BAD URACH. Das Blau-Gelb der Ukraine-Fahne, die Europa-Flagge, der Pace-Regenbogen und die weiße Friedenstaube prangten an den Masten in der Mitte des Marktplatzes. Die Bad Uracher Stadtfahne war diesmal am Giebel des Rathauses gehisst und trug Trauerflor - allerdings nicht nur für die Toten und Verletzten des seit einem Jahr wütenden Krieges in der Ukraine, sondern auch, so Bürgermeister Elmar Rebmann bei seiner Begrüßung am Freitagabend, mit besonderem Gruß an die »türkischen und muslimischen Mitbürger der Stadt« zum Gedenken an die Menschen, die bei dem Erdbeben in Syrien und der Türkei ihr Leben verloren hatten.
Die »kollektive Schockstarre angesichts des Überfalls von Putin-Russland«, die bei der Mahnwache vor Jahresfrist die Menschen erfasst hatte, schloss der Bürgermeister an seine damalige Worte an, dürfe nicht fortdauern, auch wenn der Angreifer sich getäuscht habe, der sich schon nach ein paar Tagen Invasion in Kiew als Befreier von einer angeblichen faschistischen Diktatur begrüßt sehen wollte. »Dass die Ukrainer so tapfer voller Mut ihr Land verteidigen und mit so viel Solidarität in Europa und der Welt, damit hat Putin nicht gerechnet«, sagte Rebmann. Doch müssten sie Ukrainer sich nun schon ein Jahr lang »in Bunkern verstecken, frieren, teils hungern«.
»Dieser Herr Putin«, fuhr Rebmann fort, »der für seinen Machterhalt buchstäblich über Leichen geht«, habe sogar dem Westen die Schuld in die Schuhe schieben wollen an »Hunderttausend toten Russen, Hunderttausend toten Ukrainern, darunter 40 000 Zivilisten - was für ein furchtbarer Blutzoll«. Seinem Appell »Krieg dem Kriege! Für Frieden und Menschlichkeit!« ließ er den Hinweis auf die »unbeschreibliche Spendenbereitschaft« folgen, die in der Stadt und der Region weiter anhalte.
»Unglaubliches geleistet« habe die von Simon Nowotni und Goldstein-Schulleiter Georg Salzer angestoßene Initiative »Ermstal hilft«. Aber »ein tolles Zeichen« seien auch die in kurzer Zeit zusammengekommenen 9.000 Spendeneuro als Hilfe zur Linderung »des große Leids in der Türkei und Syrien.« Damit könne man, so Rebmann, »allen totalitären Machthabern zeigen, dass Freiheit und Demokratie stärker sind als Gewalt und Einschüchterungen«.
Bevor der Bürgermeister einen ukrainischen, überwiegend aus Kindern und Jugendlichen bestehenden Chor auf die Bühne bat, schloss Rebmann mit dem Aufruf: »Vernunft und Solidarität siegen über Machtgier und Lügen!« und nannte die Kundgebung, zu der sich nach Polizeiangaben 150 bis 200 Menschen eingefunden hatten, ein »Zeichen für Menschlichkeit und Frieden«. Da klatschte auch ein einzelner Demonstrant, der das Schild »Frieden schaffen ohne Waffen« vor der Brust trug.
Längst hatten sich schon viele, zu großen Teilen blau-gelbe Schirme gegen den einsetzenden eiskalten Regen geöffnet. Und wie die Sänger um Viktoria Miteva legten die vielen Ukrainer die Hand aufs Herz, als der Chor mit der Nationalhymne ihres Landes begannen. Es gebe sie seit mehr als hundert Jahren, erzählte Ludmilla Lezanowa, Deutschlehrerin aus der süd-ukrainischen Donaustadt Ismajil und mittlerweile im Rathaus als Integrations-Managerin für die Flüchtlinge tätig. Ein Lied der populären ukrainischen Rockband Okean Elzy aus Lwiw (Lemberg) mit dem Titel »Obyimy - Umarme mich« ließen sie folgen, in dem ein kommender Frühling und das Ende des Krieges beschworen werde.
Die Reihe der Redner von Grußworten war fast die gleiche wie bei der Mahnwache nach Kriegsausbruch und wurde angeführt vom CDU-Bundestagsabgeordneten Michael Donth, den Landtagsmitgliedern Manuel Hailfinger, der für die Landes-CDU gerade an einer Wiederaufbau-Konferenz für die Ukraine in Warschau teilgenommen hatte, Rudi Fischer von der FDP sowie Cindy Holmberg von den Bündnisgrünen, die auch ein Grußwort von der Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke verlas. Simon Nowotni bedankte sich für »Ermstal hilft« bei den Spendern und Unterstützern, rief zum weiteren Zusammenrücken auf uns schloss mit dem Ruf »Slava Ukraini!- Ruhm der Ukraine!«
Die zwei Flüchtlingsberichte eröffnete der neunjährige Daniil, der mit Mutter und Bruder aus der Atomkraftwerks-Stadt Saporischschja ins Ermstal geflohen ist. Früher sei die Familie ans Meer oder zum Skilaufen in die Karpaten gefahren, jetzt habe er nur noch den Wunsch, seinen Vater wieder umarmen zu dürfen, »der in der Heimat kämpft«. Nicht mehr übers Kino wie früher, das kaputt sei, spreche man jetzt unter seinen Freunden, »sondern über die Waffen, die wir bekommen«, sagte er und ergänzte: »Ich will meine Kindheit zurück.« Eine Frau aus Ismajil, Mutter dreier Kinder, berichtete davon, wie sie in den Zeiten des Kriegsausbruchs beidem ständigen Sirenengeheul zur Beruhigung »mit den Kindern gesungen« habe. (GEA)