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Frischer Wind in Römerstein

Die Gemeinde hat mit zwei großen Investoren Verträge zur Nutzung von Windenergie unterzeichnet

Der Vertrag zwischen der Gemeinde Römerstein und den Investoren EnBW und Schöller steht, die Akteure strahlen. Im Bild (von link
Der Vertrag zwischen der Gemeinde Römerstein und den Investoren EnBW und Schöller steht, die Akteure strahlen. Im Bild (von links): Gemeinderat Wilhelm Röcker, Ersah Öztürk (Schöller-Geschäftsführer), Willie Schöller (Schöller-Chef), Bürgermeisterin Anja Sauer, Clemens Künster (Künster-Stadtplanung), Lea Ackermann (Projektleiterin EnBW), Falco Engelfried (Manager Flächensicherung EnBW) und Michael Soukup (Teamleiter Projektentwicklung Windenergie EnBW). FOTOS: FINK
Der Vertrag zwischen der Gemeinde Römerstein und den Investoren EnBW und Schöller steht, die Akteure strahlen. Im Bild (von links): Gemeinderat Wilhelm Röcker, Ersah Öztürk (Schöller-Geschäftsführer), Willie Schöller (Schöller-Chef), Bürgermeisterin Anja Sauer, Clemens Künster (Künster-Stadtplanung), Lea Ackermann (Projektleiterin EnBW), Falco Engelfried (Manager Flächensicherung EnBW) und Michael Soukup (Teamleiter Projektentwicklung Windenergie EnBW). FOTOS: FINK

RÖMERSTEIN. Ein großer Schritt für eine kleine Gemeinde: Bürgermeisterin Anja Sauer hat jetzt mit der EnBW Windkraftprojekte GmbH (Stuttgart) und der Schöller-SI Erneuerbare GmbH (Reutlingen) die Nutzungsverträge für die Inanspruchnahme von Flächen für Windkraftanlagen auf Gemarkung Römerstein unterzeichnet. »Ein nachhaltiger und weitreichender Schritt zur Entwicklung erneuerbarer Energien«, schreibt sie im Amtsblatt, »das Tor zur Realisierung von Anlagen der Windenergie ist geöffnet.«

   Hätte es die Verwaltungs-Chefin nicht eh schon lange gewusst, dass Römerstein wie gemacht ist für Windkraft – sie hätte es spätestens in dem Moment gemerkt, als die Investoren begannen, sich im Rathaus die Klinke in die Hand zu geben. »Es waren sicher schon 15 bei mir und haben ihr Interesse bekundet, hier was zu machen«, sagt Anja Sauer, die seit dem 29. April 2022 im Amt ist.

   Dass Römerstein für Windkraft-Investoren eine begehrte Braut ist, war spätestens seit 2015 klar: 2015, nachdem der Regionalplan für die Jahre 2013 bis 2023 genehmigt worden war, war WPD, ein international tätiger Projektentwickler für Windkraftanlagen aus Bremen, in der Gemeinde unterwegs, um sich Flächen für Windräder zu sichern. »Das kam aber nie zur Realisierung«, sagt Anja Sauer jetzt. 2015 hatte sich im Römersteiner Teilort Donnstetten prompt die Bürgerinitiative »Windkraft mit Vernunft« gebildet, als bekannt wurde, dass WPD östlich vom Dorf fünf große Windräder bauen wollte.

»Ich wollte nicht reagieren, sondern agieren«

   Der damalige Bürgermeister Matthias Winter hatte eher zurückhaltend auf die Offerten aus Norddeutschland reagiert und im Gemeinderat gesagt: »Wir können nicht mehr darüber diskutieren, ob die Windräder kommen. Wir können nur noch steuernd eingreifen, wo und wie die Windräder in Römerstein Einzug halten.« Die Gemeinde habe »nur noch die Möglichkeit einer Reststeuerung«, Winter sprach von »Schadensbegrenzung«.

   Seine Nachfolgerin ging anders an die Sache ran. »Ich wollte nicht reagieren müssen, sondern agieren«, sagt Anja Sauer – wohl wissend, »dass mir immer klar war, dass wir es hier mit einem sehr sensiblen Thema zu tun haben«. Aber: Die Möglichkeiten sind hier weit größer als irgendwo in der Nähe.

