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Zweieinhalb Jahre Haft für 32-jährigen Uracher

Ein Mann hat über Whatsapp zwei damals zwölfjährige Mädchen aufgefordert, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen und ihm Nacktbilder und Videos zu schicken. Jetzt wurde er im Reutlinger Amtsgericht wegen schweren Kindesmissbrauchs und des Besitzes von Kinderpornografie zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Das Reutlinger Amtsgericht in der Gartenstraße 40.
Das Reutlinger Amtsgericht in der Gartenstraße 40. Foto: Frank Pieth
Das Reutlinger Amtsgericht in der Gartenstraße 40.
Foto: Frank Pieth

BAD URACH/REUTLINGEN. »Zeig mal Bilder von Dir.« So hat der Chat begonnen, mit dem der Mann am 13. August 2020 um 11.15 Uhr über Whatsapp an ein elfjähriges Mädchen herantrat. Vier Minuten später schickte sie ihm zwei Fotos, auf denen sie gemeinsam mit einem Pferd zu sehen war. Spätestens hier hätte der Uracher sehen müssen, dass das Mädchen noch lange nicht das 14. Lebensjahr erreicht hatte. Was ihn offensichtlich nicht interessierte - im Gegenteil: Er forderte das Kind mit eindeutigen Worten auf, mehr zu zeigen. Nicht nur mehr von ihrem Intimbereich, sondern auch Bilder und Videos, die zeigen, wie es sexuelle Handlungen an sich vornimmt. Kurz vor 16 Uhr hatte er alles, was er wollte.

Das elfährige Mädchen blieb nicht sein einziges Opfer: Sieben Monate später nahm er Kontakt mit einer Zwölfjährigen auf, die auf Nachfrage nach ihrem Alter angab, es sei 13. Der Mann gab sich als 15-Jähriger aus und forderte sie auf, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen und ihm Fotos und Videos zu schicken. Was das Mädchen tat. Einen Tag später machte er weiter und forderte in noch drastischeren Worten einschlägige Bilder und Videos. Auch die bekam er und speicherte sie wie die vorangegangenen auf seinem Smartphone ab.

So ging es weiter. Ein paar Tage schrieb er wieder. Das Mädchen konnte und wollte dieses Mal nichts liefern, weil sie mit ihren Eltern im Zug war. Also legte der Mann am Tag danach nach. Dieses Mal mit etwas mehr Erfolg. Weil das Mädchen nicht mehr zeigen wollte, drängte sie der Mann durch weitere sehr explizite und derbe Text- und Sprachnachrichten. Keine Woche später und in den Tagen danach dasselbe »Spiel«. Das Mädchen folgte »Daddy«, wie sie der Mann zwischendurch anreden ließ, bereitwillig. Als das Mädchen ein paar Tage später nicht wollte wie er und auch mal »Das ist falsch« schrieb, bezeichnete er sie als »viel zu verklemmt« und bedrängte sie weiter mit heftigen Text- und Sprachnachrichten.

Der Mann aus Bad Urach bedrängte nicht nur die zwei Mädchen aus Schwaben und dem Ostalbkreis, er war auch Mitglied in einschlägigen Portalen, von denen er 59 Bilder und 120 Videos erhielt und auf seinem Handy speicherte, die teils schweren sexuellen Missbrauch von Kleinkindern zeigen. Am 19. Mai 2021 stand die Polizei vor der Tür des Mannes und durchsuchte seine Wohnung. Auf die Spur gekommen war sie ihm, weil sie seine Nummern in einschlägigen kriminellen Chatgruppen gefunden hatte.

»War's so?«, fragte Richter Eberhard Hausch den 32-Jährigen. Der nickte mit eh schon gesenktem Kopf. Über seine Verteidigerin Margrete Haimayer ließ er wissen, dass er sich nicht erklären könne, was ihn geritten habe. Einen pädophilen Hintergrund habe er nicht, so die Anwältin, er sei wohl auf der Suche nach etwas Zärtlichkeit gewesen und habe sich in der Sterilität des Internets zu erotischen Chats hinreißen lassen.

Wie's aufgehört hat? Wegen der Wohnungsdurchsuchung, sagt der Mann, »er habe den Fehler eingesehen«. Was so nicht stimmte, wie sich im Laufe des Verfahrens herausstellte: Die Polizei stand ein zweites Mal vor der Tür des Urachers, weil er einschlägig weitergemacht hatte. Was zwischen der ersten und der zweiten Durchsuchung passiert war, war wegen des zeitlichen Abstandes allerdings nicht Gegenstand des Verfahrens. Heißt im Umkehrschluss, dass auf den Mann wohl ein weiterer Prozess zukommt. »Er hat den Gong erst nach der zweiten Durchsuchung gehört«, sagt die Verteidigerin über ihren Mandanten. »So richtig erklären kann ich's mir nicht«, sagt der 32-Jährige, »die Reue ist da - ganz klar.« Er werde sich psychologische und psychiatrische Hilfe holen.

