REUTLINGEN/BADEN-BADEN. Es fühlt sich ganz selbstverständlich an, dass man hierzulande in Kabarettvorstellungen gehen kann, wo Künstler das Tun von Politikern zerpflücken. Dass man in Theatervorstellungen gehen kann, in denen die gesellschaftliche Realität kritisch hinterfragt wird. Doch selbstverständlich ist das nicht. In vielen Ländern ist die Regel, dass Staat oder Religion dazwischengrätschen, wenn die Kultur aufmüpfig wird. Wer in Russland den Krieg Krieg nennt, landet in Haft. Wer in der Türkei zu provozierend auf der Bühne scherzt, muss mit einem Prozess wegen Blasphemie oder »Beleidigung des Türkentums« rechnen.
Zur Person
Andreas Müller, geboren 1966, machte sein Abitur in Baden-Baden. Er begann ein Musikwissenschaftsstudium in Karlsruhe, kam jedoch nach der Zwischenprüfung zum Radiosender SWF. Dort ist Müller seit 1991 Parodist und Stimmenimitator sowie Autor und Moderator mehrerer Comedy-Reihen. Müller hat die Comedy-Reihe SWR3-Gagtory mitbegründet. Als Stimmenimitator hat er Angela Merkel, Winfried Kretschmann, Xavier Naidoo, Herbert Grönemeyer und andere im Programm. Seit 2007 ist Müller Comedychef bei SWR3. Er lebt mit seiner Familie in Bühlertal bei Baden-Baden.
Andreas Müller tritt am 8. August um 20 Uhr gemeinsam mit Klaus Birk mit dem Programm »HomeLänd Zack« im Naturtheater Reutlingen auf. (GEA)
www.naturtheater-reutlingen.de
Dass Bühnenkünstler damit in Deutschland nicht rechnen müssen, garantiert das Grundgesetz. Die Kunstfreiheit ist geschützt. »Diese garantierte Freiheit ist unser Nährboden«, bringt es der bei Baden-Baden lebende Kabarettist und Comedychef bei SWR3, Andreas Müller, auf den Punkt. Dass Länder wie Großbritannien und die USA eine ausgeprägte Kabarett- und Comedy-Tradition haben, liegt aus seiner Sicht daran, dass beides alte Demokratien sind, die vergleichbare Garantien bieten. »Ob es in China auch eine Kabarett-Szene gibt, weiß ich gar nicht.«
Unterschwellige Bedrohungen
Gäbe es diese Garantien nicht, wäre man Müller zufolge schnell wieder bei Zuständen wie im 18./19. Jahrhundert. Als alles über den Tisch der Zensur musste. Und ein Friedrich Schiller Hals über Kopf aus Württemberg flüchten musste, weil sein Theaterstück »Die Räuber« gar zu frontal gesellschaftliche Missstände offenlegte. Tendenzen, die Kulturszene wieder an die Kandare zu nehmen, seien »unterschwellig« zu beobachten, sagt Müller. So wurde die progressive Theaterszene zeitweise aus dem rechtspopulistischen Lager pauschal als »linksversifft« diffamiert - unverhohlen wurden Restriktionen über Zuschusskürzungen gefordert.
Dass die Kunstfreiheit nicht unbegrenzt ist, weiß auch Kabarettist Müller. Garantiert das Grundgesetz doch nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern auch den Schutz der Menschenwürde. Weshalb die Kunstfreiheit dort aufhört, wo sie Persönlichkeitsrechte von Menschen berührt. »Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn man jemanden unmotiviert oder mit erfundenen Behauptungen diffamiert«, sagt Müller.
Grenze oft nicht eindeutig
Wo diese Grenze verläuft, ist jedoch oft nicht eindeutig. So hatte Müller schon mal die Anwälte von Popstar Herbert Grönemeyer am Hals, weil er dessen Ausraster gegenüber Fotografen auf dem Flughafen thematisierte. Stichwort Taschenwurf. »Ein Mensch wie Grönemeyer ist aber aufgrund seiner Prominenz auch Teil der öffentlichen Diskussion und Berichterstattung. Da muss es möglich sein, sowas zu thematisieren«, sagt Müller. Weshalb die Anwälte mit ihrer Position nicht durchkamen. »Prominente wie Politiker oder auch Stars wie Boris Becker spielen ja auch selber gerne die Öffentlichkeits-Karte.«
Anderes Beispiel: Die Anwälte von Wirtschaftsminister Robert Habeck seien »proaktiv« unterwegs, um die Persönlichkeitsrechte ihres Mandanten zu schützen. Als was man den Politiker bezeichnen darf, werde dabei von Bundesland zu Bundesland von den Richtern unterschiedlich bewertet: »In Hamburg darf man Habeck straffrei einen Vollidioten nennen, in Bayern hingegen kostet die Bezeichnung Vollpfosten 2.000 Euro«, verdeutlicht Müller. »Das ist schon sehr willkürlich.« Letztlich brauche es aufseiten der Kabarettisten und Theatermacher ein gewisses Feingefühl für das, was noch geht und was nicht mehr geht.
Von »Blasen« lancierte Tabus
Tatsächlich stoßen Satire, Kabarett und Theater in Müllers Beobachtung häufig an Grenzen, die gar nichts mit grundgesetzlich garantierten Persönlichkeitsrechten zu tun haben. Sondern mit Roten Linien, die bestimmte gesellschaftliche Gruppen für sich definieren. Wer Witze über Globuli macht, habe schnell einen Shitstorm vonseiten der Homöopathie-Anhänger am Hals. Wer Witze über Islamisten macht, gilt schnell als islamophob, Rassist oder gleich als Nazi. Wer in seine Show eine Reggae-Nummer einbaut oder Rastalocken trägt, wird der kulturellen Aneignung bezichtigt und gilt als Kolonialist. »Da will dann der eine Nichtaustralier dem anderen Nichtaustralier vorschreiben, ob er Didgeridoo spielen darf oder nicht.« Das sei absurd.
Von bestimmten Blasen in der Gesellschaft würden solche Tabus lanciert, ist Müllers Erfahrung. Die Empörungskultur des Internets verschärfe das noch. »Die Gefahr ist, dass sich dadurch Scheren im Kopf bilden und man bestimmte Dinge erst gar nicht thematisiert.«
Plädoyer für Feingefühl
Müller plädiert auch da für Feingefühl. Schließlich stehe auch die Religionsfreiheit im Grundgesetz. Witze über den Propheten Mohammed zu machen, nur um zu demonstrieren, dass es möglich ist, hält Müller für keine zielführende Idee. »Es ist wichtig, dass man auch in der Kultur auf der menschlichen Seite bleibt. Und dazu gehört eben auch, bestimmte Empfindlichkeiten zu respektieren.« Die Kunstfreiheit sei nicht dadurch in Gefahr, dass man auf die eine oder andere Pointe auch mal verzichte. Sehr wohl jedoch, wenn ein AfD-Abgeordneter öffentlich vom Einparteienstaat träume.
»Letztlich geht es auch im Grundgesetz darum, dass Freiheit immer auch die Freiheit des Andersdenkenden ist«, bekräftigt Müller. Und das erfordere nun mal Toleranz. »Das ist wie im Kreisverkehr. Der funktioniert auch nur, wenn jeder auch mal ein bisschen nachgibt. Genau so ist es in der Gesellschaft insgesamt auch.« (GEA)