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Zwischen Betrübnis und Hoffnung

»Zweifelmut«: Schüler und Gaechinger Cantorey mit getanzten Bachkantaten im Forum am Schlosspark in Ludwigsburg.

Schüler aus Stuttgart und Umland tanzen im Ludwigsburger Forum am Schlosspark eine szenische Version aus verschiedenen Bachkanta
Schüler aus Stuttgart und Umland tanzen im Ludwigsburger Forum am Schlosspark eine szenische Version aus verschiedenen Bachkantaten. FOTO: SCHNEIDER
Schüler aus Stuttgart und Umland tanzen im Ludwigsburger Forum am Schlosspark eine szenische Version aus verschiedenen Bachkantaten. FOTO: SCHNEIDER

LUDWIGSBURG. Mit dem barocken Wort Zweifelmut, das als Leitbegriff für das neue Projekt der Stuttgarter Bachakademie gewählt wurde, denkt man in der derzeitigen Situation vielleicht an europäische Krisenherde, denkt auch an den Krieg in der Ukraine. Bei einer Aufführung der Bachakademie Stuttgart im Forum am Schlosspark Ludwigsburg wird dieser heute ambivalent erscheinende Begriff aus Johann Sebastian Bachs Kantate »Erfreut euch, ihr Herzen« aufgegriffen. Empfindungen wie Hoffnung und Furcht werden von Schülerinnen und Schülern aus Stuttgart, Pforzheim, Nagold und Minden tänzerisch unter der Choreografie von Friederike Rademann (Dramaturgie: Mareike Wink) mannigfaltig zum Ausdruck gebracht.

Das Thema wird dabei mit zwei weiteren zentralen Bach-Werken in Szene gesetzt: Der vorangestellten doppelchörigen Motette »Komm, Jesu, komm, mein Leib ist müde« BWV 229 folgen die beiden Kantaten »Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit« BWV 106 und »Erfreut euch, ihr Herzen« BWV 66.

Uhr aus dürren Zweigen

Zu Beginn der Kantate »Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit«, die aus der frühen Schaffensperiode Bachs stammt, blickt man im Bühnenmittelpunkt auf verdorrte Äste und kahle Erde. Die Schülerinnen und Schülern greifen dabei die gedrückte musikalische Stimmung in vielfältigen Körperimpulsen auf.

In tänzerischer Mimik und Gestik wird die Musik, die auch als »Actus tragicus« bekannt ist, in abstrakte Bewegungen transformiert, aber zugleich werden auch konkrete Botschaften der Kantate szenisch dargestellt. Parallel mit dem gesungenen Text »Gottes Zeit« wird eine aus dürren Zweigen gelegte Uhr mit zwei Tänzern als Zeigern geformt. Sinnbildlich zeigt sich überdies beim Textabschnitt »Bestelle mein Haus«, wie die auf den Boden gelegten Zweige aufgenommen und als Kehrbesen in den Tanz integriert werden.

Während im Bild der ersten Kantate noch die braunen und dunkelgrünen Farben dominieren, findet sich das Publikum nach einer kurzen Generalpause in einer bunt kontrastierten Bühnenlandschaft (Bühne: Maria Pfeiffer) wieder. Im hell erleuchteten (Licht: Ingo Jooß) Regenbogenkreis aus Plastikblumen hat auch die Kleidung der Jugendlichen (Kostüme: Anne-Marie Miene) in hoffnungsvolles Neongrün gewechselt. Das neue Umfeld der zweiten Kantate »Erfreut euch, ihr Herzen«, die erstmals am zweiten Osterfesttag 1724 aufgeführt wurde, weist auf die freudenvolle christliche Botschaft der Auferstehung hin.

Die kräftigen Farbspektren, aber auch die spürbare Diskrepanz und Ambivalenz der Bach-Kantaten äußern sich ebenso in der Gaechinger Cantorey (Orchester und Chor der Bachakademie) unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann. Das Ensemble zeigt sich ähnlich wie das Bühnenbild in unterschiedlichen Klangfarben. Die Interpretation wirkt klanglich intensiv, ohne jedoch ein schweres Pathos in die Musik zu legen. Trotz kleinerer Unsicherheiten in der Bläsergruppe demonstriert das Barockorchester seine fein nuancierten Abstimmungen und sein gemeinsames, hohes Klangideal.

Der Chor, der sich ebenso wie die vier Solisten und das Orchester im Orchestergraben positioniert hat, zeigt ab dem ersten Ton eine präzise Artikulation und homogene Genauigkeit, die sich durch den ganzen Abend zieht. Mirjam Striegel (Sopran) und Benedikt Kristjánsson (Tenor) überzeugen durch eine vitale Leichtigkeit in ihren Stimmen und innigen Ausdruck der deklamatorischen Botschaft. Wiebke Lehmkuhl (Alt) tritt durch ihr übersinnlich-volles Timbre mit durchgängiger Spannungskraft hervor und bildet mit Matthias Winckhler (Bass) das solistische Fundament.

Im abschließenden »Alleluja!« der Kantate »Erfreut euch, ihr Herzen« entfaltet sich die abwechslungsreiche Konzeption dieses Gesamtkunstwerks. Alle Tänzerinnen und Tänzer finden sich in aufstrebenden Bewegungen wieder und gewinnen durch ihren Elan an authentischer Ausdruckskraft. Der Begriff Zweifelmut offenbart sich als äußerst zutreffendes Leitmotiv für dieses neue Projekt der Bachakademie: Aus der Parallelität von Zweifel und Mut entwickeln die Interpreten eine überzeugende Botschaft, die an diesem Abend Raum für Betrübnis und Hoffnung zulässt. (GEA)