METZINGEN-NEUHAUSEN. Wer sich im Supermarkt zu ausgiebig am Schnapsregal bedient, könnte spätestens an der Kasse schief angeguckt werden. »Da denken die Leute natürlich sofort ans Saufen«, erklärte August Kottmann das häufig zu beobachtende Verhalten. Der Gastronom und Brenner ist mit dieser gesellschaftlichen Haltung nicht ganz zufrieden, denn es geht auch anders. Ein fruchtiger Likör oder ein sortenreiner Brand stellen für Kottmann qualitativ hochwertigen Genuss dar, der in Maßen und sicher nicht in Massen zu sich genommen wird.
Auf der Jahreshauptversammlung der Fachvereinigung Obstbau im Landkreis Reutlingen präsentierte Kottmann den über 100 anwesenden Obstbauern zahlreiche Anregungen, was sie mit ihren Früchten so alles anstellen könnten.
»Für den Kleinbauern ist es wichtig, sortenrein zu brennen, weil jede Frucht ihren eigenen Charakter hat«, schärfte der Obstfachmann ein. Dabei ist das Lokale Trumpf. Jede Region, jedes Tal und jede Gemeinde habe ihre ganz besonderen Sorten, sagte Kottmann und betonte, dass man als ansässiger Wiesenbesitzer diese eben kennen müsse. Das größte Problem sei, dass das Wissen über die verschiedenen Äpfel, Birnen oder Zwetschgen seit der Mitte des 20. Jahrhunderts abgenommen hätte: »Viele unserer Väter und Großväter haben es mit ins Grab genommen.«
Da das entsprechende Know-how über den richtigen Umgang mit dem Obst häufig fehlt, ist dessen Verwertung drastisch zurückgegangen. »Das Apfelmus wird im Glas gekauft, die Birnen für den Kuchen in der Dose«, zählte Kottmann auf.
Wer die Eigenschaften einer bestimmten Obstsorte kennt, weiß, was er aus ihr machen kann. Als Beispiel nannte er den Trierer Weinapfel, der ein »unwahrscheinlich gutes Aroma« habe. Seine Maische besitzt einen starken Zitrusgeschmack, der den Apfel interessant für die Weiterverarbeitung mache. »Daraus entsteht ein toller Most«, erklärte Kottmann und fügte an, dass Obstbäume nur mit der richtigen Pflege gute Produkte erzeugen können. Äpfel sollten dann geerntet werden, wenn sie reif sind und nicht dann, wenn es der volle Terminplan gerade zulässt.
»Für uns Gärtner macht die Klimaentgleisung das Leben herausfordernder«
Wann die Früchte von den Bäumen geholt werden sollen, lässt sich allerdings immer schwerer vorhersagen. Durch die in der jüngsten Vergangenheit regelmäßig aufgetretenen Wetterextreme ist auch für die Streuobstbauern vieles nicht mehr so, wie es einmal war. »Der Obstbau wandert auf die Alb«, schlussfolgerte Thilo Tschersich, nachdem er die Wetterfakten für 2018 präsentiert hatte. Die Monate April und Mai waren die wärmsten im Landkreis seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen 1881. Von Februar bis November blieb es außerordentlich trocken und die Sonne schien so häufig wie seit über 60 Jahren nicht mehr.
Für den Geschäftsführer der Fachvereinigung und Grünflächenberater des Landkreises ist das alles aber kein Grund zur Panik. »Für uns Gärtner macht die Klimaentgleisung das Leben herausfordernder«, sagte Tschersich und warnte davor, die Entwicklung emotional zu betrachten. Stattdessen müsse man sich auf trockenere Sommer und niederschlagsintensivere Winter einstellen und fragen, wie damit umzugehen sei.
Dass 2018 trotz viel Hitze und wenig Regen ein »tolles Obstjahr« war, lasse sich an der guten Ernte ablesen, stellte Rolf Schäfer fest. »Traurig ist nur, was am Ende hinten rauskam«, benannte der Vereinsvorsitzende den niedrigen Kilopreis als Wermutstropfen.
Schäfer steht seit 30 Jahren an der Spitze des Vereins, der bis 2016 unter dem Namen »Arbeitskreis Obstbau« bekannt gewesen war, und hat in dieser Zeit so manche Höhen und Tiefen miterlebt. Als um die Jahrtausendwende die Mitgliederzahlen in den zweistelligen Bereich sanken, stand die langfristige Existenz des Vereins auf dem Spiel. Dank der 2002 ins Leben gerufenen Fachwartausbildung stieg das Interesse am Obstbau wieder an und mit ihr die Mitglieder. »Heute sind es 230«, erwähnte Dietmar Bez in seiner Laudatio.
Der 1. Vorsitzende des Kreisobstbauverbandes würdigte Schäfer für sein Fachwissen, das Engagement und seine umgängliche Art. »Noch drei Jahre an der Vereinsspitze, dann sollte jemand Jüngeres das Ruder übernehmen«, kündigte Schäfer an. Den ersten Wunsch erfüllten ihm die Mitglieder postwendend, indem sie ihren Vorstand einstimmig bis 2022 wiederwählten. Bis dahin werden sie im Verein noch häufiger die Köpfe zusammenstecken, um einen Kandidaten zu finden, der in die großen Fußstapfen Schäfers treten kann. (tbö)
