in der »Schmalezwo«.
»Dieses Jahr wird so gut wie nichts mehr laufen«
»Es wird schwer, auszumisten«, das ist Dieter von Au klar. Über die Jahre haben sich unzählige Klamotten, Requisiten und Erinnerungsstücke angesammelt. Da die teils kuriosen Stücke aber viel zu schade zum Wegwerfen sind, soll es demnächst einen Flohmarkt geben, zu dem die »Schmalezwo« ein letztes Mal ihre Pforten öffnet. Ende Juni muss der Auszug vollbracht sein. Und auch wenn’s keiner ausspricht, liegt doch reichlich Wehmut in der Luft. Allesamt peilen die vier Künstler den Ruhestand an – da wäre es schon schön gewesen, auch die verbleibende Zeit in den vertrauten Räumen zu verbringen, so Bachschuster.
Veränderungen aber hat die Coronazeit für viele gebracht, auch den Kleinkünstlern setzt sie ordentlich zu. »Bis September ist alles abgesagt«, berichtet Dieter von Au. »Dieses Jahr wird so gut wie nichts mehr laufen.« Finanzielle Unterstützung vom Land gab’s zwar, auf lange Sicht reicht das aber nirgends hin. »An die freie Szene denkt keiner«, bemängelt von Au. Und Gerald Ettwein ergänzt: »Wer vorher schon potent dastand, kommt nun auch leichter durch die Krise.«
Kritisch sehen die vier die Entwicklung der Kabarett- und Comedyszene, die sich durch Corona weiter verschärft habe. »Das Fernsehen ist voll mit Comedians – und die grasen dann auch die ganzen Städte ab«, erklärt Ettwein. Für Experimente bleibe kaum mehr Raum. »Man holt sich die bekannten Namen, die die Bude vollmachen.« Und die seien es auch, die nun in den Autokinos auftreten. Dabei gebe es »klasse regionale Mundartkünstler« in der Region, so von Au.
Kulturkritik gehört eben auch zum Repertoire der Spaßtruppe. Trübsal blasen dagegen nicht. Die Freude an ihre Arbeit hat ihnen weder Corona noch der Umzug genommen. Die Chance in der Krise wolle man sehen. »Wir freuen uns auch auf den Tapetenwechsel«, versichert Matthias Knodel. (GEA)
ZWEI SPASSDUOS
Das Hobby zum Beruf gemacht
Neben ihren Sinn für Humor haben Helmut Bachschuster, Matthias Knodel, Dieter von Au und Gerald Ettwein noch etwas gemeinsam: Alle haben sie ursprünglich ganz »bürgerliche« Berufe gelernt, bevor sie sich hauptberuflich der Kreativarbeit hingaben.
Bachschuster aus Pfullingen arbeitete bis 2001 als Grund- und Hauptschullehrer, bevor er entschied, als freischaffender Künstler weiterzumachen. Schon zuvor hatte er Auftritte etwa als Pantomime oder Clown. Später gründete er das Kellnerduo Knoba Sörwiss und die »Kulturprodakschn, Eventmanagement und Kunst- und Kulturprojekte« mit Matthias Knodel.
Dieser wohnt in Wankheim, lernte einst Koch, studierte anschließend Erziehungswissenschaften auf Lehramt, verschrieb sich dann unter anderem der Jonglage, der Zauberei und Comedy.
Dieter von Au aus Reutlingen bietet Clowntheater als Clown Clip und schwäbische Comedy als Mamfred Zickzack. Er hat eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann und Heilerziehungspfleger gemacht.
Bankkaufmann und Sozialpädagoge war Gerald Ettwein aus Eningen, dann 20 Jahre lang Teil des Lindenhoftheaters in Melchingen. Als Herr Wunderlein spielt er Zaubertheater für Kinder. Mit Dieter von Au gibt er »Die Spätzünder«, die jüngst neue Songs aufgenommen haben.
Ob sie je zurück in feste Anstellungen wollten? Ettwein spricht für alle: »Nein, diese Freiheit gibt man nicht mehr auf.« (hai)