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Wie Hafis von Altenburg nach Schiras kam

Der persische Dichter Hafis verzauberte einst Goethe, nun inspirierte er mit Günther Uecker einen der wichtigsten Gegenwartskünstler. Und zwar zu einem Grafik-Zyklus, mit dem der 86-Jährige eine verblüffende Wende hinlegt. Eine Reutlinger Siebdruckfirma ließ Ueckers duftige Visionen Realität werden. Und am Ende reisten die himmlisch-heiteren Blätter zusammen mit Uecker und Siebdrucker Sebastian Wendel in Hafis’ Heimat, nach Schiras im Iran

REUTLINGEN/SCHIRAS. Er ist der große alte Berserker der deutschen Kunstszene, dieser Günther Uecker. Er rammt Nägel in seine Bilder, verkeilt rohe Holzbalken zu sperrigen Installationen, seine Kunst ist ein Aufschrei, ist ästhetisches Anbrüllen gegen den Tod, gegen Gewalt, gegen all das Unrecht auf dem Planeten. Und dann, mit 86 Jahren, wird dieser Uecker plötzlich zart. Ersinnt duftige Blätter wie Aquarelle, voller Licht, Luft und Blütenzauber. Und als es daran geht, diese wundersame Wandlung eines Alten vom Berge zum heiteren Lyriker Realität werden zu lassen, kommt plötzlich Reutlingen ins Spiel. Ein Betrieb im Ortsteil Altenburg genauer. Denn dort, in der Firma Graffiti, die auf künstlerischen Siebdruck spezialisiert ist, wurden aus Ueckers Kopfgebilden Blätter zum Anfassen, helle Kartons voll luftiger Farbe.

Derjenige jedoch, der diesen Wandel des alten Künstlers bewirkt, der ihm diesen duftigen Blütenzauber entlockt hat, ist lange tot. Es ist der persische Dichter Hafis, der im 14. Jahrhundert in Schiras gelebt hat. Seine hymnischen Verse über die Liebe und das Leben versetzten schon Johann Wolfgang von Goethe in Ekstase und inspirierten ihn zu seinem Gedichtband »West-östlicher Divan«. Uecker stieß auf Hafis, als er 2012 mit einem ganz gegensätzlichen Projekt im Iran war. »Der geschundene Mensch« im Auftrag des Stuttgarter ifa-Instituts für Auslandsbeziehungen zeigte noch den dunklen, wütenden, anklagenden Uecker, mit Sandspiralen, Holzskulpturen, Bildern, durch die ganze Steine gerammt waren. Beim Aufbau kam er mit Iranern ins Gespräch, die von Hafis schwärmten. Uecker besorgte sich eine deutsche Übersetzung und entdeckte eine ganz neue Welt. Und bereits zum zweiten Mal nach zweihundert Jahren widmete sich ein deutscher Großkünstler dem klassischen persischen Dichter.

»Als Maßstab für die Sandfarbe hat Uecker extra ein Tütchen aus Schiras mitgebracht«
»Das berührt die Iraner total«, versichert Sebastian Wendel, einer der Gründer und Geschäftsführer von Graffiti-Siebdruck. Eine Woche lang war er Anfang Mai geneinsam mit Uecker, dessen Galeristen, einer Journalistin und einer Sammlerin im Iran, um die Einweihung mehrerer Ausstellungen mit Ueckers Arbeiten mitzuerleben. Am 1. Mai eröffnete eine Schau direkt am Hafis-Mausoleum im südiranischen Schiras. Wunderbar fügten sich die duftig-atmosphärischen Blätter in die Umgebung des Hafis-Pavillons inmitten eines Parks und in einen Wandelgang, in dem Stellwände aufgestellt waren. Zwei Tage später wanderten die Arbeiten in die Galerie der Nationalbibliothek in Schiras. Und am 6. Mai eröffnete eine weitere Schau mit Ueckers Blättern in Teheran. Auch dort waren Uecker und Wendel mit dabei. Seit heute sind die Bilder auch in Deutschland ausgestellt, im Schlossmuseum Wolfenbüttel. Auf diesen Ort habe Uecker bestanden, sagt Wendel, sie sind dort bis 14. August unter dem Titel »Günther Uecker – Huldung an Hafez« zu sehen.

Schiras hat Sebastian Wendel ungeheuer beeindruckt. Eine uralte Kulturstadt, Paläste, Tempel – und eine Bevölkerung mit einem ausgeprägten geschichtlichen Bewusstsein. »Die Iraner sind immer noch verletzt, weil Alexander der Große bei seinem Feldzug so viel zerstören ließ«, so Wendel.

