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Erstes Windrad in Bad Urach in fünf Jahren?

Bürgerinformationsveranstaltung zum »Masterplan Erneuerbare Energien« in Bad Urach

Dietmar Leukert hat sich in Urach als Langzeit-Corona-Kritiker einen Namen gemacht. Bei der Bürgerinfo erhielt er Beifall für s
Dietmar Leukert hat sich in Urach als Langzeit-Corona-Kritiker einen Namen gemacht. Bei der Bürgerinfo erhielt er Beifall für seine Kritik an den Experten. Beifall erhielt der Pensionär auch, als er seine Vorlesung beendet hatte. Foto: Andreas Fink
Dietmar Leukert hat sich in Urach als Langzeit-Corona-Kritiker einen Namen gemacht. Bei der Bürgerinfo erhielt er Beifall für seine Kritik an den Experten. Beifall erhielt der Pensionär auch, als er seine Vorlesung beendet hatte.
Foto: Andreas Fink

BAD URACH. Die Bundesregierung hat das Ziel, den Strom aus erneuerbaren Energien bis 2030 zu verdoppeln. Die Windkraft spielt dabei eine entscheidende Rolle. Mit dem »Wind-an-Land-Gesetz«, das am 1. Februar in Kraft getreten ist, will sie den Ausbau der Windenergie deutlich schneller voranbringen.Konkret heißt dies, dass 1,8 Prozent der Fläche für Windkraft ausgewiesen werden müssen und 0,2 Prozent für Freiflächen-Solaranlagen. »Auch wir wollen und werden unseren Beitrag dazu leisten«, sagt der Uracher Bürgermeister Elmar Rebmann. Die Stadt hat eine Dialoggruppe gebildet und jetzt erstmals öffentlich die Ergebnisse in der Festhalle vorgestellt. 

Was unterscheidet Bad Urach von anderen Kommunen?

Dass die Kurstadt »reich mit Schutzgebieten gesegnet« ist, hat Bürgermeister Elmar Rebmann kürzlich schon beim Waldumgang betont. Was für den Tourismus ein Segen ist, ist bei der Ausweisung von Flächen, die für Windräder oder Fotovoltaikanlagen geeignet sind, ein Fluch. Fauna-Flora-Habitat-Gebiete (kurz: FFH-Gebiete), die auf europäischem Recht fußen, sind ebenso Ausschlusskriterien wie klassische Naturschutzgebiete, die auf nationalem Recht basieren. Am Ende bleiben 0,74 Prozent (40,79 Hektar) der kommunalen Flächen, auf denen man Freiflächen-PV-Anlagen aufstellen könnte. Für Windenergie haben die Experten 1,85 Prozent (102,74 Hektar) der kommunalen Flächen ermittelt. In Alb-Kommunen wie Hohenstein oder Pfronstetten sieht’s ganz anders aus, weiß Rebmann. »Da kommen wir nie hin, die Auswahl ist bei uns sehr klein.«

Warum ist im Masterplan nur die Rede von kommunalen Flächen?

Hier sind die wenigsten Konflikte vorprogrammiert: Die Stadt muss nicht mit privaten Grundstückseigentümern verhandeln. Mit grüner Energie lässt sich nach wie vor gutes Geld verdienen. Das soll in den kommunalen Haushalt fließen, betont der Bürgermeister. Der Bedarf an grünem Strom wird in einem gigantischen Maße steigen – bis 2035 um 240 Prozent – und damit auch die damit verbundenen Erlöse.

Zwei Männer  schauen in der  Uracher Festhalle auf die Karte, auf denen die Experten die Flächen eingezeichnet haben, die sich f
Zwei Männer schauen in der Uracher Festhalle auf die Karte, auf denen die Experten die Flächen eingezeichnet haben, die sich für Windräder und Photovoltaikflächen eignen würden. FOTOS: FINK
Zwei Männer schauen in der Uracher Festhalle auf die Karte, auf denen die Experten die Flächen eingezeichnet haben, die sich für Windräder und Photovoltaikflächen eignen würden. FOTOS: FINK

Was ist die Besonderheit von Hengen?

