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Aktuell Demokratie

Rote Karte für Rechtsextremisten bei Demo auf Uracher Marktplatz

Auch in der Kurstadt wurde ein Zeichen gesetzt gegen Rechtsextremismus und für Demokratie und Vielfalt.

Das Potsdamer »Remigrations«-Geheimtreffen hat bei vielen das Fass zum Überlaufen gebracht. Sie gehen jetzt auf die Straße.
Das Potsdamer »Remigrations«-Geheimtreffen hat bei vielen das Fass zum Überlaufen gebracht. Sie gehen jetzt auf die Straße. Foto: Andreas Fink
Das Potsdamer »Remigrations«-Geheimtreffen hat bei vielen das Fass zum Überlaufen gebracht. Sie gehen jetzt auf die Straße.
Foto: Andreas Fink

BAD URACH. »Gemeinsam für Demokratie und Vielfalt«, war die Demonstration gegen Rechtsextremismus überschrieben, zu der gestern Abend einige Hundert Menschen auf den Marktplatz gekommen sind. Mit 300 hatten die Organisatoren Uthe Scheckel, Kirsten Oechsner und Wolfgang Brucker gerechnet. Es dürften wohl rund hundert mehr gewesen sein. »Es ist eine gute Stunde der Demokratie, für Vielfalt und Menschenrechte, denn dieses Trio gehört untrennbar zusammen«, so Uthe Scheckel, »wenn ich die vielen Menschen sehe, ist es ein Zeichen von überwältigender Solidarität – nicht Fake sondern Fakt – dass die Stadtgesellschaft hinter dem Motto der Kundgebung steht.«

»Es macht Mut zu sehen, dass sich die Menschen couragiert diesem Treiben entgegenstellen«

»Auch wenn die Augen besonders auf die Menschenmassen in Hamburg, Berlin oder München gerichtet sind: Besonders wirkungsvoll ist der Protest gerade dadurch, dass er auch in den kleineren und mittleren Städten stattfindet.« Das sagte der geborene Uracher, Bundeslandwirtschaftler Cem Özdemir, per Grußwort aus Polen, vorgelesen von seine ehemalige Nachhilfelehrerin, FDP-Stadträtin Irmgard Naumann.

»Es tut gut, zu sehen, dass es auch bei uns Menschen gibt, die gemeinsam ihre Sorge zum Ausdruck bringen, dass unsere Demokratie durch Populismus, durch Hetze und durch Lügen gefährdet sein können«, sagte der Uracher Bürgermeister Elmar Rebmann, »es macht Mut zu sehen, dass sich die Menschen couragiert diesem Treiben entgegenstellen.« Viel Beifall für den Verwaltungs-Chef, der auf seine Zeit als Schiedsrichter zurückblickte: »Die Rote Karte müssen wir heute allen zeigen, die unfair und brutal die Regeln unseres gemeinsamen Zusammenlebens missachten, ja sogar diese Regeln gleich ganz abschaffen wollen.«

Mit Blick in seine familiäre Vergangenheit – der zweite Mann seiner Großmutter war im Dritten Reich wegen seiner politischen Überzeugung in Urach inhaftiert und kam im Gefängnis ums Leben – sagte er: »Dass es heute wieder Wirrköpfe gibt, die solches Unrecht in Deutschland wiederholen möchten, weckt in mir Angst, es weckt aber auch meinen Zorn. Würden die Pläne dieser hassverblendeten Minderheit auch nur ansatzweise umgesetzt, wäre unser Land in kürzester Zeit kaputt.«

Susanne Sauer, die sich in der Stadt im Interkulturellen Freundschaftsverein und im Internationalen Frauencafé einen Namen gemacht hat, forderte »alle demokratischen Parteien auf, nicht rechts zu blinken, in der Hoffnung, Wählerstimmen zurückzuholen. Sie fungieren sonst als Brandbeschleuniger. Es muss ein offensichtlich klare Abgrenzung inhaltlich und sprachlich geben. Verbale Gewalt ist die Vorstufe zu körperlicher Gewalt.«

Hermann Kiefer beschäftigt in seinem Unternehmen »Isatis Montana« in Hengen 45 Mitarbeiter aus zehn Nationen – darunter viele Geflüchtete aus aller Welt. Viele haben hier nicht nur einen Beruf gelernt, sondern auch Deutsch. Am Beispiel von Karlifa aus Gambia erzählte Hermann Kiefer, wie aus einem einfachen Helfer, der sich für keine Arbeit zu schade war, innerhalb von fünf Jahren ein eigenverantwortlicher Leiter einer Abteilung geworden ist, der auch schon den Führerschein gemacht hat.

»Nicht rechts zu blinken, in der Hoffnung, Wählerstimmen zurückzuholen«

Eine sehr persönliche Integrations- und Demokratiegeschichte erzählte Ruben Stapelbroek. Der Niederländer hat schon auf der ganzen Welt gelebt und gearbeitet. Seine Frau, eine Schwäbin aus dem Ermstal hat er in London kennengelernt, mittlerweile haben die beiden vier Kinder. Ruben Stapelbroek kam als Leiter des Jugendhauses nach Urach, inzwischen ist er der Leiter des Amtes für Soziales, Jugend, Senioren und Integration.

Bewegend die Erstbegegnung seiner deutschen Freundin mit seiner niederländischen Oma, die erlebt hat, was die Nazis im Krieg angerichtet haben. »Sie hat das deutsche Mädle in den Arm genommen.« Sein niederländischer Pass verschaffe ihm gigantische Freiheiten, so Ruben Stapelbroek, in den Augen der Menschen, die von Remigration reden, »bin ich hier aber so viel Ausländer wie die anderen«.

Thomas Stäbler, der als Bereichsleiter der Bruderhaus-Diakonie verantwortlich ist für die Seniorenheime in Bad Urach und Dettingen, ist »der festen Überzeugung, dass wir die anstehenden Herausforderungen des viel beschriebenen demografischen Wandels nicht ohne weitere Zuwanderung lösen können«. Das heißt für ihn aber auch: »Sprache, Qualifikation und Ausbildung und kulturelle Integration dieser Menschen sind dafür zwingend notwendig und fordert uns als Gesellschaft auch weiterhin.«

Was ihn als Leiter einer kirchlichen Einrichtung, in der Menschen aus 16 Ländern arbeiten, besonders berührt: Er habe festgestellt, »dass es durchaus Länder und Kulturen gibt, die im Umgang mit älteren Menschen mich beeindrucken – der spürbare Respekt vor dem Alter und der Lebensleistung gibt auch dem Pflegebedürftigen eine Würde zurück, die mir Hoffnung für die Zukunft macht«. (GEA)