Die Landschaft dort hat sehr direkt Eingang in Ueckers Blätter gefunden. Sechs Motive ließ er nicht mit Farbe drucken, sondern mit Sand, der genau jenem gleicht, den er in Hafis’ Garten fand. Damit das klappte, hat man beim Siebdruck dieser Blätter nicht Farbe, sondern Leim durch den Stoff auf die Kartonbögen gedruckt. Anschließend ließ man Sand über den Karton rieseln – und dort, wo der Leim durch das Siebdruckgewebe gedrungen war, blieb er am Karton haften. »Wir haben dafür extra eine Art Wippe konstruiert – schließlich mussten von jedem der sechs Sandbild-Motive hundert Abzüge gefertigt werden«, erzählt Wendel. Der Sand selbst stammte nicht aus dem Iran – dafür hätte man 120 Kilo einfliegen müssen. Stattdessen färbte man gewöhnlichen Sand exakt so ein, dass er dem aus Schiras glich. »Das ging mehrfach zwischen uns und Uecker hin und her, ehe er zufrieden war.« Maßstab war ein Tütchen Originalsand, das Uecker aus Schiras mitgebracht hatte.

Von den sechs Sandmotiven abgesehen sind die übrigen dreißig Motive des Zyklus in leuchtenden, durchscheinenden Grundfarben gehalten. Die Blätter sind jeweils 70 auf 100 Zentimeter groß und kombinieren meist Hafis’ Originalverse in persischer Schrift mit Ueckers Bildfindungen dazu. Diese sind meist abstrakt, gelegentlich sind Blütenformen zu erkennen, manchmal Strukturen, die Notenzeilen ähneln. Auf vielen Blättern zieht sich in großer, flammender Handschrift ein übersetztes Zitat aus dem jeweiligen Gedicht über die Zeichnung.

Um den Siebdruckern von Graffiti eine Vorstellung zu geben, was ihm vorschwebte, hatte Uecker zu jedem Motiv kleine Aquarell auf Din-A5-Zettel skizziert. Anschließend übertrug er die jeweiligen Motive mit den Händen auf große Folien, von denen sie dann auf Siebdruckgewebe belichtet wurden. Überall, wo Licht durch die Folie dringt, wird das Sieb gegen die Farbe versiegelt; nur dort, wo die Folie bemalt ist und das Licht abhält, bleibt das Sieb farbdurchlässig.

»Es gibt eine Aufbruchs-stimmung, aber noch immer hat jeder Respekt vor den Sittenwächtern«
Für jede Farbe bemalte Uecker eine Folie. Bald stellte sich jedoch heraus, dass der Künstler die jeweilige Struktur nicht flächig und plan umgesetzt sehen wollte, sondern mit allen Nuancen von dunkleren und helleren Schattierungen. »Da hatten wir anfangs aneinander vorbeigeredet«, schmunzelt Wendel. In der von Uecker gewünschten Differenzierung wurde die Sache technisch sehr viel aufwendiger. Denn für jeden Dunkelgrad derselben Farbe musste nun ein eigenes Sieb präpariert werden. Und zwar indem man bei derselben Folie die Belichtungszeit je nachdem sehr viel kürzer oder sehr viel länger wählte. Der ursprünglich angedachte Termin noch Ende 2015 war damit nicht zu halten.

Das Projekt startete bei Graffiti im September 2015 und zog sich bis März 2016 – solange war eine von zwei Fertigungsstraßen der Firma komplett mit dem Uecker-Auftrag belagert. Die ersten Andrucke überwachte Uecker dann persönlich in Reutlingen. »Das ist ein sehr emotionaler, impulsiver Mensch, aber sehr herzlich und offen im Umgang«, erzählt Wendel. »Und er ist vollkommen ehrlich. Wenn er keine Lust mehr hat, sagt er es gerade heraus, dann geht auch nichts mehr, dann spricht man ihn einfach am nächsten Tag wieder an.«

Aber nicht nur die Zusammenarbeit mit dem 86-jährigen Urgestein Uecker hat Wendel beeindruckt, sondern auch der ganze kulturelle Brückenschlag. Es sei eine Aufbruchsstimmung im Iran zu spüren – und gleichzeitig wirkten noch immer die Kräfte der Beharrung. »Jeder hat immer noch Respekt vor den Sittenwächtern, und natürlich kommt in jede Ausstellung ein Mullah und schaut an, ob das, was da hängt, zu tolerieren ist. Die Anspannung, die sich dann unter den Gästen breitmacht, ist schon verrückt.«

Aber gut, eine Zeit lang war Hafis, der Mystiker, Mitglied eines Sufi-Ordens, Besinger der Liebe nicht nur zu Gott, sondern auch jener ganz sinnlichen zwischen Mann und Frau, nicht mehr so angesagt bei Irans religiösen Sittenhütern. Und nun hängen wunderbar duftige Blätter aus Deutschland zum Lob eben jenes Hafis wieder ganz offiziell und zum großen Stolz der Einheimischen in Schiras und Teheran. Die Zeiten haben sich geändert im Mittleren Osten – und Reutlingen hat auch ein bisschen daran mitgewirkt. (GEA)