In Hengen hat’s die meisten Landwirte von Bad Urach. Reinhard Wörz vom Linsenberghof, der als Obmann für Hengen in der Dialoggruppe sitzt, nennt zehn aktive Kollegen im Haupt- oder Nebenerwerb – in Wittlingen und Sirchingen gibt’s nur je drei, in Urach und Seeburg keine (mehr). Die Krux: In Hengen haben die Experten auch die meisten Flächen gefunden, die sich für Windräder oder Photovoltaikflächen eignen würden. Heißt: Der »Kampf« um die Fläche wird schärfer. Im vergangenen Jahr hatte sich ein Investor an die Stadt gewandt, der auf dem städtischen Gelände »Auf Buch« eine Freiflächen-Solaranlage errichten will. Die Hengener Landwirte waren ebenso dagegen wie der Ortschaftsrat.

Was ist das Besondere an Agri-PV?

Mit der Agri-Photovoltaik können Landwirtschaft und Energiegewinnung unter einen Hut gebracht werden. Die Technik entwickelt sich rasant: Schon heute können Flächen, die mit den stehenden Solarzellenmodulen bestückt sind, trotzdem zu 90 Prozent landwirtschaftlich genutzt werden. Und: Sie sind rechtlich privilegiert, »sie können also jederzeit gebaut werden«, sagt der Bürgermeister, »wir als Stadt haben da keine Einflussmöglichkeiten«. Das hat sie nur bei Freiflächen-Photovoltaikanlagen, dafür braucht’s einen Bebauungsplan.

Welche Rolle spielen die Nachbarkommunen?

Eine sehr große. In Römerstein und Grabenstetten gibt es ungleich größere geeignete Flächen, weil’s dort wesentlich weniger Schutzgebiete gibt. Hengen, wo die Experten eh die größten Potenziale sehen, liegt im nordöstlichen Zipfel der Uracher Markung – also Richtung Römerstein und Grabenstetten. Hier könnte ein großer Windpark entstehen. Ein großer Windpark statt vieler kleiner: Windräder ergeben nur Sinn, wenn mindestens drei auf einmal aufgestellt werden. Je mehr auf einem Fleck stehen, desto – vergleichsweise – günstiger sind die Kosten für die Zuleitung. Der Strom muss schließlich irgendwie weggeschafft werden.

Wann dreht sich das erste Windrad?

Auch, wenn mit dem neuen Bundesgesetz alles schneller gehen soll: Frühestens in fünf Jahren, sagt Rolf Pfeifer von der Kommunalberatungsfirma »endura kommunal GmbH«. Was dann kommt, ist eine Nummer größer als die Windräder, die man bis jetzt auf der Alb kennt: Moderne Windmühlen haben eine Nabenhöhe von 170, 180 ... bis zu 200 Metern, bis zur Flügelspitze könnten sie also um die 270 Meter hoch werden. Wenn so ein Hightech-Windrad läuft, macht es Strom für 6- bis 8.000 Haushalte. Weil’s nicht immer windet und auch die Sonne nicht immer scheint, braucht’s moderne Speichermedien. Auch hier mache die Forschung rasante Fortschritte, betont Rolf Pfeifer.

Was sagen die Kritiker?

