RÖMERSTEIN. Wo ist der Wolf? Das weiß gerade niemand. Sicher ist nur, dass vor gut zwei Wochen ein Tier bei Donnstetten von einer Wildkamera aufgenommen wurde, dass er also zumindest hier war. Die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg (FVA) hat den Fund als gesicherten Wolfsnachweis – einen sogenannten C1-Nachweis – bewertet. Am 15. August tappte ein Tier in eine Fotofalle, die ein Jäger aufgestellt hatte. Nicht um Wölfe zu fangen, sondern um eine Wildschweinsuhle zu beobachten. Denen wollte er früher oder später an die Schwarte, der Wolf war also genau genommen ein Zufallstreffer.
Drei Tage vorher, am 12. August, wurde ein Wolf in Dettingen/Teck gesichtet. Gleich zwei Mal ist die Fotofalle in Wiesensteig zugeschnappt. Wie auf der Homepage des baden-württembergischen Umweltministeriums zu lesen ist, gab es hier zwei gesicherte Nachweise: sowohl am 10. August als auch schon eine Woche vorher am 4. August. Wie geht’s weiter? Eine Spurensuche.
Römersteins Bürgermeisterin Anja Sauer hat von der Wolfssichtung im Urlaub erfahren. Der zuständige Jagdpächter aus Donnstetten hatte der Verwaltungs-Chefin per Whats-App das Foto seiner Wildkamera geschickt. Der Jäger und die Verwaltungs-Chefin telefonierten daraufhin. »Bis der Nachweis von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg und damit Gewissheit vorlag, ist noch ein Tag vergangen«, blickt Anja Sauer zurück. Vom Urlaub aus veranlasste sie, dass die Mitteilung des Umweltministeriums auf die Homepage der Gemeinde gestellt wurde.
Keine Gefahr für den Menschen
»Grundsätzlich stellen Wölfe keine Gefahr für den Menschen dar«, ist hier zu lesen, »Wölfe kommen nur in sehr geringen Dichten vor und vermeiden als vorsichtige Tiere gewöhnlich eine direkte Begegnung mit Menschen. Da sie Menschen bereits über große Distanzen wahrnehmen, ist eine Begegnung zwischen Mensch und Wolf daher auch in Wolfsgebieten eine Seltenheit.« Hinweise also, die die Furcht vor dem »bösen Wolf« nehmen.
Seit April wurden elf C1-Nachweise in der Region bestätigt. Karte: GEA
Wie die Römersteiner Bürgermeisterin berichtet, hat es der Jagdpächter aus Wiesensteig, in dessen Revier am 10. August ein Wolf gesichtet wurde, offensichtlich besonders gut gemeint: Andreas Pohl, der in der Fils-Stadt eine Jagdschule hat, hängte selbstständig Plakate mit Hinweisen zum Wolf auf. Wie Anja Sauer von ihrem Wiesensteiger Kollegen Gebhard Tritschler weiß, sei die Verwaltung davon nicht wirklich begeistert gewesen. Sie teilt die Ansicht: »Das macht wenig Sinn«, sagt Anja Sauer, »das macht nur Angst.«
Die Römersteiner Bürgermeisterin, die viel in ihrer Gemeinde unterwegs ist und an den Wochenenden kaum eine Vereinsveranstaltung auslässt, hat in der Bevölkerung keine Spur von Unruhe oder gar Angst wahrgenommen und bleibt entspannt. »Ich bin aber gespannt, wann und wo er als Nächstes auftaucht«, sagt Anja Sauer: Mit den Kollegen aus Wiesensteig und Westerheim im Alb-Donau-Kreis – in der Nähe der von Donnstetten gerade mal sechs Kilometer entfernten Gemeinde, hier will ein Jäger ebenfalls einen Wolf gesehen haben, hat aber keinen Fotobeweis – ist sie in engem Austausch, um das Thema Wolfsprävention weiterzuverfolgen. Sobald eine Region in einem Fördergebiet liegt, gibt’s Zuschüsse für Schäferinnen und Schäfer beim Herdenschutz. Voraussetzung dafür ist, dass ein Einzelwolf über sechs Monate resident – also sesshaft – sein muss, für Wolfspaare gelten geringere Standards wie das typisch markierende Revierverhalten. Innerhalb von Fördergebieten ist ein wolfsabweisender Grundschutz – Zäune also – für Betriebe, die Schafe, Ziegen und Gehegewild halten nach der einjährigen Übergangsfrist Voraussetzung, um Ausgleichszahlungen zu beantragen.
Der letzte und der erste Wolf
Für die Römersteiner Bürgermeisterin schon deshalb interessant, weil es auf ihrer 46 Quadratkilometer großen Gemarkung vier Schäfer-Betriebe gibt. Melanie Dangel, die ihren Betrieb in Donnstetten ganz in der Nähe des Orts hat, an dem der Wolf nachgewiesen wurde, hat mehr als 900 Mutterschafe.
