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Was den Besuchsdienst Wannweil so besonders macht

Im April 2015 wurde die Arbeitsgemeinschaft Besuchsdienst Wannweil gegründet - ein Projekt der Gemeinde Wannweil, gemeinsam mit den Kirchen, dem Seniorenzentrum und Wannweiler Vereinen. Im Blick: Seniorinnen und Senioren, aber auch jüngere Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Eugen Kern, der die Arbeit koordiniert, blickt zurück und nach vorn.

Gertrud Goudswaard ist eine Patin des Besuchsdienstes Wannweil (BdW). Hier ist sie am Kaffeetisch von Marianne Steimle zu sehen.
Gertrud Goudswaard ist eine Patin des Besuchsdienstes Wannweil (BdW). Hier ist sie am Kaffeetisch von Marianne Steimle zu sehen. Sie lesen gemeinsam in dem handgeschriebenen Kochbuch der 92-jährigen Wannweilerin, manchmal gehen sie auch spazieren. Wenn Gertrud kommt, serviert Marianne immer Kuchen – heute gibt's Frankfurter Kranz. Foto: Andreas Fink
Gertrud Goudswaard ist eine Patin des Besuchsdienstes Wannweil (BdW). Hier ist sie am Kaffeetisch von Marianne Steimle zu sehen. Sie lesen gemeinsam in dem handgeschriebenen Kochbuch der 92-jährigen Wannweilerin, manchmal gehen sie auch spazieren. Wenn Gertrud kommt, serviert Marianne immer Kuchen – heute gibt's Frankfurter Kranz.
Foto: Andreas Fink

WANNWEIL. »Was steht da? Ich kann's einfach nicht entziffern.« Gertrud Goudswaard kneift konzentriert die Augen zusammen und schaut noch ein bisschen genauer in das Buch, das vor ihr auf dem Tisch liegt. Marianne Steimle lächelt und sagt: »Da steht 'Gebackene Dampfnudeln'.« Sie muss es wissen, sie hat das geschrieben, nicht in lateinischer, sondern in deutscher Schrift. 500 Gramm Mehl, 20 Gramm Hefe, 1/4 Liter Milch, ein Ei, 50 bis 100 Gramm Butter, Zucker, Salz ... Feinsäuberlich hat die heute 92-Jährige als junge Frau die Zutaten zu Papier gebracht. Das war damals in der Kochschule in Reutlingen, Anfang der 1950er-Jahre, als Marianne noch Walz mit Nachnamen hieß.

Jetzt sitzt Gertrud Goudswaard neben ihr. Die Frauen lesen zusammen in dem alten Kochbuch. Die gebürtige Niederländerin, die seit einer kleinen Ewigkeit in Wannweil lebt, ist seit gut einem Jahr Patin beim Besuchsdienst Wannweil. Die zwei Frauen kannten sich vorher schon vom Sehen, sie wohnen nur ein paar Hundert Meter auseinander. Jetzt besucht Gertrud Marianne regelmäßig. Zum Reden, Spazierengehen, um auch mal einen Ausflug zu unternehmen. Heute tauchen sie mit dem Kochbuch von Marianne in die Vergangenheit ein. Gertrud lernt so gleichzeitig ein bisschen die deutsche Schrift, die heute fast niemand mehr lesen kann. Und was über schwäbisches Essen.

»Könntest Du Dich nicht mal a bissle um die kümmern?«

»Der Besuchsdienst Wannweil hat auf ganz kleinem Niveau angefangen«, sagt Eugen Kern. Der katholische Pfarrer Dr. Tomas Begovic hatte sich 2006 an Kerns Frau Maren Stanislaus gewandt - im Blick zwei ältere Frauen ein paar Häuser weiter: »Könntest Du Dich nicht mal a bissle um die kümmern«, hatte der Theologe die Heilpädagogin gefragt. Die kümmerte sich und besuchte die Frauen regelmäßig. Dann kam der Kontakt zu Dieter Rilling, dem damaligen Vorsitzenden des Wannweiler Krankenpflegevereins, dem Vorgänger von Hauke Petersen. »Da könnte man doch was Richtiges auf die Beine stellen«, waren sich Dieter Rilling, Maren Stanislaus und Hauke Petersen schnell einig. Bei der damaligen Wannweiler Bürgermeisterin Anette Rösch rannten sie offene Türen ein. Der war aber auch klar, dass es einen institutionellen Rückhalt bei der Gemeinde brauchte. Aus dem Runden Tisch wurde eine Arbeitsgemeinschaft - die dann die Koordinationsstelle schuf. Die managt Eugen Kern. Er bringt Senioren und Paten zusammen. Der 79-Jährige ist beim Erstbesuch dabei und ständiger Ansprechpartner.

Gertrud Goudswaard liest zusammen mit Marianne Steimle aus dem Kochbuch, dass die heute 92-jährige Wannweilerin als junge Frau i
Gertrud Goudswaard liest zusammen mit Marianne Steimle aus dem Kochbuch, dass die heute 92-jährige Wannweilerin als junge Frau in der Kochschule in Reutlingen geschrieben hat. Hier ein Rezept für Gebackene Dampfnudeln. Foto: Andreas Fink
Gertrud Goudswaard liest zusammen mit Marianne Steimle aus dem Kochbuch, dass die heute 92-jährige Wannweilerin als junge Frau in der Kochschule in Reutlingen geschrieben hat. Hier ein Rezept für Gebackene Dampfnudeln.
Foto: Andreas Fink

Kern kann koordinieren und organisieren. Das hat er nicht nur in seinem Berufsleben bewiesen - bis vor zehn Jahren hatte er ein großes Ingenieurbüro in Stuttgart -, sondern auch in seiner ehrenamtlichen Arbeit: Der 79-Jährige ist Landesvorsitzender des Verbands der Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen Deutschlands. Nicht zuletzt für sein Engagement im VdH erhielt der Mann, der seit dem Jahr 2000 in Wannweil lebt, die Landesehrennadel.