Warum die Taten, die sich zwischen August 2020 und April 2021 abspielten, erst jetzt vor Gericht kommen, erklärte eine Kripo-Beamtin aus Tübingen: Nach anderthalb Jahren sei der Behörde aufgefallen, dass die Vernehmung des zwölfjährigen Mädchens und ihrer Mutter nicht verschriftlich worden war und damit verloren ist. In den Augen von Richter Eberhard Hausch eine ärgerliche, aber einigermaßen nachvollziehbare Panne: »Die versaufen in den ganzen Fällen«, weiß er. Dass bei der Behörde etwas liegen geblieben und damit verloren gegangen ist, erklärt die Kripo-Beamtin so: »Der Fall wurde hintangestellt, weil keine Missbrauchsgefahr gegeben war.«

Die Kriminalpolizistin beschreibt das Mädchen aus dem Ostalbkreis als »frühreif«. Sie habe nicht nur mit dem Mann aus Bad Urach, sondern mit 10 bis 15 anderen Männern sexuelle Chats geführt. Immerhin: Sie habe das Ganze wohl verarbeitet, ihre Mutter wollte keine weitere Vernehmung, um keine alten Wunden aufzureißen. Das andere Mädchen aus Schwaben habe den einen Whatsapp-Kontakt mit dem Mann offensichtlich schon vergessen.

Was nichts daran ändert, dass der Mann jetzt wegen schweren sexuellen Missbrauchs angeklagt war. Dafür braucht's gar keinen direkten Kontakt, erklärt Richter Eberhard Hausch. »Schon das Einwirken auf die Kinder reicht.« Dass der 32-Jährige massenhaft Bilder und Videos von Erwachsenen beim Sex mit Kindern gespeichert hat (»Das war schon extrem«, sagt die Kripo-Ermittlerin, »weil da auch Kleinkinder dabei waren.«), verschärft das Ganze noch erheblich.

»Mein Mandant ist trotz seines Alters extrem kindlich«, sagte die Verteidigern Margrete Haimayer über ihren 32-jährigen Mandanten. In der »Sterilität des Netzes« habe er sich dahinter versteckt, dass schon nichts passieren würde. Nicht unerwähnt ließ sie die »hohe Promiskuität« des zwölfjährigen Mädchens. Ihr Mandant habe erkannt, »dass er sich Hilfe holen muss und wird«. Ihr Plädoyer: keine Freiheitsstrafe über zwei Jahren - die magische Grenze, bei der man sie noch zur Bewährung aussetzen kann.

Staatsanwalt Schumann hatte nämlich drei Jahre gefordert. »Ich habe erhebliche Zweifel daran, dass er keine pädophilen Neigungen hat.« Nicht nur, dass er die Mädchen als Erstes nach ihrem Alter gefragt habe - er habe zahlreiche Dateien von schwerem sexuellen Missbrauch auf seinem Handy gespeichert. »Kein Mensch weiß, ob das nicht wieder auftaucht«, so der Staatsanwalt.

Auch wenn sich das Ganze »nur« im Internet abgespielt hat und es keinen persönlichen oder gar körperlichen Kontakt zwischen dem Mann und den Mädchen gab, liegt in den Augen von Richter Eberhard Hausch kein minderschwerer Fall zu, der eine Bewährungsstrafe zulässt. »Vor allem hat er nicht die Konsequenzen aus der ersten Hausdurchsuchung gezogen«, so der Richter, »da hat's offenbar einen Doppel-Gong gebraucht.« Der Mann habe nicht nur weitergemacht, sondern sich auch nicht auf die Suche nach einer Therapie begeben. Sein Fazit: »Sie haben uns keine andere Möglichkeit gegeben, als eine Strafe zu verhängen, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann.« Das Urteil: zwei Jahre und sechs Monate.

Sexualstraftätern gibt Richter Eberhard Hausch immer etwas auf den Weg, damit sie jetzt schon wissen, was sie hinter schwedischen Gardinen erwartet: »Im Knast sind Menschen wie Sie in der Hierarchie relativ weit unten angesiedelt.« (GEA)

IM GERICHTSSAAL

Richter: Eberhard Hausch. Staatsanwalt: Schumann. Verteidigerin: Margrete Haimayer. Schöffen: Michael Donth, Frank Glaunsinger.