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Aktuell Geistliche Musik

Wendiger Stilmix der Capella vocalis, symmetrisch gebändigt

REUTLINGEN. Es war ein echter Bonath, den er da am Samstagabend vorgelegt hat, der Leiter des Knabenchors Capella vocalis Christian Bonath. Mit seiner Vaterunser-Kantate »our_vater_noster« konfrontierte er das Publikum in der Christuskirche mit einer Folge kurzer Einzelsätze, die wendig und ideenreich Besetzung, Tonsprache und Atmosphäre wechselten.

Capella Vocalis (Archivbild)
Capella Vocalis (Archivbild) Foto: Armin Knauer
Capella Vocalis (Archivbild)
Foto: Armin Knauer
Schon länger ist es Bonath ein Anliegen, neben der Traditionspflege Akzente der Gegenwartsmusik zu setzen. Dafür hat er die Reihe »Music of Our Time« gegründet. Nach zwei Uraufführungen befreundeter Komponisten hat er dafür nun selbst zur Feder gegriffen. Und sich das Vaterunser als Thema ausgesucht als eine weltweit bekannte Gottesanrufung.

Geschickt hat Bonath im Konzertablauf den berühmten Luther-Choral zum Vaterunser an den Anfang gesetzt. Machtvoll und doch mit ganz ausgewogenen Männerstimmen schallt er zur Orgel von der Empore herab, archaisch und eindringlich. Und gleich noch einen Kronzeugen hat Bonath vorgeschaltet: Felix Mendelssohn Bartholdy, der in seiner Orgelsonate eben jenen Luther-Choral in kunstvollen Variationen verarbeitet. Organist Olaf Joksch arbeitet in der Wahl der Register kontrastreich die Stimmungen heraus, mal naturhaft-verträumt, mal machtvoll aufbrausend; und er lässt diese Musik atmen, gibt dem zarten Verklingen am Ende bewegend Raum.

Und nochmal Mendelssohn, diesmal mit drei geistlichen Gesängen für Altstimme, Chor und Orgel. Wie wunderbar sich hier die Solostimme von Capella-Sänger Jan Jerlitschka entfaltet! Welch ein Volumen! Welch Geschmeidigkeit der Stimme! Dass vereinzelt in der Höhe noch eine gewisse Härte und Enge auftritt, macht nur umso verheißungsvoller, was aus dieser Stimme noch werden kann.

Trommelschläge zum Beginn

Und dann eben die Bonath-Kantate. Schon in ihrer Anlage aus 18 Einzelsätzen ein Spiegelbild ihres so quirlig-rastlosen Erschaffers. Zu Beginn gibt sich Bonath als energischer Modernist, lässt es richtig Krachen. Geheimnisvolle Liegeakkorde werden von schallenden Schlägen auf die Rahmentrommel (Perkussion: Simon Reibenspies) und von ruppigen Orgel-Stakkati (Joksch) unterbrochen. Dazu steigen Glockenspielklänge auf, drei Knabensolisten (Jan Jerlitschka, Til Krupop, Manuel Becker) schicken ihre Stimmen aus den Ecken des Raums, der Chor steigt mit rauen Dissonanzen ein: Alles fügt sich zum expressionistischen Mysterienspiel.

Später wird Bonath diesen modernistischen Strang noch mit hämmernden Klavier-Clustern fortspinnen, mit gesprochenen Textpassagen von Chor und Solist (Lukas Storz), mit Glissando-Elementen von Altsolist Jan Jerlitschka und mit Passagen, in denen aus Klavier (hier: Bonath selbst) und Truhenorgel (hier: Joksch) zwei Themen in zwei unterschiedlichen Tonarten gleichzeitig tönen.

Doch dann wird's plötzlich ganz melodiös und versöhnlich, gar nicht so weit weg von Mendelssohn. Bewegende Duette zwischen Jan Jerlitschka und Knabensopran Til Krupop hört man da, Chorstücke voll fließendem Melos und einer Harmonik, die den Hörer sanft umfängt. Und im zentralen achten Satz über die Bitte ums tägliche Brot herrscht plötzlich ein munter hüpfender Tanzgeist.

Das alles geht sehr kleinräumig hin und her; schnell ändert sich die Besetzung, eilen Solisten aus dem Chor heraus, in den Chor zurück, eilen Instrumentalisten vom Klavier zur Truhenorgel und zurück. Gelegentlich ist das Ganze in Gefahr, in seine Einzelteile zu zerfallen oder in seine tonsprachlichen Ebenen. Doch dank eines konsequent durchgehaltenen großräumigen Aufbaus fügt sich alles doch in eine umfassende Symmetrie: Hat Bonath doch die Sätze bis ins Detail um den zentralen achten Satz spiegelbildlich angeordnet. Und so erscheint die Collage zum Vaterunser am Ende doch wieder als ein großes Ganzes. (GEA)