Derzeit gibt es in Baden-Württemberg das 8.800 Quadratkilometer große Fördergebiet Wolfsprävention Schwarzwald und das 2.640 Quadratkilometer große Fördergebiet Odenwald. »Der Schwerpunkt liegt auf dem Schwarzwald«, sagt die Pressesprecherin im Umweltministerium, Claudia Hailfinger. Das Fördergebiet umfasst die Gemarkungsflächen aller Städte und Gemeinden im Schwarzwald, die in einem 30-Kilometer-Radius um den Mittelpunkt der beiden Wolfsnachweise der residenten Wölfe GW852m (im Norden) und GW1129m (im Süden) liegen. Das Territorium des dritten residenten Wolfs im Schwarzwald mit der Bezeichnung GW2103m befindet sich ebenfalls in der Förderkulisse.
EINE CHRONOLOGIE DER WOLFS-SICHTUNGEN AUF DER ALB
Seit Juni ist klar, dass es in Baden-Württemberg das erste Rudel gibt
Die Sichtung des Wolfs in Römerstein ist nicht die erste in der Region. Auf der Internetseite des Umweltministeriums Baden-Württemberg sind Wölfe mit C1-Nachweisen aufgelistet. C1 steht für eindeutige Sichtungen, die mit harten Fakten zu belegen sind: Lebendfang, Totfund, genetischer Nachweis, Foto oder Video sowie Telemetrieortung. Am 29. April 2022 tauchte der erste Wolf in Illerrieden im Alb-Donau-Kreis auf. Am 25. Juli ging ein Wolf in die Fotofalle eines Jägers in St. Johann. Nur einen Tag später filmten zwei Jäger unabhängig voneinander mit dem Smartphone einen Wolf in St. Johann und in Lichtenstein. Ob es ein und dasselbe Tier war, ist nicht sicher, aber naheliegend. Am 25. Oktober wurde in Trochtelfingen-Steinhilben ein gerissenes Reh untersucht – ein Wolf wurde per DNA-Beweis überführt. Am 11. November wurde ein Wolf in Burladingen gesichtet, am 20. November in Altheim, in beiden Fällen dienen Bilddokumente als Nachweis. Dann war mehrere Monate Pause, am 29. Mai wurde der nächste – tote – Alb-Wolf gefunden: Ein Tierkadaver in Laichingen konnte mittels DNA-Analyse zweifelsfrei als Wolf identifiziert werden. Dann die Funde in Dettingen/Teck am 12. Augst, die in Wiesensteig am 4. und am 10. August und der in Römerstein am 15. August. Die erste erfolgreiche Welpenaufzucht des bis dahin in Deutschland als ausgestorben geltenden Wolfs wurde 2000 in der Lausitz (Sachsen) nachgewiesen. In Baden-Württemberg wurde der erste Wolf 2015 gesichtet. Aktuell gibt es nach Angaben der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg in Freiburg vier sesshafte Einzeltiere. Seit Juni ist klar: Baden-Württemberg hat sein erstes Wolfsrudel, zwei am Schluchsee lebende Tiere haben Nachwuchs gezeugt. Markus Rösler, der naturschutzpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, der sich seit Langem mit der Verbreitung der Wölfe in Deutschland befasst, geht davon aus, dass der Wolf auf dem Gebiet der Alb oder Voralb sesshaft wird. Für ihn ist es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich hier das erste Rudel bildet. (ma/and)
Jagdpächter Andreas Pohl vom Jagd- und Naturschulzentrum in Wiesensteig geht davon aus, dass der Wolf in seinem Revier einen Rehbock gerissen hat. Eine Chance, dem Tier näher auf die Spur zu kommen. Pohl schickte eine DNA-Probe vom Kadaver an die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg (FVA). Am 25. August sagte die FVA-Sprecherin Tatjana Brenner in der Südwestpresse, dass der Fall »aktuell noch in Bearbeitung« sei. Auf GEA-Nachfrage waren gestern von der FVA bis Redaktionsschluss dazu keine neuen Erkenntnisse zu erfahren.
In der Nähe von Donnstetten gibt es die Wolfsbuche. Der Baum steht schon lang nicht mehr, ein Stein mit der Aufschrift »Wolfsbuche 1839« erinnert daran, dass hier vor 184 Jahren der letzte Wolf von Württemberg erlegt wurde. In einer Urkunde der Stuttgarter Forstbehörde wird der Donnstetter Jagdpächter David Munderich als Erleger genannt. Er habe den 88 Pfund schweren Wolf am 16. Dezember im Wald Saalenhau »Todt geschoßen«. Die Römersteiner Bürgermeisterin sagt jetzt: »Die Wolfsbuche ist gerade mal einen halben Kilometer von dem neuen Fundort entfernt«, ganz in der Nähe des Fils-Urspungs – was dafür spricht, dass es sich bei dem Wolf in Wiesensteig und bei dem in Römerstein um ein und dasselbe Tier handelt. (GEA)