Natürlich gibt es die jetzt schon, lange bevor es Visualisierungen von den Windparks gibt, mit denen die Gegner in den Kampf gegen die »Verspargelung der Landschaft« ziehen. Als »Augenwischerei« bezeichnete jetzt Dietmar Leukert die Aussage der Experten, Deutschland ausschließlich mit regenerativen Energien versorgen zu können – und erhielt dafür nicht ganz wenig Beifall. Der pensionierte Uracher Gymnasiallehrer bezeichnet sich als »Ökologe alter Schule« und dozierte in einer ausschweifenden, sehr wissenschaftlichen Vorlesung darüber, dass Speichertechnologien schon aus Platzgründen nicht möglich wären. Und überhaupt: Klimawandel habe es in der Weltgeschichte immer schon gegeben. Die aktuelle Warmphase sei am Abklingen, betont der Geograf, »die nächste Kaltzeit steht vor der Tür, es ist nur nicht klar, wann«. Ob die nächste Abkühlung rechtzeitig kommt, bevor die Erde durch den menschengemachten Klimawandel kollabiert: Der pensionierte Lehrer, der sich in der Stadt schon einen Namen als Langzeit-Kritiker von Corona-Maßnahmen gemacht hat, musste diese Frage offen lassen. Seine Vorlesung konnte er nicht zu Ende halten, stand aber im Anschluss für Fragen zur Verfügung – ausgerüstet mit einem großen Stapel an Plakaten mit physikalischen Kurven.

Wie sieht’s mit dem Vogelschutz aus?

Der werde selbstverständlich berücksichtigt, so die Experten der Dialoggruppe. Ein Bürger hatte auf die zahlreiche Vögel hingewiesen, die auf der Roten Liste stehen, die im Hengener Vorranggebiet unterwegs sind. Allerdings sind mit dem neuen Bundesnaturschutzgesetz die Anforderungen nach unten geschraubt worden – ein »überragendes öffentliches Interesse« kann vor den Artenschutz gestellt werden.

Wie gehen die Experten mit der Kritik um?

»Das ist ganz normal«, sagt Rolf Pfeifer. Der Geschäftsführer der »endura kommunal« ist landab, landauf unterwegs, um Kommunen bei der Energiewende zu beraten. In Bad Urach war’s ausgesprochen friedlich, betont er. Vor zehn Tagen gab’s in Starzach eine ähnliche Veranstaltung. Die Stadtwerke Tübingen planen dort einen Windpark. OB Boris Palmer, der Aufsichtsratsvorsitzende der Stadtwerke, wurde übel beschimpft, die Veranstaltung eskalierte völlig. »Da ging’s nur noch ums Überleben«, sagt Jakob Lenz vom Forum Energiedialog des Landes Baden-Württemberg, der die Veranstaltung moderiert hat, hinterher im Foyer. Es sei völlig normal, dass etwas so Gewaltiges wie die Energiewende Kritik hervorrufe. »Ich bin seit mehr als 30 Jahren in diesem Bereich unterwegs«, sagt Rolf Pfeifer. Er war schon als Zivi beim Öko-Institut Freiburg, später als wissenschaftlicher Projektleiter. Als damals erstmals über grüne Energie gesprochen wurde, hatten die Energie-Riesen bei großen deutschen Zeitungen ganzseitige Anzeigen geschaltet. Selbst mit größten Anstrengungen seien maximal vier Prozent grüner Strom machbar, behauptete die Atom-, Kohle- und Erdgas-Lobby. »Heute sind wir bei 52 Prozent«, sagt Pfeifer. Der »typisch deutsche Skepsis« gewinnt er etwas sehr Gutes ab. »Sie sorgt dafür, dass wir immer noch was verbessern.« Der Energie-Experte abschließend: »Glauben Sie mir: Die Energiewende wird so, wie sie angedacht ist, möglich sein – sie wird auf jeden Fall kommen. In zehn Jahren werden wir sicher bei 80 Prozent Erneuerbaren sein.«

 

Wie geht’s weiter?

Am 23. November kommt die Dialoggruppe noch mal zusammen. Das Ergebnis wird im Dezember im Gemeinderat diskutiert. Hier soll der Masterplan, der jetzt bei der Bürgerinfo vorgestellt wurde, verabschiedet werden. Das Ergebnis geht an den Regionalverband Neckar-Alb, der die Landkreise Reutlingen, Tübingen und Zollernalbkreis umfasst. »Der Regionalverband entscheidet dann, ob er unsere Vorschläge als Vorranggebiete aufnimmt«, sagt der Bürgermeister. (GEA)