»Möchten auch Sie einem Mitmenschen Freude und Abwechslung im Alltag bringen?«

»Keiner muß einsam und alleine sein«, steht auf dem Flyer der Gemeinde Wannweil, der den Besuchsdienst Wannweil vorstellt und um neue Paten wirbt (»Möchten auch Sie einem Mitmenschen Freude und Abwechslung in seinen Alltag bringen?«). Wer sich meldet, landet bei Eugen Kern. Bevor er eine Patenschaft vermittelt, spricht er ausführlich mit beiden Seiten. Die Eckdaten hält er auf je einem Erfassungsbogen fest. Damit er ausschließen kann, dass eine Traum-Kombination auf der Zielgeraden scheitert, dass beispielsweise eine Patin eine Tierhaarallergie, die besuchte Bürgerin aber eine Katze hat. Im Gegenzug könnte es sein, dass ein Senior gerne einen Paten hätte, der seine Katze mitbringt. Das wäre dann eine Traumkombination. Auch wenn's um Menschen mit Demenz geht, überlegt sich Kern sehr genau, wer als Patin oder Pate infrage kommt. »Da kann ich nicht jeden hinschicken«, sagt er, »da braucht's schon einen bestimmten Hintergrund, idealerweise einen fachlichen.« Nicht nur in Zusammenhang mit Demenz: Die Paten unterliegen der Schweigepflicht.

Klar ist, dass der Besuchsdienst keine hauswirtschaftlichen oder pflegerischen Aufgaben übernimmt. »Dafür sind die Diakonie und professionelle Pflegedienste zuständig«, stellt Eugen Kern klar. Klar ist auch, dass die Paten über die Gemeinde versichert sind. Nicht, dass eine kleine vom Tisch gefegte Vase zum großen Drama wird. Auch auf dem Weg zu den Besuchten sind die Paten somit unfallversichert.

»Man kann nie zu viele Ehrenamtliche haben«

»Wir haben mit zwölf Paten angefangen«, sagt Eugen Kern. Genau genommen sind es vor allem Patinnen. »Das hat sich schön entwickelt«, sagt der Koordinator, »wir sind jetzt bei 18 bis 20.« Es läuft. »Wobei man natürlich nie zu viele Ehrenamtliche haben kann«, betont der 79-Jährige. Besucht werden 28 Frauen und Männer aus Wannweil. Corona hat natürlich auch hier - gerade hier - für einen Einbruch gesorgt. »Wir haben's überbrückungsweise telefonisch gemacht«, sagt Kern, »das Virus geht ja nicht durch die Telefonleitung.« Die »Telefon-Engel« waren in dieser schweren Zeit ein Segen.

Die meisten »Kunden« vermittelt dem Besuchsdienst Karin Bernhard vom Pflegestützpunkt Wannweil. »Auch unser Bürgermeister Herr Majer bringt immer mal wieder jemanden ins Spiel«, sagt Eugen Kern, »dann, wenn er bei Jubilars-Besuchen einen Bedarf gesehen hat.« Als Aktivposten schlechthin hebt Eugen Kern seine Frau Maren Stanislaus hervor. Die kümmert sich - ebenso wie Hauke Petersen und dessen Frau um mehrere Senioren. Der Besuchsdienst ist für Menschen aus Wannweil kostenlos, das hebt ihn von anderen ab.

»Wir hatten schon ein Teilnehmerfeld zwischen 10 und 98 Jahren«

Der Besuchsdienst steht nicht »nur« für das Zusammenkommen von Menschen, sondern auch für die Spiel-Nachmittage im Café Mayer in der Ortsmitte. »Die kamen mehr oder weniger zeitgleich mit dem Bürgerbus«, sagt Eugen Kern, »das ergänzt sich ganz hervorragend.« Gespielt wird alle zwei Wochen donnerstags von viertel drei bis gegen halb fünf. »Ab und zu kommen sogar ein paar Jüngere vorbei«, sagt Kern, »wir hatten schon ein Teilnehmerfeld zwischen 10 und 98 Jahren!«

Eugen Kern ist der Koordinator des Besuchsdiensts Wannweil (BSW). Hier ist er in seinem Büro zu sehen.
Eugen Kern ist der Koordinator des Besuchsdiensts Wannweil (BSW). Hier ist er in seinem Büro zu sehen. Foto: Andreas Fink
Eugen Kern ist der Koordinator des Besuchsdiensts Wannweil (BSW). Hier ist er in seinem Büro zu sehen.
Foto: Andreas Fink

Besuchsdienst Wannweil (BdW)

Eugen Kern, den Koordinator des Besuchsdienstes Wannweil (BdW), erreicht man übers Rathaus. Telefonisch ist er unter der Nummer 07121 5147705 zu erreichen, per Mail unter besuchsdienst@wannweil.de (GEA)