   »Wir wollen unseren Beitrag zur Energiewende leisten«, sagt Anja Sauer gebetsmühlenartig, »es haben ganz wenige so gute Möglichkeiten wie die Gemeinde Römerstein.« Die Klimakrise und die Energiewende ist nur eine Seite, die sie immer wieder hervorhebt. Die Bürgermeisterin wirbt für Windräder, die nicht nur ein bisschen die Welt retten könnten, sondern die auch ganz konkret Geld in die Gemeindekasse bringen. Wie viel: Die Verwaltungs-Chefin drückt sich vor konkreten Zahlen und spricht von der »langfristigen Sicherung und Entwicklung unserer Schul- und Kindergartenlandschaft in Römerstein«. Im Amtsblatt schreibt sie auch noch vom Kanal-, Wasserleitungs- und Straßennetz. Und davon, den Tourismus voranzubringen. Immerhin habe sie jetzt schon, nach knapp zwei Jahren im Amt, die Pro-Kopf-Verschuldung unter die 1.000-Euro-Marke gedrückt, betont sie. Bei der Vertragsunterzeichnung in Böhringen reden die Investoren auf hartnäckiges GEA-Nachbohren ein bisschen Klartext: »Ein sechsstelliger Betrag mit einer 1 davor.« Pro Anlage. Im Jahr. Das ist für eine 4.100-Einwohner-Gemeinde eine Menge Geld.

  Wobei das Geld nicht ausschließlich der Gemeinde zugutekommt. Das hat folgenden Grund: Die Investoren haben so genannte »Pool-Verträge« mit den Grundstückseigentümern abgeschlos sen. Das bedeutet, dass alle, deren Grundstücke in einem Windkraft-Areal liegen, in den Genuss zumindest eines Teils des Pacht-Erlöses kommen – unabhängig davon, ob nun auf ihrem Wiesle das Fundament steht, ein Weg gebaut wurde oder ein Kabel verläuft. Oder beim Nachbarn. »Eine sehr gute Lösung«, sind sich Bürgermeisterin Anja Sauer und die Investoren EnBW und Schöller einig, »das dient dem sozialen Frieden, und wir müssen uns keine Gedanken über eine Neid-Debatte machen. Das war früher anders.« In den EnBW-Pools sind rund 400 Eigentümer – ein Zehntel der Römersteiner Gesamtbevölkerung –, in den Schöller-Pools rund 100.

»Ein sechstelliger Betrag mit einer 1 davor«

   Vor wenigen Wochen hatten die Reutlinger Bezirksgemeinderäte von Gönningen, Ohmenhausen und Bronnweiler mehrheitlich ausgedrückt, dass sie auf ihrer Gemarkung keine Windräder haben wollen. Warum geht dann ausgerechnet Römerstein mit so großen Schritten voran? »Wir sind mehr als üppig ausgestattet mit Flächen, die sich anbieten«, sagt Bürgermeisterin Anja Sauer, »wir haben hier eine mega-gute Windhöffigkeit.« Viel Wind auf der 46 Quadratkilometer großen Gemarkungsfläche mit einer Bevölkerungsdichte von gerade mal 89 Einwohnern pro Quadratkilometer. Bei so viel Natur ist schon mal die Nähe zu Häusern kein ganz so großes Problem mehr wie anderswo.

   Der Reutlinger Stadtplaner Clemens Künster, der die Gemeinde beraten und begleitet hat, lobt die »vorbildliche Öffentlichkeitsarbeit« in Römerstein. Wie zum Beispiel die große Einwohnerversammlung am 6. Juli 2023 in Zainingen. Anfangs sei die Diskussion natürlich sehr emotional gewesen, dann gab’s mit der Zeit einen sehr guten Konsens mit den Bürgern. Dem pflichtet EnBW-Mann Michael Soukup bei: »Meinungsbildung findet erst mal im Gemeinderat statt. Der ist dann das Sprachrohr nach außen – nur so kann das funktionieren«, sagt der Teamleiter Projektentwicklung Windenergie, »das ist hier ganz toll gelungen.«

»Sieben, acht Jahre, bis wir die Infrastruktur haben«

   Neun bis zehn Anlagen, so schätzen die EnBW-Leute, könnten auf ihren beiden Flächen stehen. Das Schöller-Team geht von zwei bis vier Anlagen aus. Die Reutlinger Investoren gehen etwas zurückhaltender an die Sache ran, weil ihre Fläche in der Nähe eines Vogelschutzgebiets liegt – hier braucht’s noch ein paar Untersuchungen mehr. Wenn alles perfekt klappt, könnten die ersten EnBW-Windräder 2026/2027 stehen, Schöller träumt von einem Start ein Jahr später, also 2027/2028. Und so könnten die Römersteiner Windräder dann aussehen: Die Nabenhöhe liegt zwischen 160 und 199 Meter, die Rotoren haben einen Durchmesser von 160 bis 180 Meter. Kosten pro Anlage: 8 bis 10 Millionen Euro.

   Gemeinderat Wilhelm Röcker, der ehrenamtliche Stellvertreter der Bürgermeisterin, macht deutlich, dass die Planung und der Bau von Windrädern nur der erste Schritt ist. »Der nächste ist: Wo findet die Einspeisung des Stroms statt«, sagt Röcker, »wo werden also Umspannwerke ertüchtigt oder neue gebaut.« Auch in diesem Punkt stehe Römerstein schon gut da, betont die Verwaltungs-Chefin mit Blick auf das Umspannwerk Donnstetten ganz in der Nähe der künftigen Windräder.

   »Sieben, acht Jahre gehen wohl schon ins Land, bis wir die Infrastruktur haben, um den Strom abzuführen«, meint Anja Sauer. Jetzt passiert nach außen hin erst mal nichts Sichtbares, sagt EnBW-Projektentwickler Michael Soukup. Aber nur scheinbar: Oberhalb des Skilifts Salzwinkel steht ein mit Hightech gefüllter Anhänger. Die EnBW misst hier die Windhöffigkeit. Mit den fünf Lasern kann erforscht werden, wie stark der Wind in 200 Metern Höhe bläst. Daten, die den Standort der Windräder immer greifbarer machen.

   In den Karten des Regionalverbands Neckar-Alb ist auch noch eine kleine Fläche im Westen der Römersteiner Markung ausgewiesen. Über »RT 17« redet die Bürgermeisterin nicht ganz so gern. »Ganz in der Nähe will unsere Nachbargemeinde Grabenstetten wahrscheinlich auch vier Windräder aufstellen«, sagt Anja Sauer, »hier auch noch ein Rad aufzustellen – das will ich meinen Bürgerinnen und Bürgern nicht auch noch zumuten – ich finde, wir haben schon eine ganze Menge getan.«

»Wenn Solarzellen, dann auf Konversionsflächen«

   Mit diesem Hintergrund ist sie auch an die zweite Säule der Energiewende herangegangen – der Photovoltaik. »Beim Flächenverbrauch kommt PV gegenüber Windenergie schlecht weg«, sagt die Bürgermeisterin und spricht vom Faktor 1 zu 25. »Als ich das gehört habe, war für mich klar, in welche Richtung die Reise geht – zumal wir eh schon einen riesengroßen Beitrag leisten.« Heißt also: Windenergie ja, Freiflächen-Photovoltaik nein. Damit rennt sie bei den Bauern – die Alb-Gemeinde ist sehr landwirtschaftlich geprägt – offene Türen ein. »Trotzdem haben wir das Thema nicht komplett ad acta gelegt«, sagt sie, »wir haben uns parallel auf den Weg gemacht und PV-Kriterien festgelegt.« Die da sind: Kostbare landwirtschaftliche Flächen bleiben tabu. »Wenn Solarzellen, dann auf Konversionsflächen.« Beim ehemaligen Steinbruch gibt’s neun Hektar, da könnten PV-Module aufgebaut werden.

   Welch außergewöhnlich große Rolle die Windenergie in Römerstein spielt, machen Bürgermeisterin Anja Sauer und Städteplaner Clemens Künster gemeinsam deutlich – und kommen dabei kurioserweise auf ein und dieselbe Zahl 14: Die Areale, für die Sauer jetzt mit der EnBW und Schöller Verträge unterzeichnet hat (gute 600 Hektar), umfassen rund 14 Prozent der Gemarkungsfläche. Wenn die beiden Projektentwickler ihre Pläne in vollem Umfang umsetzen können, könnte Römerstein 14 Prozent der Fläche liefern, die der gesamte Regionalverband Neckar-Alb mit den Landkreisen Reutlingen, Tübingen und Zollernalbkreis für das Landesziel beisteuern muss. (GEA)